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Politik

"Fürchtet Euch nicht"

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Miodrag Soric
12. April 2020

Weil er in der Corona-Krise neue Wege vorschlägt, droht in Serbien einem Theologieprofessor, sein Priesteramt zu verlieren. Das ist unsouverän und entspricht nicht dem Geist der orthodoxen Kirche, meint Miodrag Soric.

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Nord-Mazedonien Skopje | Mazedonisch-orthodoxe Weihnachtsmesse
Kommunion in einer orthodoxen Kirche - geht das auch anders?Bild: picture-alliance/dpa/G. Livovski

Wie viel Diskussion erträgt eine Kirche in Zeiten der Corona-Krise? Wenn tausendfacher Tod die Menschen verunsichert. Wenn die Wissenschaft um Geduld bittet, weil sie vorerst keine Medizin gegen die Pandemie hat? Wenn die meisten Staaten, zumal schwache ohne moderne Infrastruktur, überfordertet sind. Wenn ihre Politiker sich zuerst lustig machen über den Virus und dann - nach Wochen vertaner Zeit - panikartig umschwenken und wie wild Verbote erlassen. Und sich angesichts dieser existentiellen Krise die Menschen der Kirche zuwenden: Wie reagiert sie?

In Serbien verrichten die meisten Priester in den Dörfern und Städten sowie die Mönche und Nonnen in den Klöstern weiter ihren Dienst. Sie trösten Gläubige, sprechen Mut zu. Doch auch sie haben Fragen. Was sollen sie den Menschen sagen, wenn diese den Gottesdienst feiern wollen und die Kirchenpforten erst mal zubleiben, weil der Staat es so will? Fragen haben Zweifler, Gläubige und Ungläubige: Ist es in Zeiten des Corona-Virus angemessen, dass eine Gemeinde die Kommunion aus einem Kelch erhält, von einem Löffel?

Gedankenspiele

Die Kirchenführung in Belgrad gibt Anweisungen, nimmt die dann zurück, widerspricht sich selbst. Kein Wunder, dass sich die Menschen bekannten Theologen zuwenden. Einer ihrer gebildetsten ist Vukasin Milicevic, Priester und Dozent an der theologischen Fakultät in Belgrad. Beliebt bei seinen Studenten, mit Neid verfolgt von Kirchenfürsten, denen der Himmel Prinzipienfestigkeit, aber eben keine rhetorischen Gaben mitgegeben hat.

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DW-Chefkorrespondent Miodrag Soric, der sich seit seiner Kindheit in der Kirche engagiert

In diesen auch für Serbien schwierigen Wochen kann sich Milicevic vor Einladungen kaum retten. Er gibt Interviews im Fernsehen, stellt sich den unbequemen Fragen der Öffentlichkeit. Als er einmal anregt, über alternative Formen der Kommunion nachzudenken, verbietet ihm Patriarch Irinej öffentlich aufzutreten. Milicevic droht vor ein Kirchengericht gestellt zu werden. Spricht ihn das schuldig, darf er nicht mehr den Gottesdienst feiern - für einen Priester die Höchststrafe. Dabei verweist der Dozent lediglich auf historische Fakten. Die Kirche praktizierte vor dem 11. Jahrhundert verschiedene Formen der Kommunion und praktiziert sie teilweise auch noch heute bei der Liturgie des Heiligen Apostels Jakob.

Wo bleibt die Moral?

Es fällt schwer, die Entscheidungen des Patriarchates nachzuvollziehen. Da wurde im letzten Jahr der bekennende Atheist und Präsident Serbiens, Vucic, zur Kirchensynode eingeladen und mit einem Orden geehrt. Und jetzt? Der Theologiedozent und Priester Milicevic, der sein ganzes Leben Christus gewidmet hat, wird verfolgt? Leider suchen nicht nur der Patriarch, sondern mehrere serbische Bischöfe die Nähe zur Macht; zu einem Politiker, der in den 90er Jahren zu den Stützen des Kriegsverbrechers Milosevic gehörte. Jemand, dessen korruptes Regime mit zu verantworten hat, dass Serbiens Infrastruktur und Gesundheitssystem am Boden liegen und junge, begabte Menschen, darunter auch Hunderte Ärzte und Krankenschwestern, im Ausland arbeiten.

Kann es sein, dass die serbische Kirchenführung den moralischen Kompass verloren hat? Sie gleichen "blinden Führern, die andere Blinde leiten", wie es beim Evangelisten Matthäus heißt. Und sie reihen sich ein in die Tradition all jener, die über die Jahrzehnte andere talentierte Theologen Serbiens verfolgen.

Auf die Stärken besinnen

Ganz gleich, wie man zu den Vorschlägen von Milicevic steht: Ihn zu bestrafen ist nicht verhältnismäßig. Denn es gehört zu den Stärken der orthodoxen Kirche, dass über den richtigen Weg gestritten und diskutiert werden darf. Es gehört zu den Vorzügen, dass es keinen unfehlbaren Papst gibt, der zentral alles bestimmen kann.

"Fürchtet Euch nicht", heißt es immer wieder im Neuen Testament - schon gar nicht vor dem Austausch mit Andersdenkenden, mit dem Nächsten. Gott hat den Menschen Verstand gegeben, um ihn zu gebrauchen. Genau das tun jetzt Tausende Studenten und andere Intellektuelle in Belgrad, die eine Petition zugunsten des Professors unterschrieben haben. Auch wenn ich in der Ferne bin: Meinen Namen könnt ihr dau schreiben.