Kommentar: Chaos in Italien?
13. Februar 2014Die Regierungskrise in Italien geht die ganze Euro-Zone und ganz Europa an. Bei der Ablösung des bisherigen Premierministers Enrico Letta handelt es sich nicht, wie man es früher aus Italien kannte, um eine Art politische Folklore, sondern um einen Einschnitt, der die Bekämpfung der Wirtschaftskrise in Europa empfindlich stören könnte.
Nach nur neun Monaten im Amt muss der Europa-Befürworter Letta gehen. Er scheitert tragischerweise am Ehrgeiz seines jungen innerparteilichen Rivalen Matteo Renzi. Den Widerstand des penetranten konservativen Quertreibers Silvio Berlusconi hatte Letta nach monatelangem politischem Kleinkrieg gebrochen. Berlusconi verlor im vergangenen Jahr Amt und Einfluss, weil er rechtskräftig verurteilt und aus dem Senat geworfen wurde. Darüber konnte sich Enrico Letta nicht lange freuen. Er musste im Dezember den Parteivorsitz der Sozialdemokraten an Renzi abtreten und jetzt vermutlich auch das Amt des Regierungschefs.
Auf europäischer Ebene wurde Enrico Letta von den übrigen Staats- und Regierungschefs wegen seiner ruhigen besonnenen Art geschätzt. Er verhalf Italien nach einer Parlamentswahl ohne klares Ergebnis im Februar 2013 zu einer regierungsfähigen großen Koalition, in der bis zum November auch Berlusconis Partei mitmischte. Großartige Reformen konnte Letta zwar nicht durchsetzen, aber es gab nach Auffassung der EU-Kommission einige Lichtblicke bei der wirtschaftlichen Entwicklung. Die Kosten für die Finanzierung der überbordenden italienischen Staatsschulden blieben erträglich. Diese relative Stabilität, die mitten in der Wirtschaftskrise gut und wichtig für Italien war, ist jetzt verloren. Dementsprechend verunsichert werden die Finanzmärkte und mögliche Käufer von italienischen Staatsanleihen sein.
Kehrt die Euro-Krise zurück?
Die Bedrohung durch "Il spread", den Risikoaufschlag für italienische Schuldpapiere, könnte zurückkehren. Die Gefahr einer italienischen Staatspleite wäre wieder greifbar, die Euro-Krise könnte erneut ausbrechen. Die Europäische Union muss nun alles versuchen, die Sorgen über Italien zu zerstreuen. Denn sollte sich Italien nach einer jetzt möglichen langen Regierungskrise im Chaos wiederfinden und die Hilfe der europäischen Rettungsschirme brauchen, dann wäre guter Rat teuer. Italien ist "too big to fail", also zu groß, um es Pleite gehen zu lassen. Seine Staatsschulden sind so groß, dass die finanzielle Sanierung die Euro-Zone und den Rettungsfonds ESM überfordern könnte. Matteo Renzi, der als Bürgermeister von Florenz keine nationale Regierungserfahrung hat, hat härtere Reformen angekündigt. Der unkonventionelle Sozialdemokrat hat sogar mit dem politischen Erzfeind Silvio Berlusconi über einen nötigen Umbau des Wahlrechts in Italien beraten.
Zunächst aber muss Renzi eine regierungsfähige Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments organisieren. Das wird sehr schwer. Der bisherige Koalitionspartner der Sozialdemokraten, Innenminister Angelino Alfano, hat bereits verlauten lassen, dass er eine Regierung Renzi nicht unbedingt unterstützen will. Neuwahlen wären ihm lieber. Alfano hatte sich im November mit einigen Getreuen von Berlusconis Lager abgespalten, als dieser die große Koalition mit Letta aufkündigte.
Italienische Machtspiele mit offenem Ausgang
Renzi könnte versuchen, mit der Bewegung "Fünf Sterne" des Komikers Beppe Grillo zu paktieren, die fast 30 Prozent der Stimmen bei den Wahlen vor einem Jahr bekommen hatte. Grillo hat bislang jegliche Zusammenarbeit mit anderen Parteien abgelehnt. Er setzt auf Protest gegen eine seiner Meinung nach von Deutschland dominierte Europäische Union. Der greise Staatspräsident Giorgio Napolitano hat Neuwahlen als völlig lächerlich in Zeiten einer tiefen Wirtschaftskrise bezeichnet. Napolitano könnte auch eine "Experten-Regierung" für eine gewisse Übergangszeit einsetzen.
Italiens Politiker werden sich jetzt vermutlich wochen- und monatelang mit sich selbst beschäftigen. Den viel zu vielen Arbeitslosen und Kleinunternehmern, die ums wirtschaftliche Überleben kämpfen, bringt das nichts. Als Ventil für den aufgestauten Frust wird vermutlich die Wahl zum Europäischen Parlament Ende Mai dienen. Die "Grillini", die Anhänger der euroskeptischen Protestbewegung könnten ungeahnten Zulauf erhalten. Das würde die politische Krise verstärken und zur faktischen Unregierbarkeit Italiens führen. Die EU kann jetzt nur hoffen, dass es so weit nicht kommt.
Silvio Berlusconi, der ewige konservative Strippenzieher, könnte noch für eine Überraschung sorgen. Er wollte mit juristischen Tricks eigentlich fürs Europäische Parlament kandidieren. Vielleicht findet er jetzt einen Weg, es noch einmal auf der nationalen Ebene zu versuchen. Für den Cavaliere Berlusconi ist das neue politische Chaos in Italien ein Geschenk. Für Europa ist es ein Albtraum.