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Kommentar: ESC 2012

Matthias Klaus27. Mai 2012

Eine Debatte um Menschenrechte begleitete den Eurovision Song Contest in Baku. Diese sollte genutzt werden, um sich mit der politischen Situation Aserbaidschans genauer zu beschäftigen, meint Matthias Klaus.

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Foto von DW-Mitarbeiter Matthias Klaus (Foto: DW/Matthias Klaus)
DW-Reporter: Matthias KlausBild: DW

Musikalisch können wir uns eigentlich nicht beschweren. Die Musik, die beim ESC geboten wurde, bringt zwar die Welt der Künste nicht voran, aber gute Songs gab es einige, und Entertainment war es allemal, was die 26 Finalteilnehmer am Samstagabend geboten haben.

Zwar gibt es immer noch den Trash-Aspekt, aber die Zeiten, in denen die Songs des ESC musikalisch indiskutabel waren und bestenfalls die Hitparade des schlechten Geschmacks anführten, sind vorbei. Und die zur Schau gestellte Begeisterung der vielen angereisten Fans dieses Länderwettbewerbs ist ein Riesenspaß.

Die Künstler, die hier antreten, sind längst auch außerhalb des ESC erfolgreich. Loreen, die frischgebackene Gewinnerin des ESC 2012 zum Beispiel, ist seit Wochen an der Spitze der schwedischen Hitparade. Natürlich geht's hier um Pop mit Breitenwirkung, doch was ist daran schlecht?

ESC umstritten wie nie zuvor

Doch selten war ein ESC so in der Diskussion wie der in Aserbaidschan. Der Wettbewerb diene lediglich dazu, das Image eines korrupten Regimes aufzuhübschen und würde von der aserbaidschanischen Führung missbraucht, sagen seine Kritiker. Sicher ist: Die Regierung in Baku hat wirklich nichts ausgelassen, um den Contest zu einem Erfolg zu machen. Die Werbung vor Ort, der Bau der Crystal Hall samt Uferpromenade: All das wirkte immer wieder nicht nur leicht übertrieben.

Ein Brunnen in der Innnestadt von Baku und die Flametowers im Hintergrund (Foto: Ulf Mauder/ dpa)
Bakus Stolz - im Zentrum der MachtBild: picture-alliance/dpa

Das Land sollte strahlend dastehen, und das, was wir Journalisten zu sehen bekamen, strahlte auch wirklich. So viele Prachtbauten, eine hervorragende Infrastruktur für die Arbeit, all die "Welcomes", die immer wieder zu hören waren, machten den Eindruck, alles sei in bester Ordnung. Die Demonstrationen für Menschenrechte, die es auch immer wieder gab, verschwanden dagegen im Hintergrund. Nur wenn man jemanden auf die allgegenwärtige Polizeipräsenz und die Sicherheitsmaßnahmen ansprach, hieß es: "Ach, das ist nichts."

Allerdings war der Staat Aserbaidschan nicht kleinlich bei der Durchsetzung seiner Werbeinteressen. Für den Bau der Crystal Hall wurden Häuser abgerissen und Menschen in schlechte Wohnungen umgesiedelt. Auch heißt es, das Geld, ca. 600 Millionen Euro, das für die diversen Bauprojekte und den Wettbewerb selbst ausgegeben wurde, fehle jetzt bei den Rentenzahlungen an die Bevölkerung. Und, mal im Ernst: Muss denn wirklich auch noch die Tochter des Präsidenten die Show moderieren? Kritiker, die die Dinge beim Nahmen nannten, wurden kurzerhand verhaftet.

Boykott als stumpfe Waffe

Im Vorfeld wurde immer wieder gefordert, den Song Contest entweder abzusagen oder wenigstens zu boykottieren. Nur wäre Aserbaidschan davon ein demokratischer Staat geworden? Hätte Präsident Aliyev gesagt: "Oh, das war mir ja gar nicht aufgefallen, dass man Präsidenten wählen muss. Tschuldigung!"

Sollte es nicht die Aufgabe der Politik sein, auf Menschenrechtsverletzungen hinzuweisen und eventuell Druck auszuüben? Geschäfte, das ist hier allerorts zu sehen, werden mit Aserbaidschan gerne gemacht, genauso wie Mobiltelefone aus China und gerne Öl aus dem Iran gekauft werden. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Forderung, den ESC zu boykottieren, auch deswegen immer wieder gestellt wird, weil es so schön einfach ist, und weil es keine wirklichen Konsequenzen hat: Man müsste höchstens das Fernsehprogramm für einen Abend ändern.

Protestanten werden von der polizei und Sicherheitskräften abgeführt (Foto: DPA)
Kurz vor Beginn des ESC: Proteste der Opposition in Baku werden von der Polizei und Sicherheitskräften niedergeschlagenBild: picture alliance / dpa

Die Politiker sind gefordert

Die Künstler, die hier auftreten, können diese Verantwortung nicht übernehmen. Sie können nur dafür sorgen, dass sie nicht herhalten müssen für die Politik eines Staatspräsidenten, der sein Amt vom Vater übernommen hat und der keine Transparenz beim Umgang seiner Familie mit dem Reichtum des Landes duldet. Aber ist das nicht in Abu Dhabi auch so? Dort finden Festivals oder Autorennen statt, ohne dass es Boykottaufrufe gibt.

Zu fragen ist auch, welchen Standard man an ein politisches System anlegen soll, um es eurovisionswürdig zu finden. Politische Gefangene gibt es auch in anderen Ländern. Eigentlich ist es doch gut, so wie es gerade gelaufen ist. Niemand hat sich bislang überhaupt um die Situation in Aserbaidschan gekümmert. Jetzt ist die Kaukasus-Republik auf der Bewusstseinslandkarte, und jeder hat erfahren, welches Regime hier herrscht.

Zu hoffen bleibt, dass das Interesse an diesem doch ziemlich fernen Land anhält, wenn die Europäer wieder abgereist sind. Denn Menschenrechte lassen sich unter öffentlicher Beobachtung schwerer verletzen als im Verborgenen.