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Ein Papier als wichtiger Denkanstoß

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Andreas Rostek-Buetti
5. Februar 2019

Bedenkenträger der reinen Lehre werden der "Nationalen Industriestrategie" kaum gerecht. Die größte Herausforderung hier liegt ohnehin in China, meint Andreas Rostek-Buetti.

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Deutschland Kanzler Ludwig Erhard
Eher Pragmatiker des "Rheinischen Kapitalismus" als Vertreter einer reinen Lehre - Ludwig ErhardBild: picture-alliance/AP Images

Die Diskussion um Minister Altmaiers "Nationale Industriestrategie 2030" mutet an, als hätten sich wiederauferstandene Stamokap-Anhänger und nie ganz tote Freunde der Chicago-Boys zusammengetan, um irgendeine reine Lehre zu verteidigen.

Sie erinnern sich nicht an die Stamokap-Theorie? Kein Wunder. Das waren viele Worte um heiße Luft: Da sorgten sich gestandene linke Ökonomen und Wunderheiler, der "Monopolkapitalismus" greife sich den "imperialistischen" Staat (oder umgekehrt) und unterdrücke unter Führung einer Finanzoligarchie die Massen. Den Verfechtern dieser Theorie war also der Einsatz des Staates für große Konzerne der Sündenfall par excellence.

Da waren sie sich mit den als neoliberal verschrienen Vertretern der sogenannten Chicago School überraschend einig: Die lieferte Argumente für Reagan, Thatcher und ähnliche "Reformer" und befand, der Staat solle sich aus allem Wirtschaften heraushalten und die mächtigen Märkte machen lassen. Hat ja in Chile oder Großbritannien dann auch vorbildlich geklappt.

Der rheinische Kapitalismus

Dagegen setzte der Säulenheilige der deutschen Wirtschaftspolitik, der frühere CDU-Wirtschaftsminister und -Kanzler Ludwig Erhard - das war der mit der dicken Kapitalisten-Zigarre - schon frühzeitig auf pragmatische Lösungen. Vornehm wurden die als rheinischer Kapitalismus gewürdigt und etwas weniger gewählt können sie als Klüngelkapitalismus bezeichnet werden.

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Andreas Rostek-Buetti, DW-Wirtschaftsredaktion

Solcher Pragmatismus ist allen Anhängern der reinen Lehre das, was dem Teufel das Weihwasser. Dabei ist es der Pragmatismus, der den Laden am Laufen hält. Wer hätte das besser gewusst als seinerzeit ein Hermann Josef Abs, dessen Deutsche Bank in den 1960er-Jahren so etwas wie das Politbüro des rheinischen Kapitalismus war. Etliche "nationale Industriechampions" zeugen davon.

Womit wir bei Minister Altmaier und seiner Idee von den nationalen Champions und der "Industriestrategie" der Regierung sind. Schon überbieten sich die Stimmen, die wieder mahnen, der Markt werde schon für Innovation und den Erfolg der Besseren sorgen. Und der Staat solle sich doch allein um Steuern, Soziales und andere "Rahmenbedingungen" kümmern. Woher denn die Illusion käme, der Staat (sprich Minister Altmaier) sei der bessere Erfinder, Sanierer und Konzernlenker?

Ist er nicht, keine Frage. Aber geht es wirklich darum? Ist das nicht vornehmes Hüsteln der Weisen der reinen Lehre? Ist da nicht längst China am Horizont jeglicher "Industriepolitik" - mit einem echten Politbüro?

Ankündigungsminister?

Nicht die Pläne des Ministers Altmaier sind das Problem - eher der Umstand, dass er längst als Ankündigungsminister verschrien ist: schöne Worte, wenig Durchsetzungskraft. Ohne pragmatische Durchsetzungsfähigkeit allerdings wird aus der "Nationalen Industriestrategie 2030" nichts. Dabei liegt der Teufel hier wie anderswo im Detail - im Konkreten und in Brüssel.

Besichtigen kann man das in diesen Tagen an der geplanten Fusion der Schnellzugbauer von Siemens (Deutschland) und Alstom (Frankreich). Beide zusammen hätten auf dem europäischen Eisenbahnmarkt eine dominierende Stellung, wohl wahr. Da haben die EU-Wettbewerbshüter mit ihren Bedenken sicher Recht.

Aber dass den zusammen werkelnden Ingenieuren des ICE und des TGV mangels Konkurrenz das Innovationspotential abhanden käme, muss man kaum befürchten. Da fährt ihnen längst der gigantische chinesische Staatskonzern CRRC in die Parade. DER ist der Konkurrent. Daran müssen die Ingenieure wie die Politiker Maß nehmen. Das gilt auf der Schiene wie im Weltraum und dazwischen in der schnell wachsenden Cloud, die sich zunehmend füllt mit den Segnungen künstlicher Intelligenz. 

Made in China

Mithin: Es geht weniger um nationale Industriepolitik - wenn die auch die Grundlage bleiben wird. Es geht vor allem um europäische Industriepolitik, um europäische Champions. Die Entwicklung des europäischen Flugzeugchampions Airbus mag anfangs umgerechnet 30 Milliarden Euro an Anschubkosten verschlungen haben. Hat aber dazu geführt, dass wir Europäer im Boeing-Konkurrenzflieger A 320 unterwegs sind und nicht in einer (französischen) Dassault Falcon mit stolzen 19 Plätzen oder einer Fokker 100 (mit immerhin gut 100 Sitzen).

Wir könnten allerdings auch auf den großen Mittelstreckenflieger C919 warten. Soll in zwei oder drei Jahren ausgeliefert werden. Made in China.