1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Zeit für Fans noch nicht reif

Oelmaier Tobias Kommentarbild App
Tobias Oelmaier
15. September 2020

Die Bundesländer haben sich für eine Wiederzulassung von Zuschauern bei Bundesligaspielen ausgesprochen. Das ist fatal, kommentiert Tobias Oelmaier, denn die Entscheidung zieht einen langen Rattenschwanz hinter sich her.

https://p.dw.com/p/3iVCM
DFB-Pokal Hansa Rostock vs. VfB Stuttgart
7.500 Fans beim DFB-Pokal-Spiel in Rostock - wer achtet hier noch auf Hygiene und Abstand?Bild: picture-alliance/Pressefoto Baumann/C. Müller

Die Sportschau am Sonntag zeigt das Erstrundenspiel im DFB-Pokal zwischen Drittligist Hansa Rostock und Bundesliga-Aufsteiger VfB Stuttgart. Die Partie ist spannend, von einem doppelten Klassenunterschied ist wenig zu erkennen. Vielleicht ist das auch ein Verdienst der Rostocker Fans. 7.500 Zuschauer sind live im Stadion dabei, machen Lärm fast wie sonst bei vollem Haus. Möglich ist das, weil das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern wegen der niedrigen Infektionszahlen seine Corona-Schutzmaßnahmen zurückgefahren hat.

Montagabend in Dresden: Drittligist Dynamo wirft den favorisierten Zweitligisten Hamburger SV mit einem 4:1 aus dem Wettbewerb. Anschließend stellt sich HSV-Abwehrmann Toni Leistner den Reporterfragen, wird dabei offenbar aus der Dresdener Kurve heraus beleidigt. Leistner verliert die Kontrolle über sich, klettert auf die Tribüne und ringt einen Fan zu Boden. Sicherheitskräfte können ihn zurückschicken. Eine kopflose Aktion Leistners, durch die aber in den Fokus rückte, wie eng die Tribünen auch im Dresdner Stadion teilweise besetzt waren. 

Kontrollverlust im Siegestaumel

Oelmaier Tobias Kommentarbild App
DW-Redakteur Tobias Oelmaier: Zeit ist noch nicht reif

Wie eindringlich hatten Fanvertreter in den vergangenen Monaten Vertrauen eingefordert, zum Beispiel, als die Deutsche Fußballliga (DFL) ihr Konzept zu einer Rückkehr von Zuschauern in die Stadien vorstellte. Alkoholverbot, keine Auswärtsfans, geringe Stadionauslastung keine Stehplatzkarten - all das hielten die Interessenvertreter der Fans für eine Bevormundung, ja Vorverurteilung.

Aber die Bilder aus Rostock und Dresden machen deutlich: Selbst im Bewusstsein, unter besonderer Beobachtung zu stehen, werden die einfachsten Regeln nicht eingehalten. Viele der Tribünengäste trugen keinen Mund-Nasenschutz, einige verwendeten ihn falsch und an das Abstandsgebot hielt sich auch kaum jemand. Es wurde gebrüllt, gesungen, sich umarmt.

All das ist auch verständlich. Denn Fußball ist nun mal emotional. Der Grund, ins Stadion zu gehen, liegt genau hierin, im engen sozialen Austausch mit Gleichgesinnten, im Singen, im Anfeuern, im Jubel - für viele auch im Trinken. Wer kann schon seine Gefühle zurückhalten, wenn sein Außenseiter-Team gerade den großen Favoriten besiegt?

Wenn der Fußball darf, dann dürfen alle

Deshalb ist die Entscheidung der Staatskanzleien der Länder fatal, nun doch wieder ab Beginn der neuen Saison zumindest teilweise Zuschauer bei Bundesligaspielen zuzulassen. Nicht, dass es den Fans nicht zu gönnen wäre. Jeder, der sich für Fußball interessiert, vermisst die gewohnte Kulisse in den Stadien. Aber angesichts der wieder steigenden Infektionszahlen ist die Zeit hierfür einfach noch nicht reif.

Vor allem - wenn nun wieder Zuschauer in Fußballstadien dürfen, bringt sich die Politik selbst in Erklärungsnot: Denn wenn Jubel und Gesänge im Stadion erlaubt sind, dann muss das auch wieder für das Schunkeln auf Volksfesten gelten, für den Konzert- oder Festivalbesuch, das Feiern in der Großraumdiskothek, das Singen im Chor, die Karnevalssitzung und den Faschingsumzug.

Dass das aber alles noch nicht geht, hat der jüngste Fall der "Superspreaderin" von Garmisch-Partenkirchen gerade erst wieder deutlich gemacht. Eine 26-jährige US-amerikanische Hotelangestellte hatte dort nach ihrer Rückkehr aus dem Urlaub die Quarantänezeit nicht eingehalten, war trotz Krankheitssymptomen auf Kneipentour gegangen und hatte einen lokalen Corona-Ausbruch verursacht. Ein schwarzes Schaf reicht eben aus, um alles ins Wanken zu bringen.