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Politik

Das Kreuz mit dem Kopftuch

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Felix Steiner
14. März 2017

Ein neues Urteil zum Kopftuchtragen am Arbeitsplatz - diesmal vom Europäischen Gerichtshof. Offenkundig ist Europa nicht dem Christentum verpflichtet, sondern der Gleichheit und Toleranz, meint Felix Steiner.

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Deutschland mit Kopftuch im Büro Symbolbild
Bild: picture-alliance/dpa/C. Rehder

Zugegeben, die Schlagzeilen der ersten Meldungen nach dem Urteil des EuGH konnten einen in die Irre leiten: "Kopftuchverbot am Arbeitsplatz kann zulässig sein" hieß es. Das klang schon sehr nach Betonung des christlichen Europa, aus dem man das islamische Kopftuch durch einfache Chefanweisung einfach draußen halten könne. Und genau diese Sicht dürfte es gewesen sein, die den CSU-Europaabgeordneten und EVP-Vorsitzenden im Europäischen Parlament, Manfred Weber, zu seiner schnellen Pressemeldung veranlasst hat: "In Europa gelten die Werte Europas." Und genau deshalb sei es richtig, dass Arbeitgeber Kopftücher am Arbeitsplatz auch verbieten könnten, ließ der engagierte Katholik aus Bayern schon wenige Minuten nach dem Urteil wissen.

Nach genauerem Hinsehen erweist sich die Sache jedoch als wesentlich komplexer und wenig revolutionär, weil ziemlich genau auf der bisherigen Linie höchstrichterlicher Rechtsprechung in Deutschland. Nein, keiner Frau darf allein deswegen gekündigt werden, weil sie ein Kopftuch trägt. Das wäre in der Tat diskriminierend für alle Musliminnen, die auf dieses Kleidungsstück aus religiösen Gründen Wert legen. Wohl aber kann ein Unternehmen das offene Tragen jedweder religiöser Symbole verbieten, wenn es seinen Kunden gegenüber weltanschaulich neutral auftreten will. Das muss aber vom Arbeitgeber für alle Beschäftigten und unabhängig von deren Religion festgelegt sein - darf also nicht nur für das muslimische Kopftuch gelten, sondern dann genauso auch für die jüdische Kippa oder die Halskette mit dem christlichen Kreuz.

Kopftuch ist Kunden zumutbar

Und nein, niemand darf entlassen werden, weil sich ein intoleranter Kunde über eine kopftuchtragende Mitarbeiterin beim Chef beschwert hat. Für solcherlei privaten Rassismus gilt, was schon das deutsche Bundesverfassungsgericht im vergangenen Jahr in ein Urteil schrieb: Es gibt keinen verfassungsrechtlichen Anspruch darauf, "von der Wahrnehmung anderer religiöser oder weltanschaulicher Bekenntnisse verschont zu bleiben". Also auch hier gilt: Jedes Unternehmen muss den Willen zur weltanschaulichen Neutralität von vorneherein festlegen und nicht erst, wenn sich jemand beschwert. Und wiederum müssen alle religiösen Symbole gleich behandelt werden - egal wie auffällig oder sichtbar sie im Einzelfall sein mögen. Ob Kreuz, Kippa oder Kopftuch - alles ist dann tabu.

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DW-Redakteur Felix Steiner

Im Ergebnis bedeutet das, dass die von Manfred Weber betonten Werte Europas, die er in diesem Urteil bestätigt sieht, nicht die christlich-jüdischen Wurzeln des Kontinents sind, sondern der Gleichheitsgrundsatz und die Toleranz. Wenn religiöse Symbole erlaubt sind, dann für alle, gleich welcher Religion. Und wenn nicht, dann eben nicht - für niemanden. Und dann gibt es keine Diskussion darüber, was für wen wie wichtig sein mag, sondern die schlichte Empfehlung, sich einen anderen Arbeitgeber zu suchen.

Die gibt es nämlich inzwischen in großer Anzahl, und wer mit offenen Augen durch das Land läuft, dem kann das auch nicht verborgen bleiben: Ob beim Arzt, in der Apotheke oder beim Einkaufen - überall sind inzwischen Frauen mit Kopftuch, die fließend deutsch sprechen, selbstverständlich. In Aufgabenbereichen, in denen es gar keinen sichtbaren Kontakt zu möglicherweise kritischen Kunden gibt, sollte es noch viel leichter sein, Mitarbeiterinnen zu integrieren, die Wert auf ihr Kopftuch legen.

Kritik der Muslime

Insofern verwundern die extrem kritischen Stellungnahmen der Islamverbände in Deutschland und anderen EU-Staaten. Die Unternehmen, welche ihre weltanschauliche Neutralität festschrieben, beraubten sich eines enormen Potenzials hochqualifizierter Mitarbeiterinnen. Weil sie ja den Kopftuchträgerinnen keine Perspektive böten. Zur Beruhigung der Lobby-Muslime sei gesagt: Falls deswegen einmal Aufträge nicht erledigt werden können und Umsatz in großem Stil verloren geht, werden die Firmen sicherlich umdenken. Denn die höchste Priorität eines jeden Unternehmens ist noch immer der wirtschaftliche Erfolg.

Im Übrigen könnte man die Problematik ja auch einmal andersherum denken: Auf wie viele qualifizierte Mitarbeiter müssen Firmen verzichten, wenn diese ihre Halskette mit dem Kreuz nicht mehr tragen dürfen? Richtig: Dass es deswegen in Europa einen Aufruhr gibt, ist in der säkularen Gegenwart des Jahres 2017 nach Christus doch ziemlich unwahrscheinlich.

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