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§103 - auf den Müllhaufen der Geschichte!

Kommentarbild Muno Martin
Martin Muno
15. April 2016

Die Bundesregierung will den §103, der im Fall Böhmermann zur Anwendung kam, abschaffen. Das ist richtig, kommt aber viel zu spät, meint Martin Muno.

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Symbolbild - Richter
Bild: picture-alliance/dpa/J. Wolf

Jan Böhmermann hat Glück. Befänden wir uns noch im 19. Jahrhundert, hätte ihm in der anstehenden juristischen Auseinandersetzung eine lebenslange Haft gedroht - zumindest, wenn sein Kontrahent Recep Tayyip Erdogan ein gekröntes Haupt gewesen wäre. Majestätsbeleidigung hieß der Paragraph, auf dem der heutige §103 des Strafgesetzbuches (StGB) basiert.

Heute ist das Strafmaß deutlich geringer. In dem Paragraphen, der in der Causa Böhmermann zur Anwendung kommen dürfte, heißt es: "Wer ein ausländisches Staatsoberhaupt (...) beleidigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe, im Falle der verleumderischen Beleidigung mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft."

DW-Redakteur Martin Muno

Zweierlei Maß trotz Grundgesetz

Hätte Böhmermann sein "Schmähgedicht" nicht an Erdogan, sondern beispielsweise an seinen Frisör oder Gemüsehändler gerichtet, wäre er noch besser davon gekommen: Der §185 StGB sieht für die "normale" Beleidung eine Haftstrafe von maximal einem Jahr, in der Regel jedoch eine Geldstrafe vor.

Lebenslang für die Beleidigung gekrönter Häupter - das ist schon lange abgeschafft. Aber fünf Jahre Haft, wenn ausländische Staatoberhäupter betroffen sind und ein läppisches Jahr für die Beleidigung von Normalsterblichen? Vor dem Gesetz sind dann doch nicht alle Menschen gleich, auch wenn der Artikel 3, Absatz 1 des Grundgesetzes explizit das Gegenteil behauptet.

Der §103 war schon immer schlecht

Es ist deswegen nur richtig und konsequent, wenn die Bundesregierung den §103 jetzt abschaffen will. Er gehört auf den Müllhaufen der Geschichte und das nicht nur, weil er jetzt wieder in den Blickpunkt geriet. Er hätte schon längst abgeschafft werden müssen: Denn wenn wir zurückschauen, hat er in der bundesrepublikanischen Rechtsgeschichte eine alles andere als rühmliche Rolle gespielt. Zweimal war der Schah von Persien (der heutige Iran), Reza Pahlewi, involviert: 1964 wurden Journalisten des "Kölner Stadt-Anzeigers" zu Geldstrafen verurteilt, weil sie eine Karikatur des Schahs veröffentlichten.

1967 wollte die persische Regierung Studenten belangen, die während des Schah-Besuchs in Deutschland ein Plakat mit der Aufschrift "Persien ein KZ" hochhielten. Nachdem aber die Ermittler den Wahrheitsgehalt des Slogans mit der Realität in Persien abgleichen wollten, bemühte sich die Bundesregierung erfolgreich, den Schah zum Verzicht auf eine weitere Strafverfolgung zu bewegen. Denn die Ermittlungen hätten unweigerlich an den Tag gebracht, dass in Persien Folter und Mord an Oppositionellen und vermeintlich Oppositionellen an der Tagesordnung waren.

Schutz von Diktatoren vor Kritik

Rechtskräftig verurteilt wurden jedoch Demonstranten, die 1977 - also zur Zeit der Pinochet-Diktatur - vor der chilenischen Botschaft in Bonn ein Transparent mit der Aufschrift "Mörderbande" zeigten. Das Urteil wurde vier Jahre später höchstinstanzlich bestätigt. Aus heutiger Sicht entspricht "Mörderbande" für das Pinochet-Regime eindeutig einer Tatsachenbeschreibung und keiner Beleidigung.

Die auf den §103 bezogene Rechtsprechung stufte somit die Interessen von Diktatoren höher ein als das Recht auf freie Meinungsäußerung. Das ist absurd. Noch absurder wird dieser Paragraph aber in Verbindung mit dem Paragraphen 104a. Danach wird der Wunsch ausländischer Regierungen nach einer Strafverfolgung nur dann erfüllt, wenn "die Bundesregierung die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt".

Regierung in der Zwickmühle

Das macht die Sache im aktuellen Fall noch brisanter, denn die Bundesregierung konnte es nur falsch machen - egal, wie entschieden hätte: Im Fall Böhmermann ließ Kanzlerin Angela Merkel das Verfahren nun zu. Sie muss sich jetzt den Vorwurf gefallen lassen, vor Erdogan einzuknicken, um das fragile deutsch-türkische Verhältnis nicht zu gefährden - Böhmermann als Bauernopfer sozusagen. Weil Merkel Böhmermanns Gedicht schon öffentlich als "bewusst verletzend" bezeichnet hatte, wäre eine Ablehnung auch kaum zu vermitteln gewesen.

Falls Merkel dennoch das türkische Gesuch abgelehnt hätte, hätte der Vorwurf gelautet, sie habe per Ukas ein Strafbegehren abgelehnt. Gäbe es den §103 schon jetzt nicht mehr, wäre alles ganz einfach: Der türkische Bürger Recep Tayyip Erdogan würde den deutschen Bürger Jan Böhmermann wegen Beleidigung (§185) verklagen. Das zuständige Amtsgericht in Mainz müsste entscheiden, ob es sich um Satire oder um eine Schmähung handelt. Und die Bundesregierung wäre fein heraus.

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Martin Muno Digitaler Immigrant mit Interesse an Machtfragen und Populismus