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Knorr und die Saucen-Diskussion

19. August 2020

Knorr möchte seine "Zigeunersauce" umbenennen. Angesichts der aktuellen Debatte um rassistische Begriffe zweifellos begrüßenswert. Doch hilft dies auch gegen Antiziganismus - oder geht's eigentlich nur ums Image?

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Der Schriftzug des Lebensmittelherstellers "Knorr" steht auf einem Gebäude in Heilbronn
Bild: picture-alliance/dpa/S. Gollnow

Im Zuge der aktuellen Rassismus-Debatte wird die "Zigeunersauce" der Marke Knorr umbenannt. "Paprikasauce Ungarische Art" soll in ein paar Wochen stattdessen in den Supermarktregalen zu finden sein. 

"Da der Begriff Zigeunersauce negativ interpretiert werden kann, haben wir entschieden, unserer Knorr-Sauce einen neuen Namen zu geben", teilte der Mutterkonzern Unilever auf eine Anfrage von Bild am Sonntag mit.

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma begrüßt die Entscheidung, hält die Würzsauce aber für die falsche Ebene für eine Auseinandersetzung mit dem Begriff.

Antiziganismus: Die größere Sorge

"Es ist gut, dass Knorr hier auf die Beschwerden offenbar vieler Menschen reagiert", so der Vorsitzende des Zentralrats, Romani Rose zu der Zeitung. Ihm selbst bereite allerdings der wachsende Antiziganismus in Deutschland und Europa größere Sorgen.

"Für den Zentralrat sind vor diesem Hintergrund Zigeunerschnitzel und Zigeunersauce nicht von oberster Dringlichkeit." Viel wichtiger sei es, Begriffe wie "Zigeuner" im jeweiligen Zusammenhang zu bewerten, "wenn etwa in Fußballstadien Zigeuner oder Jude mit offen beleidigender Absicht skandiert wird", so Rose.

Die Debatte um die Sauce gab es schon einmal. Bereits im August 2013 forderte das Forum für Sinti und Roma durch anwaltliche Schreiben mehrere Hersteller der Sauce zur Umbenennung, etwa in Paprikasauce oder Sauce Ungarischer Art auf.

"Gemeinsam Antiziganismus bekämpfen" steht am 25.10.2013 vor dem Mahnmal für Sinti und Roma in Berlin bei einer Kundgebung auf einem Banner.
Demonstration gegen Sinti-und-Roma-Feindlichkeit in Berlin (2013)Bild: picture-alliance/dpa

Damals schlossen sich jedoch weder der Bundesrat der Jenischen Deutschlands noch der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma an. Zwar sei "der Begriff Zigeuner nicht wertneutral … bis hin zu rassistischen Stereotypen", "der Zentralrat habe aber zu keiner Zeit ein Verbot des Wortes gefordert".

Damals wurde die Diskussion mit Vergleichen wie dem Jägerschnitzel, Hamburgern, Berlinern und Sauerländern allerdings ad absurdum geführt. 2015 führte dies noch zu Vorwürfen in der Pegida-Diskussion: Man dürfe in Deutschland noch nicht einmal mehr von "Zigeunersauce" reden.

Wer "Zigeunersauce" aber mit dem Jägerschnitzel, dem Amerikaner oder dem Berliner vergleicht, der verkenne das Problem, heißt es auf der Webseite Sinti und Roma in Berlin, der Freien Universität Berlin. Es gehe nicht darum, irgendjemand vor Kannibalismus oder ähnlichem zu schützen. Der Streit gehe vielmehr "um einen kritischen und reflektierten Sprachgebrauch", wie ihn auch Silvio Peritore, der Vize-Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, fordert.

Sinti, Roma und die Herkunft der Sauce

Sinti und Roma ist ein Oberbegriff für eine Reihe ethnisch miteinander verwandter Bevölkerungsgruppen, die ab dem 14. Jahrhundert von Indien aus nach Europa einwanderten. Wobei die Sinti eine Teilgruppe der europäischen Roma sind, die in Mittel- und Westeuropa sowie im nördlichen Italien leben.

Das Wortpaar soll den Begriff der "Zigeuner" ablösen, da dieser aufgrund seiner Geschichte mit negativen Konnotationen und rassistischen Stereotypen im öffentlichen Sprachgebrauch vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma abgelehnt wird - "so haben sich die Sinti und Roma nämlich niemals selbst genannt", heißt es in den Erläuterungen auf der Webseite.

Infografik: Antiziganismus in Deutschland

Dabei wurde bereits im Jahr 1978, auf dem 2. Welt-Roma-Kongress in Genf, offiziell die Bezeichnung "Roma" als Nachfolger (von "Gypsy") beschlossen. In Deutschland wurde dieses Abkommen zunächst von der Bürgerrechtsbewegung und von den Selbstorganisationen übernommen, wozu parallel "Sinti" bzw. "Sinte" eingeführt wurde. 

Ungeachtet dessen hat sich der Begriff "Zigeuner" weiter verselbstständigt - und ist bis heute anzutreffen, wie eben auch in Form der "Zigeunersauce". 

Doch was hat die Sauce mit Sinti und Roma zu tun?

Nun ja, eigentlich nichts. Als "Zigeunersauce" wird eine Champignon-Tomatensauce der klassischen Küche bezeichnet, mit Paprika, Zwiebeln, Essig und Gewürzen. Sie leitet sich von der Garnitur à la zingara ab und fand 1903 im Guide culinaire des Meisterkochs Auguste Escoffiers als "Zigeunersauce" Erwähnung. Die Sauce wird von Verbrauchern oft auch als ungarisch und/oder scharf angesehen.

Auch die Sinti und Roma sehen die kulinarischen Wuzeln der Sauce vielmehr in Ungarn, und nicht in ihrere eigenen Küche.

Späte Einsicht

Nach Knorr wollen weitere Anbieter ihre Sauce umbenennen. Die Lebensmittelhersteller Homann und Bautz'ner teilten der Deutschen Presse-Agentur (dpa) mit, dass ihre entsprechenden Würzsaucen bald anders heißen sollen.

"Die Namensänderung ist auch bei uns schon länger in Planung und der Zeitpunkt nur noch von produktionstechnischen Umständen abhängig", ließ eine Sprecherin des sächsischen Unternehmens Bautz'ner wissen. Auch bei der niedersächsischen Firma Homann mit Sitz in Dissen läuft die Diskussion seit geraumer Zeit, wie ein Sprecher der Theo Müller Unternehmensgruppe mitteilte.

Man betrachte den Begriff nach wie vor als reine Sortenbezeichnung, allerdings "werden wir diese Sorte beim nächsten Relaunch des Verpackungsdesigns auf zum Produkt passende Art und Weise umbenennen".

Über die neuen Namen gaben die Firmen zunächst keine Auskunft. Vom Einzelhandelskonzern Edeka hieß es, dass eine Umbenennung der Würzsaucen der Eigenmarken von Edeka und beim Netto Marken-Discount geprüft werde.

Imageschaden vermeiden

Über rassistische Logos und Werbung wird nicht erst seit den aktuellen Antirassismusprotesten diskutiert - erinnern wir uns zum Beispiel an diese H&M-Werbung oder diesen Werbespot von VW - wofür beide ordentliche Shitstorms ernteten. 

Doch gerade scheinen Unternehmen hinsichtlich ihrer Logos und Marken offenbar noch etwas aufmerksamer zu sein, um nicht als nächstes ins Visier zu geraten - so wie zuletzt der Uncle Ben's Reis, Schokokekse namens Afrika oder der Sarotti-Mohr. 

Knorr und Co. sind beim Re-Branding ihrer Würzsaucen also in guter Gesellschaft - aber auch sie müssen sich wie ihre Vorgänger Diskussionen im Netz stellen.

Das ist nicht verwundernswert. "Besonders die Reichweite und der Einfluss von Social-Media und den sich darin befindlichen Influencern sind moderne Hebelbewegungen, die das Markenimage heutzutage extrem schnell positiv oder negativ beeinflussen können", schreibt die Werbeagentur nk neue kommunikation.

Ein positives Markenimage ist ein wichtiger Erfolgsfaktor - und wertebasierte Themen mit Haltung gewinnen immer mehr an Bedeutung. "Unethisches Verhalten hat einen klaren negativen Einfluss auf das Markenimage", so die Autoren.

Die richtige Strategie

Herbert Heuß vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma zeigt sich indes weniger euphorisch, was die aktuelle Umbenennung von Knorr angeht - es sei eigentlich nicht erstaunlich, dass die "Zigeunersauce" mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht als die desolate Lage großer Teile der Roma-Bevölkerungen in Europa, "vor allem Westbalkan, oder die Ostslowakei oder Ostungarn, sind wirklich schlimm".

Auf Nachfrage, ob die ganze Diskussion um die Sauce das Problem - die Stigmatisierung und Ausgrenzung - ins Lächerliche zieht, sagt Heuß : "Mit Verlaub, ja. Denn dies ist nicht der Zusammenhang, in dem man den Begriff diskutieren muss. Nichtsdestotrotz macht die aktuelle Debatte die echte Herausforderung wieder einmal sehr deutlich - wie die Hassreden, die sich im Internet darüber entfachen, zeigen."

Nadezda, das größte europäische Roma-Ghetto in Sliwen, Bulgarien
Armut ist im größten europäischen Roma-Viertel "Nadezhda" in Sliwen, Bulgarien, allgegenwärtigBild: DW

Der Begriff "Zigeuner" war und ist eine Fremdbezeichnung. Deshalb hätte Heuß nichts dagegen, wenn er gänzlich aus dem Sprachgebrauch verschwindet, da er grundsätzlich negativ belegt sei. "Vorurteile sind veränderungsresistent. Sonst hätten wir ja auch keinen Antisemitismus in Deutschland", so Heuß. 

Um diesen entgegenzuwirken, müsse noch mehr Aufklärung stattfinden, indem sowohl die Geschichte von Sinti und Roma als auch Antiziganismus und Antisemitismus viel mehr in den Lehrplänen der Schulen verankert werden, aber auch Medien oder staatliche Institutionen den Themen mehr Beachtung schenken, Fort- und Weiterbildungen zur Geschichte von Sinti und Roma anbieten. 

Doch als fast noch wichtiger betrachtet Heuß die Begegnung, die in irgendeiner Form stattfinden müsse, denn "Beiträge von Sinti und Roma zur gesellschaftlichen Vielfalt sind zum Beispiel weitestgehend unbekannt, genauso wie kulturelle Beiträge".

Er verweist auf das RomArchive, ein digitales von der EU gefördertes Portal, das nach eigener Aussage durch von Roma und Sinti selbst erzählten Gegengeschichten eine im Internet international zugängliche, verlässliche Wissensquelle schafft, die Stereotypen und Vorurteilen mit Fakten begegnet.
"An solchen Ansätzen müssen wir weiter arbeiten", sagt Herbert Heuß.  

Hannah Fuchs Multimedia-Reporterin und Redakteurin mit Fokus auf Technik, digitalen Themen und Psychologie.