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Jarmysch: "Nawalny war mein erster Leser"

Elena Barysheva
17. September 2021

Sie ist seit 2014 Sprecherin von Alexej Nawalny. Nun erscheint Jarmyschs Erstlingsroman "DAFUQ" auf Deutsch. Ein Gespräch über ihre literarische und politische Tätigkeit.

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Kira Jarmysch
Schriftstellerin und Oppositionelle: Kira JarmyschBild: Alexander Zemlianichenko/AP Photo/picture alliance

Abgesehen von Putins omnipräsentem Presseoffizier Dmitri Peskow ist sie die wohl bekannteste Pressesprecherin Russlands: Kira Jarmysch. Die 32-jährige studierte Journalistik an der Diplomaten-Kaderschmiede MGIMO in Moskau - ohne Aufnahmeprüfung, da sie die landesweite "Intelligenz-Olympiade" gewonnen hatte. Bereits 2014 schloss sich Jarmysch dem Team um Alexej Nawalny an und beteiligte sich, neben ihrer Pressearbeit, an den großen Recherchen gegenkorrupte Politiker. Jarmysch war die junge Frau, die neben Nawalny im Flugzeug saß, als der auf einem Flug nach Moskau ohnmächtig wurde. Nicht zuletzt dank ihrer schnellen Reaktion war die Rettung des vergifteten Oppositionspolitikers möglich.

Nach Nawalnys Rückkehr nach Moskau im Januar 2021 wurde auch Kira Jarmysch wegen des Aufrufs zu Demonstrationen festgenommen und verbrachte danach mehrere Monate unter Hausarrest. Vor kurzem hat Jarmysch Russland verlassen und lebt jetzt "irgendwo in Europa", wo sie sich "sicher fühlt und vor allem viel effizienter arbeiten kann, als unter Hausarrest in Russland", so die junge Frau gegenüber der DW.

Ein (fast) autobiografischer Text

Gerade ist Kira Jarmyschs Debutroman "DAFUQ" auf Deutsch im Rowohlt-Verlag erschienen. Auf Russisch wurde der Roman unter dem Titel "Die unglaublichen Vorfälle in der Frauenzelle Nr. 3" in einem regimekritischen Moskauer Verlag bereits 2020 publiziert - und von der russischen Kritik hochgelobt.

Buchcover "DAFUQ" von Kira Jarmysch

Der Plot könnte fast autobiografisch gedeutet werden: Die Hauptfigur Anja Romanowa ist gerade 28 und zunächst recht apolitisch. Eher zufällig beteiligt sie sich eines Tages an einem Protestmarsch – und wird festgenommen. Ihre zehntägige Strafe verbüßt sie in einer Zelle mit fünf weiteren Frauen. Sechs Leben prallen aufeinander, sechs Schicksale, die das heutige Russland spiegeln, mit der Kluft zwischen Armut und Reichtum, Freiheitsstreben und Regime-Gläubigkeit. Eines haben sie allerdings alle gemeinsam: einen unendlichen Verdruss angesichts der bleiernen Realität des "ewigen Putin". Jarmysch ist ein einfühlsames, zorniges, oft auch lustiges Portrait der russischen Gesellschaft gelungen. Nun liegt der Roman in der Übersetzung von Olaf Kühl vor. Die DW hat mit Kira Jarmysch gesprochen:

DW: Ihr Roman ist auf Deutsch unter einem ganz anderen Titel erschienen als auf Russisch. Warum? Und was bedeutet "DAFUQ"?

Kira Jarmysch: Das ist eine Abkürzung von "What the Fuck". Man könnte es auch "Was soll das Ganze?" nennen. Aber der Titel ist natürlich mit mir abgesprochen und er gefällt mir: Er spiegelt sehr gut die Gefühle der Hauptperson wider.

Was ist an Ihrem Buch für die nichtrussischen Leser interessant?

Ich glaube, dass alles, was jetzt in Russland passiert, auch für den Rest der Welt relevant ist. Es ist sicherlich eine nützliche Lektüre für jeden, der verstehen will, was in Russland vor sich geht, wie das Land tickt. Ich glaube, mir ist ein ziemlich präzises Portrait der russischen Gesellschaft an der Schwelle zwischen den 2010er- und 2020er-Jahren gelungen. Ich wollte auch zeigen, wie sich eine junge Frau in dieser Gesellschaft fühlt.

Stand der Roman nicht im Widerspruch zu Ihrer politischen Tätigkeit?

Nein. Das Buch ist ja kein politisches Manifest.

Alexej Nawalny und sein Team, Kira Jarmysch steht links, 2018
Alexej Nawalny und sein Team, Kira Jarmysch steht links (2018)Bild: picture-alliance/AP Photo/P. Golovkin

Wie war die Rolle Alexej Nawalnys bei der Entstehung des Romans?

Er ist mein erster Leser und meine Inspirationsquelle. Als er vor zwei Jahren länger im Gefängnis war, habe ich ihn mit Lektüre versorgt. Darunter waren auffällig viele tolle Bücher von internationalen Autorinnen. Alexej war begeistert und sagte zu mir: "Das solltest du auch versuchen." Ich habe tatsächlich angefangen zu schreiben und Alexej war mein erster Kritiker: Ich habe ihm den Text Kapitel für Kapitel ins Gefängnis gebracht. Er hat ihn zwar nicht direkt lektoriert, aber mir ständig ein Feedback gegeben. Das war sehr wertvoll.

Sie haben kürzlich vor der Ausreise aus Russland sieben Monate unter Hausarrest verbracht. Haben Sie etwas Neues geschrieben?

Im Prinzip ist Hausarrest ein idealer Zustand, um zu lesen und zu schreiben. Aber es ist noch in der Genese und nicht spruchreif.

Haben Sie vielleicht vor, eine Biografie von Nawalny zu schreiben oder ihn bei einer Autobiografie zu unterstützen?

Wir haben darüber noch nicht gesprochen. Vielleicht später – man braucht eine gewissen Distanz, um Ereignisse und Prozesse richtig einzuordnen.

Das Justizministerium in Moskau hat im August Nawalnys Anti-Korruptionsstiftung FBK, seine Regionalbüros sowie die Stiftung zum Schutz der Bürgerrechte auf eine Liste verbotener Organisationen gesetzt. Wie sehen Sie die Zukunft der Organisation - und von Alexej?

Alles wird gut. ("Alles wird gut" waren die letzten Worte, die Nawalny nach der Verurteilung zu seiner Frau sagte - sie haben sich zu einer Art Kampfspruch seiner Anhänger entwickelt, Anm.d.Red.) Nein, im Ernst: Das ist kein gedankenloser Optimismus. Seit der Vergiftung von Alexej hat sich einiges verändert: Der Druck und die Repressionen haben enorm zugenommen. Aber auch die Unterstützung ist enorm gewachsen – ich habe nie so viel Unterstützung bekommen wie in der letzten Zeit. Was Alexej anbelangt, so will Putin eindeutig, dass er möglichst lange hinter Gittern bleibt. Wir werden aber alles tun, damit er möglichst schnell frei kommt. Daran werden wir arbeiten. Vieles hängt von den Wahlen ab. Denn das Monopol der Partei "Einiges Russland" ist der Hauptgrund dafür, dass Alexej im Gefängnis ist. Wenn es uns gelingt, dieses Monopol zu brechen, wird das eine unmittelbare Auswirkung auf Nawalnys Schicksal haben. Dabei ist jedoch klar, dass noch ein langer Kampf bevorsteht.

Deutschland I Demonstration für Kreml-Kritiker Nawalny in Düsseldorf
Demonstration für Nawalny in Düsseldorf (April 2021)Bild: Federico Gambarini/dpa/picture alliance