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Politik

Kinderehen in Deutschland: eine Herausforderung

21. September 2019

Vor zwei Jahren ist das "Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen" in Kraft getreten. Es soll verhindern, dass Minderjährige heiraten. In der Praxis funktioniert es nur begrenzt, zeigt eine Studie von Terre des Femmes.

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Symbolbild- Kinderehe - Protestaktion
In einer Protestaktion in Berlin hat Terre des Femmes 2015 eine Hochzeit mit einer Minderjährigen inszeniertBild: Imago/C. Ditsch

Es war gut gemeint: Als vor zwei Jahren das "Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen" in Kraft trat, schienen die Chancen gut, Menschen unter 18 Jahren davor zu schützen, in eine Ehe gezwungen zu werden. Das neue Gesetz legt das Mindestalter zur Heirat in Deutschland ausnahmslos auf 18 Jahre fest. Außerdem sieht es vor, dass Ehen, die bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes oder im Ausland geschlossen wurden, von einem Richter aufgehoben werden sollen, wenn die minderjährigen Partner bei der Hochzeit 16 oder 17 Jahre alt waren. Waren die minderjährigen Partner bei Eheschließung jünger als 16 Jahre, bedarf es keines Richters, solche Eheschließungen sind immer unwirksam.

Doch die tatsächliche Wirkung des Gesetzes ist begrenzt. Das zumindest zeigt eine Studie der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes - Menschenrechte für die Frau. Demnach wurden seit Inkrafttreten des Gesetzes bundesweit mindestens 813 Ehen mit Minderjährigen gemeldet. Doch nur zehn dieser Ehen wurden tatsächlich aufgehoben.

Hohe Dunkelziffer

Die Statistik zu erstellen, sei sehr schwierig gewesen, sagt Monika Michell, Referentin für "Gewalt im Namen der Ehre" bei Terre des Femmes. Denn in einigen Bundesländern gebe es keine zentrale zuständige Behörde. Stattdessen seien die Zuständigkeiten auf mehrere Städte oder Kreise verteilt. Innerhalb der Städte oder Landkreise sei es wiederum äußerst schwer gewesen, die zuständigen Ämter zu identifizieren. "Deshalb haben wir keine vollständige Zahl erheben können." Die Dunkelziffer dürfte erheblich über den bekannten Zahlen liegen, vermutet Michell: "Wir gehen davon aus, dass in Deutschland im Grunde jedes Wochenende Früh-Verheiratung stattfinden."

Kinderehe Aktion Italien Amnesty International
Protestaktion gegen Kinderehe der Menschenrechtsorganisation "Amnesty International" in Rom, 2016Bild: Getty Images/G.Bouys

Zu erkennen sei anhand der ermittelten Zahlen aber, dass das Gesetz von den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich umgesetzt werde, informiert die Frauenrechtsorganisation. So gebe es in einigen Bundesländern nur eine Behörde, die einen Antrag auf Aufhebung einer Ehe mit einer Minderjährigen stellen könne. In anderen existierten mehrere  Behörden gleichzeitig, sodass Zuständigkeiten häufig unklar seien. In Berlin seien lediglich 3 Fälle von verheirateten Minderjährigen bekannt, in Bayern hingegen 367 Fälle.

Die Fälle seien auch darum so schwer zu ermitteln, weil die Betroffenen von sich aus kaum aktiv würden, sagt Michell: "Sie selbst empfinden ihre Ehe oft gar nicht als Zwang. Denn sie kennen es gar nicht anders. Viele sind mit dem Phänomen aufgewachsen oder hatten die Ehe in einer gewissen Situation zunächst als Schutz empfunden." Dabei habe eine Ehe für Minderjährige oft schwere Konsequenzen: "Die Wahrscheinlichkeit einer Teenager-Schwangerschaft ist höher. Die Betroffenen riskieren einen Schulabbruch und verlieren auf diese Weise langfristige Perspektiven."

Die Zahlen weltweit

Weltweit geht die Zahl von Mädchen in Kinderehen derweil zurück. Der Anteil der Frauen, die vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet waren, sei im vergangenen Jahrzehnt von 25 auf 21 Prozent gefallen, informiert eine am Freitag veröffentlichte Studie des UN-Kinderhilfswerks UNICEF.Insgesamt gebe es rund 765 Millionen minderjährig-verheiratete Eheleute. Davon seien etwa 650 Millionen Mädchen. Etwa 115 Millionen der heute 20 bis 24 Jahre alten Männer seien bei ihrer Hochzeit minderjährig gewesen. Ein gutes Fünftel habe im Alter von 15 Jahren oder jünger geheiratet.

"Eine frühe Ehe bedeutet das plötzliche Ende der Kindheit und eine Verletzung der Kinderrechte", erklärte die UNICEF-Exekutivdirektorin Henrietta Fore in New York. Minderjährige Ehemänner seien gezwungen, die verantwortliche Rolle eines Erwachsenen zu übernehmen. Eine frühe Ehe bedeute sehr oft frühe Vaterschaft. Dies wiederum erzeuge einen noch größeren Druck, für die Familie zu sorgen.

Alarmierend ist die Zahl auch bei den Mädchen. Laut UNICEF werden pro Jahr etwa zwölf Millionen weibliche Minderjährige verheiratet. Bis zum Jahr 2030 drohten rund 150 Millionen weitere Mädchen unterhalb des Erwachsenenalters verheiratet zu werden.

Berlin Monika Michell, TERRE DES FEMMES am Arbeitsplatz
Monika Michell von Terre des Femmes Bild: Uwe Steinert

Vorschläge für bessere Umsetzung

In Deutschland sei mit dem Gesetz grundsätzlich eine gute Basis gelegt worden, um gegen Kinderehen vorzugehen, sagt Monika Michell von Terre des Femmes. Nun aber gelte es Transparenz zu schaffen: Jedes Bundesland müsse eine einzige zuständige Behörde haben. "Und bei ihr müssen die Fälle dann auch gemeldet werden. Denn nur so lässt sich verhindern, dass unnötig viel Zeit verstreicht, bis die Behörden eingreifen. Denn oftmals werden die Betroffenen in dieser Zeit volljährig. Dann liegt die Verantwortung, aktiv zu werden, bei ihnen." Den Mut dazu hätten aber die wenigsten Betroffenen.

Dies sei auch ein Grund dafür, dass bislang nur zehn Kinderehen aufgelöst wurden, sagt Michell. Ein anderer Grund sei das Recht auf Freizügigkeit innerhalb der EU: Oft hänge das Recht der Frau von ihrem Status als Ehefrau ab, erklärt Michell: "Wenn also der Ehemann eine Arbeitsstelle in Deutschland hat, hat er das Recht auf seine Freizügigkeit. Wird die Ehe aufgehoben, kann die Frau ihre Aufenthaltsberechtigung verlieren, da sie in der Regel noch kein Geld verdient oder noch keiner Arbeit nachgeht."

Hier kann eine Ausnahmeregelung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen greifen, nach der eine Ehe nicht aufgehoben werden soll, wenn das erhebliche Nachteilen für den minderjährigen Ehegatten hätte. Viele Fälle, sagt Michell, würden in diesem Sinne als Härtefall eingestuft, sodass die Ehe aufrechterhalten wird.

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DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika