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GesellschaftGlobal

KI-Models und die Revolution in der Modebranche

20. August 2024

Sie brauchen keine Kamera, sondern werden mit künstlicher Intelligenz kreiert. KI-Models schicken sich an, echte Mannequins zu verdrängen. Sie wirbeln die Modebranche auf und setzen vor allem junge Frauen unter Druck.

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Künstliche Frauenfigur, Symbolfoto künstliche Intelligenz
Große Augen, volle Lippen: Künstliche Intelligenz kann "makellose Gesichter" kreieren. Digitale Schönheiten verändern die Branche Bild: picture alliance / CHROMORANGE

2024 ist schon jetzt ein historisches Jahr. Zum ersten Mal in der Geschichte der weltweiten Schönheitswettbewerbe gibt es in diesem Jahr eine computergenerierte Schönheitskönigin. 

Die erste "Miss AI" der Welt ist die virtuelle Influencerin Kenza Layli, die sich gegenüber 1500 anderen virtuellen Konkurrentinnen behauptete. 

Kreiert wurde die Kunstfigur mit goldenem Hijab von Myriam Bessa, der Gründerin und Chefin der marokkanischen AI-Agentur Atelier Digital. Zur Siegerin gekürt wurde sie am 8. Juli vom Verband der World AI Creators Awards(WAICAS). 

Trendsetter Mango

Sind reale Mannequins also bald Geschichte? Auch wenn diese Frage nicht abschließend beantwortet werden kann, steht fest: Künstliche Intelligenz (KI) revolutioniert die Modebranche.

Die spanische Modemarke Mango zeigt, wo die Reise hingeht. Für die neue Kollektion "Sunset Dream" steht kein Model mehr vor der Kamera. Auf den Fotos ist nur die Kleidung echt. Diese wurde auf KI-Models projiziert.

KI-Werbekampagne von MANGO: Ein Frau mit langen braunen Haaren und einem gemusterten Oberteil steht vor einem Basar
"Traum in der Abendsonne: Die neue Kollektion "Sunset Dream" der Marke Mango wirbt mit einem KI-Model. Echt ist auf dieser Aufnahme nur die KleidungBild: Mango

Die Kampagne von Mango ist nicht der erste KI-Coup in der Modebranche. Bereits Anfang 2023 hatte die Jeansmarke Levi's Schlagzeilen mit dem Einsatz von KI‑Models und einer Kooperation mit dem niederländischen Startup Lalaland gemacht, das KI-Modelle für den E-Commerce herstellt.

"Künstliche Intelligenz löst in der Modebranche gewaltige Veränderungen aus", schreibt Max Dewod von der US-Marketing-Agentur Reverb, die sich auf KI spezialisiert hat.

Mehr Diversität dank KI-generierter Models?

"Marken wie Zara, H&M, Nike, Levi's ASOS und Burberry zeigen, wie KI bereits genutzt wird, um Trends zu erkennen und zu nutzen, Kundenbetreuung zu verbessern, Suchfunktionen zu optimieren und Shoppingverhalten zu personalisieren." 

Dove: "Echte Frauen statt KI-Bilder"

Nur eine Marke verweigert sich dem Trend ganz bewusst: Dove. In einer Erklärungvom Mai dieses Jahres verspricht das Unternehmen, das zum britischen Konzern Unilever gehört, "niemals KI-Bilder anstelle echter Frauen zu zeigen".

Damit nicht genug. Der Konzern verspricht zusätzlich, "niemals digitale Verfälschung anzuwenden und unrealistische, verfremdete und makellose Darstellungen 'perfekter' Schönheit zu zeigen, die der Einsatz von Bildbearbeitungsprogrammen ermöglicht."

Kosmetik Plakatwand Dove. Zu sehen sind Frauen in weißer Unterwäsche mit unterschiedlichen Hauttypen und Körpermaßen
Vielfalt statt vorgegebene Schönheitsideale: Die Marke Dove wirbt für die Schönheit realer Frauen und verspricht, keine künstliche Intelligenz einzusetzenBild: Thomas Bartilla/akg-images/picture-alliance

Der Grund: In einer vom Konzern erstellten Studie mit dem Titel "The Real State of Beauty: A Global Report"wird nachgewiesen, dass KI-Models und KI-Influencerinnen mit ihrem perfekten Aussehen insbesondere junge Frauen und Mädchen unter Druck setzen. 

So stimmte zum Beispiel die Mehrheit der 14- bis 17-Jährigen Mädchen dem Satz zu: "Plastische Chirurgie trägt dazu bei, dass Du Dich in deinem Körper wohler fühlst." Besonders hoch waren die Zustimmungsraten in Brasilien (69%) und China (56%).

Für den Report wurden rund 33.000 Menschen in 20 Ländern befragt. Darunter 14.000 Frauen und 4000 Männer im Alter von 18 bis 64 Jahren, und 9500 Mädchen und 4700 Jungen im Alter von zehn bis 17 Jahren.

Südkorea Seoul | Eine junge Frau lässt sich in Südkorea bei einer Schönheits-OP die Nase verkleinern
Aussehen ist alles: Eine junge Koreanerin lässt sich vor ihrer Schönheits-OP fotografierenBild: Kim Hong-Ji/REUTERS

Männer hätten gerne mehr Muskeln

Auch Männer und Jungen stehen unter Optimierungsdruck. So gaben 79 Prozent der Männer und 74 Prozent der Jungen an, sie fänden ihren Körper nicht muskulös genug. Im weltweiten Durchschnitt erklärten 68 Prozent der Männer und 59 Prozent der Jungen, sie fühlten sich unter Druck, attraktiver auszusehen. Die brasilianische Aktivistin Beta Boeschat, die an dem Report mitgewirkt hat, bestätigt die allgemein wachsende Unzufriedenheit mit dem eigenen Aussehen.

"Je mehr Werkzeuge zur Verfügung stehen, um unser Erscheinungsbild zu verändern, desto mehr wächst der Druck, das digitale Schönheitsideal auch physisch und real zu erreichen", antwortet sie auf eine Anfrage der DW.

Den Beweis dafür sieht sie in der zunehmenden Zahl von Schönheitsoperationen weltweit. Mittlerweile sei ein operativer Eingriff erschwinglicher und einfacher geworden. "Dies erhöht den Optimierungsdruck nicht nur bei Frauen, sondern auch bei Männern", so Boechat.

Selfie: Drei junge Frauen machen ein Selfie vor dunklem Hintergrund und lächeln in die Kamera
Selbstoptimierung: Bevor das Selfie gepostet wird, wird das Erscheinungsbild häufig durch einen Filter noch einmal bearbeitetBild: ingimage/IMAGO

Digitale Schönheit, reales Aussehen

Auch Helmut Leder, Professor für empirische Ästhetik in der Psychologie an der Universität Wien äußert sich gegenüber der DW besorgt über den Druck, der aus der Kluft zwischen digitalen Schönheitsidealen und realem Aussehen erwächst. "Das ist ein ganz dramatisches Problem", so Leder.

Er stellt klar: "Künstlich produzierte Gesichter haben keine Hautmakel, sie haben perfekte Proportionen und entsprechen fast alle einem allgemeinen Schönheitsideal."

Und: "In einer Welt, in der wir nicht mit echten Personen, sondern mit vielen künstlich verschönerten Gesichtern konfrontiert sind, ist der individuelle Wunsch, attraktiv und schön zu sein, enorm."

Eine Fotomodel in einem weißen Gewand, aufgeblasen vom Wind, geht über einen Laufsteg bei dervRed Sea Fashion Week in Saudi-Arabien
Bald Geschichte? Echte Models auf einem echten Laufsteg bei der Red Sea Fashion Week in Saudi-Arabien Bild: FAYEZ NURELDINE/AFP

Beliebte Schönheitsfilter

Für die Entwickler des finnischen KI-Models Milla Sofiasind virtuelle Mannequins und Influencerinnen kein Drama, sondern lediglich Beispiele für den durch KI ausgelösten gesellschaftlichen Wandel. Auf einer eigenen Webseite lassen sie das KI-Model selbst diese Gedanken äußern und versuchen so, Bedenken auszuräumen.

"Durch die in den sozialen Medien beliebten Schönheitsfilter hat der Druck auf das äußere Erscheinungsbild zugenommen", heißt es dort. "Mit KI sind Veränderungen schlicht einfacher, sie sind nur ein weiterer Schritt in dem bereits existierenden Trend zur Selbstoptimierung."

Die britische Schönheitsexpertin Sally-Ann Fawcett betrachtet die KI-Revolution in der Modebranche als Chance für mehr weibliche Präsenz. Die Buchautorin war Jury-Mitglied beim Schönheitswettbewerb "Miss AI 2024".

"In den 70er Jahren wurde die Mehrheit aller Schönheitswettbewerbe von Männern organisiert", erklärte sie gegenüber dem US-Magazin Time. "Mittlerweile sind in Großbritannien 95 Prozent aller Schönheitswettbewerbe in Frauenhand." 

Aktivistin Beta Boechat hingegen befürchtet einen Rückschlag für die "Body-Positive-Bewegung", die seit Jahrzehnten für die Abschaffung unrealistischer und diskriminierender Schönheitsideale eintritt. Unter Aktivisten sei dieser bereits spürbar, bestätigt sie gegenüber der DW.

"Die KI erreicht die Gesellschaft in einem sensiblen Moment", beobachtet Boechat. "Der ästhetische Anspruch nimmt zu, und die Bewegungen gegen die Macht des Körperkults sind schwächer geworden."

Unter Mitarbeit von Jakov Leon.