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Karlsruhe: Abgeordnete müssen informiert werden

Bettina Marx19. Juni 2012

Die Grünen haben vor dem Bundesverfassungsgericht einen deutlichen Sieg errungen. Mit ihrer Entscheidung stärken die Karlsruher Richter die Beteiligungsrechte des Parlaments bei Entscheidungen der EU.

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Der Präsident des BUndesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle,zweiter von links, und andere Verfassungsrichter entscheiden über die Beteiligungsrechte des Parlaments beim ESM. Foto: Reuters
Bild: Reuters

Bei der Opposition in Berlin herrscht Genugtuung über die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Vertreter von SPD und Grünen sehen dadurch ihre parlamentarischen Rechte gestärkt.

Der Zweite Senat hatte der Fraktion der Grünen Recht gegeben, die gegen die Bundesregierung geklagt hatte. Die Abgeordneten sahen ihre parlamentarischen Rechte verletzt, weil die Bundesregierung sie nicht umfassend und rechtzeitig über die Pläne zum Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM und dem Euro-Plus-Pakt informiert hatte. Damit sei ihnen die Möglichkeit genommen worden, auf die Entscheidung der Regierung einzuwirken, kritisierten die Grünen.

Die Karlsruher Richter stimmten dieser Sichtweise zu. Die Verabredungen über den ESM seien bereits im Februar 2011 zwischen den Regierungen getroffen worden, heißt es in der Urteilsbegründung. Ende März habe es feste Vereinbarungen gegeben, die Abgeordneten aber seien erst im Mai informiert worden. Von den Beschlüssen zum Pakt für Wettbewerbsfähigkeit, dem sogenannten Euro-Plus-Pakt, seien sie erst an dem Tag unterrichtet worden, an dem er von den Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone vereinbart wurde. Die Richter rügte dieses Vorgehen. Das Grundgesetz verpflichte die Regierung dazu, das Parlament zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten, damit es nicht in eine bloß nachvollziehende Rolle gerate, stellte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, fest. Er wies das Argument der Bundesregierung zurück, dass es bei Verhandlungen auf internationaler Ebene hinderlich sei, wenn der Bundestag zu früh informiert werde. "Demokratie hat ihren Preis. Bei ihr zu sparen könnte aber sehr teuer werden", so Voßkuhle in einer schriftlich verbreiteten Erklärung.

Urteil stärkt Parlament bei Euro-Rettung

Zufriedenheit bei der Opposition

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, reagierte erfreut auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Der Bundestag sei kein Bittsteller, sondern habe einen Rechtsanspruch, sagte er. Dies sei ein guter Tag für die Demokratie in Deutschland. Ähnlich äußerte sich der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann. Er sprach von einer "schweren Blamage für die Bundesregierung" und forderte, das Urteil in das laufende Gesetzgebungsverfahren zu ESM und Fiskalpakt einzuarbeiten und umzusetzen.

Die Bundesregierung zeigte sich von dem Urteil überrascht. Finanzstaatssekretär Werner Gatzer sagte in Karlsruhe, er habe dies nicht in der Klarheit erwartet. Er kritisierte, dass internationale Verhandlungen und die Geheimhaltung nun erschwert würden. Bundesaußenminister Guido Westerwelle dagegen versprach, dass das "Urteil selbstverständlich nach bestem Wissen und Gewissen" umgesetzt werde.

Abgeordnete sitzen im Plenum des Bundestages in Berlin Foto: AP/dapd
Das Parlament muss so früh wie möglich informiert werdenBild: AP

Nach Einschätzungen aus Koalitionskreisen wird die geplante Ratifizierung von ESM und Fiskalpakt Ende Juni von der Entscheidung der Verfassungsrichter aber nicht beeinflusst.

Bundesverfassungsgericht stärkt Parlament

Bundestagspräsident Norbert Lammert begrüßte das Urteil. Damit sei "die zentrale Stellung des Bundestags als Ort der öffentlichen politischen Auseinandersetzung und der rechtsverbindlichen Entscheidung bekräftigt worden", sagte er. Damit gelte das Mitspracherecht des Bundestages nun auch für völkerrechtliche Verträge.

Es ist das zweite Urteil, mit dem das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit den Maßnahmen zur Eurorettung die Rechte des Parlaments stärkt. Im vergangenen Februar hatten die Richter entschieden, dass haushaltspolitische Fragen im gesamten Parlament debattiert werden müssen. Sie hatten damit dem Plan der Bundesregierung eine Absage erteilt, ein neunköpfiges Sondergremium des Haushaltsausschusses einzusetzen, um über die finanzpolitischen Auswirkungen der Europäischen Finanzmarkt-Stabilisierungsfazilität ESFS zu entscheiden. "Budgetrecht und haushaltspolitische Gesamtverantwortung werden grundsätzlich durch Verhandlung und Beschlussfassung im Plenum wahrgenommen", entschieden die Richter. Das Sondergremium dürfe nur in ganz eng gefassten Ausnahmen beauftragt werden.