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Karawane nach Kroatien

Nemanja Rujević17. September 2015

Seit die ungarische Grenze so gut wie dicht ist, schicken die serbischen Behörden Flüchtlinge gen Kroatien. Die letzten drei Kilometer müssen die Menschen laufen - DW-Reporter Nemanja Rujević lief mit.

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Die Flüchtlinge an der serbisch-kroatischen Grenze (Foto: Nemanja Rujević)
Bild: DW/N. Rujević

Noch am Dienstagvormittag war Šid eben Šid - ein verschlafenes Städtchen im westlichen Serbien, direkt an der Grenze zu Kroatien. Auch jetzt stehen, wie immer, Fahrer neben ihren aufgereihten Lastwagen und verkürzen die stundenlange Warterei am Grenzübergang mit Small Talk. Neugierig gucken sie auf Journalisten und Kameraleute, die auch warten - nur viel ungeduldiger.

Sie warten auf Busse mit Flüchtlingen. Mehr als 5400 sind es bereits, die aus dem ganzen Land seit Dienstagabend hierher geschickt wurden. Von der Grenze zu Mazedonien, aus Belgrad und seit kurzem auch aus Horgoš an der nördlichen Grenze, wo die ungarische Polizei den Flüchtlingen mit Zaun, Pfefferspray und Wasserkanonen demonstriert hat, dass sie dort nicht willkommen sind.

Šid macht Schlagzeilen. In der Masse der übermüdeten Menschen, die aus den Bussen aussteigen, fällt Hussam al Habali sofort auf. Der dünne, noch nie rasierte Schnurrbart passt zu seinen 18 Jahren. Er trägt einen Rucksack und hat beide Hände voll mit Wasser, Toastbrot und Sardinen. Das alles hat er gerade von den Helfern hier bekommen, Spenden aus Deutschland.

Der junge Syrer trägt diszipliniert auch eine leere Plastikflasche mit sich - als ob hier, zwischen Maisfeldern und zwei Balkanländern, ein Mülleimer nur auf ihn wartet. "Ich habe auch in Griechenland meinen Müll gesammelt und in die Mülltonne geworfen. Da waren wir auf einer wundervollen Insel - dort sollte man wirklich keinen Müll auf die Straße werfen."

Der ewige Krieg

Die "wundervolle Insel" ist Kos. Zwei Anläufe aus dem türkischen Izmir hat Hussam al Habali mit dem Schleuserboot gebraucht, beim ersten wäre er beinahe ertrunken. In acht Tagen hat er es von seiner Heimatstadt Homs bis hierher nach Šid geschafft. Der Englisch-Student ist allein unterwegs und macht sich Sorgen um seine Mutter und seine beiden Schwestern, die er zurücklassen musste. Auch einen älteren Bruder, Osama, hat er noch - so hofft Hussam zumindest.

Denn Osama al Habali ist ein international bekannter junger Journalist und Filmemacher. Er hat den Ausbruch der Proteste gegen das syrische Regime in Homs gefilmt und wurde wegen seiner Kritik an der Regierung in Syrien vor mehr als drei Jahren verhaftet. Seine Familie weiß nicht einmal, ob er noch am Leben ist.

Die Flüchtlinge an der serbisch-kroatischen Grenze (Foto: Nemanja Rujević)
Hussam al Habali zieht von der serbischen Stadt Šid (Sid) weiter Richtung KroatienBild: DW/N. Rujević

"Er soll im Gefängnis Sednaya in der Nähe von Damaskus sein. Sednaya hat drei Pavillons - einen weißen, einen gelben und einen roten. Der Rote ist der schlimmste - da werden nur Reporter oder politische Häftlinge interniert", berichtet Hussam. Voller Hoffnung fragt er, ob man vielleicht aus Deutschland etwas unternehmen könne, damit er seinen Bruder wiedersehen kann?

Auch sonst hält Hussam viel von Deutschland. In Berlin habe er Freunde, die schon seit Jahren dort lebten. "Vielleicht werde ich da auch studieren dürfen. In Syrien kann man lernen, lernen, lernen… aber am Ende landet man in der Armee. Ein Diplom hilft da nichts." Er scheint sich mit der Tatsache arrangiert zu haben, seine Heimat nie wieder zu sehen. Der Krieg dort werde ewig dauern.

Verklärtes Deutschlandbild

Der junge Mann denkt auch geostrategisch darüber nach, warum Deutschland in Europa mit Abstand die meisten Flüchtlinge aufnimmt: "Die Amerikaner wollen nur Öl und Schätze aus dem Persischen Golf und dem Nahen Osten. Die Deutschen möchten auch Kontrolle haben, aber über Emotionen. Und sie schaffen es", sagt er.

Er zieht sein Smartphone aus der Hosentasche, um eine kleine Präsentation zu halten. Dort sind viele Montagen von Bundeskanzlerin Merkel mit der deutschen Flagge oder dem Adler zu sehen. Dazu Liebeserklärungen auf Arabisch und Deutsch. "Viele Syrer haben das Foto der Kanzlerin auf Facebook oder als Hintergrundbild auf ihren Handys."

Aber nicht nur über Merkel, auch über Menschen, die Flüchtlingsheime in Brand setzen und Migranten beschimpfen, wisse er Bescheid. "Sie denken wohl, dass sie uns nicht brauchen. Aber wenn wir hart arbeiten und lernen, werden wir für Deutschland zweifellos gut sein." Außerdem habe er gehört, dass Deutschland keine so große Bevölkerung habe. "Wie viele Menschen leben da?" 80 Millionen. "So viele? Aber das Land ist riesig, oder?"

Die Flüchtlinge an der serbisch-kroatischen Grenze (Foto: Nemanja Rujević)
Madonna der Flüchtlinge: Bei Flüchtlingen genießt Kanzlerin Merkel KultstatusBild: DW/N. Rujević

"Everything is going to be alright"

Als wir entlang des Feldwegs gen Kroatien laufen, bietet Hussam al Habali mehrmals sein Wasser an. Die Sonne brennt, doch die Hitze ist für den Syrer kein Problem. Die Minenfelder hingegen schon. Tausende ungeräumte Sprengkörper lauern noch auf einer Fläche von 500 Quadratkilometern in Kroatien - sie sind lebensgefährliche Zeugen des blutigen Krieges, der den Zerfall des kommunistischen Jugoslawiens bedeutete.

Das Wort Jugoslawien kommt Hussam irgendwie bekannt vor: "Das war ein Teil des großen Russlands, oder?" Er hört aufmerksam zu, über den Krieg der Serben und Kroaten, der stattfand, bevor er geboren wurde. Wenige Minuten später wird es klar, dass Hussam und andere Flüchtlinge von den Landminen wenig zu befürchten haben.

Sie treffen auf freundliche Polizisten aus Kroatien. Einer von ihnen sorgt für gute Laune: Als eine Frau sagt, dass sie aus Kamerun kommt, erinnert sich der Polizist an seinen Lieblingsfußballer: "Kamerun? Samuel Eto'o!" Ein Familienvater will wissen, was jetzt passiert. "Don't worry. Everything is going to be alright", beruhigt der Beamte ihn.

Die kroatische Polizei hat aus Chaos innerhalb von 24 Stunden Ordnung geschaffen. Jetzt laufen die Flüchtlinge nicht mehr hastig durch Maisfelder, sondern auf einem Weg direkt auf die Polizisten zu. Allein am Mittwochnachmittag sind so hunderte Menschen hier eingetroffen. Im Hintergrund warten unzählige Transporter der Polizei, die die Flüchtlinge ins wenige Kilometer entfernte Dorf Tovarnik bringen, wo sie schnell registriert und dann weitergefahren werden in eine der wenigen Unterkünfte.

Hussam al Habali weißt nicht so genau, was in Kroatien auf ihn wartet. Er würde gerne direkt weiter nach Österreich. Die Information, dass dazwischen noch das kleine Slowenien liegt, nimmt er gelassen zur Kenntnis. Es ist schließlich nur eine Zwischenetappe mehr.