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K.O. Götz wird 100

Silke Wünsch22. Februar 2014

Die letzte lebende Kunstlegende. Der Retter der deutschen Kunstszene nach dem zweiten Weltkrieg. Vater des Informel-Stils, Lehrer von Polke, Richter, Schult. Sein Name: Karl Otto Götz. Alter: 100 Jahre.

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K. O. Götz Mischtechnik auf Leinen
Bild: cc-by-sa/Jan Schüler

Seine erste Zeichnung habe sein Vater ihm um die Ohren gehauen, erzählte der Künstler kürzlich noch in einem Fernsehinterview. Diese Interviews sind selten geworden. Erstens hat K. O. Götz noch nie viel von Starrummel gehalten, und zweitens ist er ein sehr alter Mann. Am 22. Februar 2014 feiert er seinen hundertsten Geburtstag. Und mit ihm feiert die Kunstwelt: In ganz Deutschland gibt es Retrospektiven, die größte in der Berliner Nationalgalerie, die charmanteste jedoch im Suermondt-Ludwig-Museum in Götz' Heimatstadt Aachen.

"Er war immer ein sehr experimenteller Künstler", erzählt Adam C. Oellers, Kurator der Ausstellung und langjähriger Freund des Künstlers.

Ihm ist es wichtig, nicht nur die informelle Malerei Götz' ins Zentrum der Ausstellung zu rücken, er möchte auch die Nebenwege aufzeichnen, die der Künstler gegangen ist. Und das sind wahrhaftig viele. Götz war begeisterter Segelflieger. Er hat Radios gebastelt, lange bevor es Volksempfänger gab. Hat schon als kleiner Junge mit allem herum experimentiert, was ihm in die Finger kam, mit zehn Jahren machte er seine ersten Versuche mit dem Fotoapparat. Früh hatte er surrealistische Gedichte geschrieben. Sein Vater unterstützte ihn zunächst und schenkte ihm eine Staffelei. Die Ergebnisse der kreativen Arbeit seines Sohnes überzeugten ihn allerdings nicht - das erste Selbstporträt landete im Müll.

K.O. Götz "Viva Aix-La-Chapelle"
Adam C. Oellers vor "Viva Aix-La-Chapelle" (2005)Bild: DW/S. Wünsch

Entartet aber nicht verfolgt

Auch die Nazis hielten nicht viel von Götz' Kunst, er galt als entartet. "Sie haben ihm Mal- und Ausstellungsverbot erteilt", erzählt Oellers. "Dann hat er natürlich heimlich weiter gemacht. Diese Bilder hat er dann anstelle seines Namens mit einer Möwe signiert, um möglichst anonym zu bleiben." Um sich über Wasser zu halten, habe er Auftragswerke gemalt, sogar für eine Tapetenfabrik Muster entworfen. Als der Krieg kam, wurde Götz eingezogen und später nach Norwegen versetzt - da hatte die Reichskulturkammer keinen Zugriff mehr auf ihn.

Nach dem Krieg bekam Götz sofort Anerkennung aus dem Ausland. "Die dachten ja, hier in Deutschland gäbe es nur noch Nazimalerei", so Oellers. "Das war schon sehr bedeutend, dass da auch ein junger deutscher Künstler kam, der ganz auf der Linie der Pariser Künstler war. Dadurch haben die ihn auch mit offenen Armen aufgenommen."

Götz selbst wiederum kümmerte sich darum, die internationale Kunst im Nachkriegsdeutschland bekannt zu machen und gab Hefte heraus, in denen er etwa die dänische, holländische oder englische Kunst vorstellte. "Er war quasi ein früher Networker - es war für die deutsche Kunst sehr wichtig, dass jemand die Grenzen für die Moderne öffnete."

Austellung Karl Otto Götz Neue Nationalgalerie in Berlin
Die Berliner Nationalgalerie zeigt viele großformatige BilderBild: picture-alliance/dpa

Spontan, emotional und gesetzlos

Initialzündung für Götz' Hinwendung zu seinen großformatigen Farbspektakeln war die Entdeckung, wie sich Tapetenkleister und Farben auf einem Untergrund verhalten. Auf vielen Fotos ist Götz in seinem Atelier zu sehen, er steht, manchmal nur in Unterwäsche, über einem riesigen Stück Papier oder Pappe, mit seinen überdimensionierten Werkzeugen in der Hand. Oellers hat ihn oft beim Arbeiten beobachtet: "Er geht ganz schnell ins Bild mit der Farbe, trägt sie auf, reißt sie mit einer Art Gummischieber wieder weg und bildet so eine Negativstruktur. In einem dritten Arbeitsgang kontrolliert er mit kleineren Pinseln nochmal seine Komposition. Es ist ein Spiel zwischen Grundmustern und einer sehr spontanen Bewegung." Und ein sehr schnelles: Ein solches Bild war innerhalb von wenigen Sekunden fertig.

K.O. Götz "Sperber"
Der "Sperber" (2003) - ein Wechselspiel aus Grenze und freier FlächeBild: DW/S. Wünsch

Vogelfrei

Emotion und Spontaneität - das ist das Geheimnis der informellen Malerei, eine Kunstrichtung, die sich an keine Grenzen mehr halten wollte. So setzte sich auch K.O. Götz gerne über Grenzen hinweg. Er schaffte gleich eine ganze Serie aus bemalten Wandskulpturen, die an Vögel erinnern sollen. In Aachen ist der "Sperber" mit seinem viereckigen "Aszendenten" zu sehen -laut Oellers die "informelle Form der Entgrenzung, des Vogelflugs - die Form ist offen belassen. Die Vorstufe dazu ist aber noch das viereckige Bild. Hier zeigen sich die Gegensätze: Bei der offenen Form kann man einfach drüber arbeiten. Und ist damit viel freier. Das ist die Loslösung von dem festen Kompositionsviereck."

Alles ist bemalbar

K. O. Götz war unermüdlich und vielseitig. Kein Material war vor ihm sicher. Seine Schnellzeichnungen - kurze, rasche Skizzen, irgendwo auf Papier aufgebracht, sind später in große Stahlreliefs übersetzt worden.

Er hat Keramik geformt und bemalt. Schalen, Tellern, auch Krawatten Möbelstücken hat er seinen künstlerischen Stempel aufgesetzt. Er hat riesige japanische Kunstdrachen aus Papier geschaffen, er entwarf Bühnenoutfits, Weinetiketten und stellte abstrakte Fotoarbeiten her.

K.O. Götz "Maria"
Eine schnelle Skizze als Stahlrelief "Maria" (2002)Bild: DW/S. Wünsch

Zusammen mit Kurator Oellers entstand 2001 eine Reihe von Lichtgravuren: "Ich habe ihm eine kleine Leselampe in die Hand gedrückt, dann hab ich mit der Kamera lange belichtet, und er hat blind in die Luft gemalt - er konnte ja schon kaum noch etwas sehen. Irgendwann hat er dann 'Stopp' gesagt - und ich war dann ganz überrascht, dass da tatsächlich ganz wunderbare Lichtbilder entstanden sind." Auf diesen Schwarz-Weiß-Fotografien steht der Künstler wie ein geisterhafter Schemen hinter seinen Lichtzeichungen.

K.O. Götz ist ein alter Mann geworden. Sein plötzliches Revival anlässlich seines Geburtstags nimmt er ziemlich gelassen hin. "Wenn es ihm zu viel Rummel wird, und alle fangen an um ihn herumzuspringen, dann fängt er auch an zu schimpfen", lacht Oellers.

Götz sitzt gerne in seinem Sessel, in seinem Haus im Westerwald. Er spricht auch nicht mehr sehr viel. Aber er hört ganz genau zu. "Wenn ich mich mit seiner Frau Rissa unterhalte, dann gibt er auch schon mal Kommentare ab", erzählt Oellers. Nach wie vor höre er gerne Musik, verfolge die Nachrichten und sei immer noch am öffentlichen Geschehen beteiligt. Auf seine Art eben.

Porträt Karl Otto Götz
Der 100-jährige Künstler ist fast vollständig blind, malt aber immer nochBild: picture-alliance/dpa

Das jüngste Bild, das im Aachener Museum zu sehen ist, hat Götz gerade erst gemalt. Es ist natürlich nicht mehr so groß, und es ist in schwarz-weiß gehalten. Aber dass es von einem blinden Maler stammt, das glaubt man nicht, wenn man davor steht.