1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Brüssel: Nehmt Euch Zeit für Jamaika!

20. November 2017

Überraschung, Sorgen, aber keine Panik. Das ist die Reaktion in der EU auf die gescheiterten Jamaika-Sondierungen in Berlin. Entscheidungen in Brüssel könnten verschoben werden. Bernd Riegert berichtet.

https://p.dw.com/p/2nw6c
Jamaika Fahne vor Reichstag
Bild: picture-alliance/dpa/dpaweb

"Wir haben sieben Monate gebraucht, um eine Koalition zu bilden", sagte der niederländische Außenminister Halbe Zijlstra in Brüssel mit einem leichten Lächeln. "Die Deutschen haben also noch fünf Monate gut." Zijlstra, der zu einem Treffen des Ministerrates in Brüssel war, wurde dann aber ernster: "Das ist eine schlechte Nachricht für Europa, dass das mit der Regierung länger dauern wird. Deutschland ist ein sehr einflussreiches EU-Mitglied. Wenn die Regierung kein Mandat hat, wird es sehr problematisch, schwierige Entscheidungen zu treffen."

Am vergangenen Freitag war Deutschland beim Gipfel der Europäischen Union zu sozialen Fragen überhaupt nicht vertreten. Die Bühne gehörte alleine dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron. Nun waren die Themen des Sozial-Gipfels in Göteborg keine wirklich strittigen, dennoch war das Fehlen Deutschlands auffällig. In Brüssel fragt man sich nun, wie viele Monate das noch so weiter gehen wird. In dieser Woche bereits findet ein Gipfeltreffen mit den östlichen Nachbarn der EU statt. Kommende Woche ist ein Treffen mit afrikanischen Staaten geplant. Entscheidend ist dann ein Gipfeltreffen der Europäischen Union Mitte Dezember. Da sollte eigentlich über die Zukunft der Euro-Zone und das weitere Vorgehen in Sachen Brexit entschieden werden. Das wird aus Sicht von EU-Diplomaten nun schwieriger, aber nicht unmöglich.

Macron: "Nicht unser Interesse"

UN-Klimakonferenz 2017 in Bonn | Emmanuel Macron, Präsident Frankreich
Macron braucht Deutschland als PartnerBild: Getty Images/AFP/L. Schulze

Besonders der französische Staatspräsident Emmanuel Macron, der weit reichende Reformen der Währungsunion anstoßen will, braucht dazu die Unterstützung aus Berlin. Entsprechend war seine Reaktion. Er sagte am Vormittag am Rande von Gesprächen im Elysee-Palast in Paris: "Es ist nicht in unserem Interesse, dass sich das anspannt. Wir müssen voran kommen." Macron hatte darauf gebaut, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel im Amt bleiben und eine nach den Partei-Farben benannte "Jamaika"-Koalition aus CDU, CSU, Grünen und Liberalen formen kann.

Auch in Österreich, wo ebenfalls schwierige Koalitionsverhandlungenzwischen den Konservativen und den Rechtspopulisten laufen, zeigt man sich besorgt. "Das Scheitern bringt eine schwierige Situation nicht nur in Bezug auf Deutschland, sondern auch in Bezug auf die Europäische Union", meinte der Finanzminister Österreichs, Hans-Jörg Schelling, in Brüssel. Schelling ist wie seine Kollegen in Deutschland ebenfalls nur geschäftsführend im Amt. "Wir sind mitten in einer Phase, wo wir diskutieren, wie Europa vorangehen sollen. Da ist ein Partner wie Deutschland von entscheidender Bedeutung."

"Weiter verhandeln!"

Deutschland Angela Merkel Scheitern der Sondierungsgespräche
Enttäuschung: Europas dienstälteste Regierungschefin scheitertBild: picture alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Der niederländische Außenminister Halbe Zijlstra empfiehlt den möglichen Jamaika-Partnern in Deutschland, die ganze Sache noch einmal zu überdenken und die Verhandlungen dann wieder aufzunehmen. Von den Niederlanden kann man lernen, dass man sich mehr Zeit nehmen sollte. Neuwahlen wären "ein schlechtes Szenario." Da kann der Finanzminister aus Österreich nur zustimmen. Neuwahlen mit ungewissem Ausgang "sind kein wünschenswertes Szenario. Das haben wir in anderen Ländern auch erlebt", so Hans-Jörg Schelling. Auch eine geduldete Minderheitsregierung führe meistens doch zu Neuwahlen, gibt der Österreicher zu Bedenken. In Nordeuropa sind Minderheitsregierungen dagegen durchaus üblich.

Der belgische Außenminister Didier Reynders rät zur Gelassenheit. "Wir haben in Belgien einige Erfahrung mit langen Verhandlungen." Belgien war vom Sommer2010 bis zum Dezember 2011 ganze 18 Monate ohne Regierungskoalition und hält damit einen Rekord in der EU. Reynders meinte, lange Koalitionsgespräche sehe man wegen der schwierigen Parteienkonstellationen immer mehr in Europa. "Vielleicht wird das auch in Deutschland Tradition."

"Deutschland wird normal"

Straßburg EU-Parlament - Parlamentarier Philippe Lamberts
Europapolitiker Lamberts: Keine wirkliche ÜberraschungBild: picture-alliance/dpa/Wiktor Dabkowski

"Willkommen in der wirklichen Welt, Deutschland!" So reagierte der belgische Europaabgeordnete Philippe Lamberts im Gespräch mit der DW auf die Krise  in Berlin. "Das hat mich nicht wirklich überrascht. Schuld ist vor allem das Taktieren der Liberalen", meinte der grüne Abgeordnete Lamberts. Mit den komplizierten Koalitionsverhandlungen sei Deutschland "ein Stück normaler" geworden. In vielen EU-Staaten gebe es durch die Zersplitterung der Parteiensysteme oft langwierige Verhandlungen. "Allerdings habe ich vor einem Monat noch geglaubt, die Frau Merkel schafft das wieder."

Ungewöhnlich war in Brüssel die Reaktion der EU-Kommission. Die supranationale Behörde äußert sich normalerweise nicht zu Wahlen oder Koalitionsverhandlungen in Mitgliedsstaaten mit Verweis auf "interne" Angelegenheiten. Im deutschen Fall aber ließ sich Kommissionssprecher Margaritis Schinas zu einer Aussage hinreißen. Die EU-Kommission sehe eine Basis für "Stabilität und Kontinuität" und hoffe, dass sie auch in diesem Fall gewährleistet werden könne. Shinas zitierte den Grundgesetzartikel 63 zur Wahl des Bundeskanzlers und sagte, er habe, "Zuversicht in den Verfassungsprozess" in diesem großen und wichtigen Mitgliedsstaat. Ob es durch die zögerliche Regierungsbildung zu Verschiebungen im Zeitplan der EU kommen werden, wollte Margaritis Schinas noch nicht beantworten.

 

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union