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PolitikAsien

Iran: Wut treibt Rentner auf die Straße

Shabnam von Hein
7. Juni 2023

Im Iran haben sich die Lebensmittelpreise innerhalb eines Jahres fast verdoppelt. Rentner und Pensionäre fürchten, unter die Armutsgrenze zu rutschen. Die Regierung investiert unterdessen in die Rüstungsindustrie.

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 Rentner Demo in Khuzestan
Bild: AzadEttehad

Bilder und Videos von immer neuen Demonstrationen von Rentnern und Pensionären im Iran tauchen fast täglich in sozialen Netzwerken und iranischen Medien auf - obwohl die Regierung Protestversammlungen weiter verbietet. Menschen im Ruhestand leiden mit am meisten unter der anhaltenden Wirtschaftskrise und den Problemen durch chronisches Missmanagement. Jafar Azimzadeh, Rentner, Gewerkschafter und Vorsitzender der "Freien Arbeiterbewegung im Iran", beklagt im Gespräch mit der DW, dass die Menschen unzufrieden seien und das politische System keine angemessenen Antworten auf ihre Probleme habe. Mit Unterdrückung allein könne kein Land regiert werden.

Die massiv gestiegenen Lebensmittelpreise stellen für viele Rentner ein existenzielles Problem dar. Laut Daten des Statistikzentrums des Irans sind die Preise für Nahrungsmittel innerhalb eines Jahres um 80 Prozent gestiegen. Damit gehört der Iran zu den fünf Ländern mit der höchsten Nahrungsmittelinflation weltweit. Dies ist hauptsächlich auf den massiven Wertverlust der iranischen Währung zurückzuführen. Der Iran ist in vielerlei Hinsicht auf Importe angewiesen, insbesondere bei Getreide und pflanzlichem Öl, und muss die Importe mit Devisen immer teurer bezahlen.

Rentner und Pensionäre berichten, dass sie nur noch das Nötigste kaufen können. Eine 73-jährige pensionierte Lehrerin sagt: "Reisen können wir uns schon lange nicht mehr leisten. Zeit mit Verwandten und Kindern zu verbringen, war unsere einzige Freude. Aber jetzt kann es sich kaum jemand noch leisten, Gäste einzuladen." Viele ältere Menschen beklagen bei den Protesten und in den Medien, dass sie unter die Armutsgrenze gerutscht seien. Offiziellen Angaben zufolge lebte im Jahr 2022 rund ein Drittel der iranischen Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Diese Menschen können sich beispielsweise im Krankheitsfall notwendige Behandlungskosten nicht mehr leisten.

Rentner Demo in Khuzestan
Die Rentner setzen ihre Protestversammlungen fortBild: AzadEttehad

"Besorgt, gestresst, unglücklich"

Die Zeitung "Etemad" berichtete am 30. Mai in einem ausführlichen Beitrag, dass die Inflation die Gesellschaft zunehmend verärgert, besorgt, gestresst und unglücklich macht. Der Beitrag bezieht sich auf Statistiken des Instituts für Rechtsmedizin, die sogar einen direkten Zusammenhang zwischen der Inflation und einer erhöhten Anzahl von registrierten körperlichen Auseinandersetzungen im ganzen Land feststellen.

Die Regierung hat angekündigt, dass Renten und Gehälter in diesem Jahr um 20 Prozent steigen werden. Eine Anpassung an die Inflation ist damit aber längst noch nicht in Sicht. Das Budget der Regierung hängt bis zu 40 Prozent von den Einnahmen aus dem Energieexport ab. Teheran macht die US-Sanktionen gegen Ölexporte aus dem Iran für die Probleme verantwortlich und versucht, die Partnerschaft mit Russland und China zu stärken.

Tatsächlich exportiert der Iran immer noch eine beträchtliche Menge Öl. Nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters exportierte der Iran im Dezember 2022 durchschnittlich 1,14 Millionen Barrel Öl pro Tag, mehr als in jedem anderen Monat des vergangenen Jahres. Die Mengen erreichen aber nicht mehr das Niveau der Vergangenheit.  Nach Abschluss des Atomabkommens waren die Ölexporte 2016 auf rund zwei Millionen Barrel täglich gestiegen. Vor der islamischen Revolution 1979 verkaufte Iran täglich bis zu sechs Millionen Barrel Öl.

Annährung an China

Mit einem riesigen Handelsvolumen ist China der größte Handelspartner des Irans und Hauptkunde für iranische Öl. Peking beabsichtigt zudem, die militärische Zusammenarbeit mit dem Iran auszuweiten, wie nach dem Besuch des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi in Peking im Februar 2023 bekannt gegeben wurde.

Trotz der wirtschaftlichen Probleme investiert die iranische Regierung weiterhin massiv in die Rüstungsindustrie. Ende Mai stellte der Iran die neueste Version seiner mit Flüssiggas betriebenen ballistischen Rakete des Typs Chorramschahr vor. Verteidigungsminister Mohammad Resa Aschtiani erklärte, dass die Chorramschahr-4 innerhalb kurzer Zeit startbereit sein könne. Am 6. Juni präsentierte der Iran zudem die erste im Land entwickelte Hyperschallrakete. Präsident Raisi sagte im Staatsfernsehen, dass die Rakete namens "Fattah" die Stärke des Landes erhöhen, die Abschreckungsmacht des Iran vergrößern und den Ländern der Region Sicherheit und stabilen Frieden bringen werde.

Iran Hyperschallrakete Fattah
Präsident Raisi bei der Präsentation der Hyperschallrakete FattahBild: IRGC/WANA/REUTERS

Der Experte Abbas Abdi schreibt in der iranischen Zeitung "Hammihan", dass die Gesellschaft Hoffnung brauche, und erinnert daran, dass Präsident Raisi im Wahlkampf versprochen hatte, die Inflation unter zehn Prozent zu senken, neue Arbeitsplätze zu schaffen und das Wirtschaftswachstum zu fördern. Kaum jemand wagt es jedoch, die militärischen Aktivitäten des Landes offen zu kritisieren.

Die jetzt vorgestellte Hyperschallrakete Fattah soll nach Agenturangaben auch Atomsprengköpfe tragen können. Als Reaktion verhängten die USA Sanktionen gegen mehr als ein Dutzend Personen und Organisationen in China, Hongkong und dem Iran, darunter gegen den iranischen Verteidigungsattaché in Peking. Sie werfen ihnen vor, bei der Beschaffung von Teilen und Technologien für die Entwicklung ballistischer Raketen im Iran geholfen zu haben.

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