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Der Tonfall wird rauer

2. Oktober 2015

Innenminister de Maizière galt als eher ruhiger und sachlicher Charakter. Nun beschwerte sich der CDU-Mann über undankbare Flüchtlinge und muss sich Kritik gefallen lassen. Aber auch SPD-Politiker warnen vor Überlastung.

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Bundesinnenminister Thomas de Maiziere beim BKA in Wiesbaden (foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/V. Erichsen

Der sonst so ausgewogen und bedächtig erscheinende Thomas de Maizière polarisiert. Mit Beschuldigungen gegen Flüchtlinge hatte der Bundesinnenminister am Vortag schon für Aufsehen gesorgt, jetzt legte er noch einmal nach. Früher seien die Neuankömmlinge "froh" gewesen in Deutschland zu sein und hätten kooperiert. Nun aber entzögen sich viele der Registrierung und Verteilung durch die Behörden.

Asylbewerber dürften sich ihren Wohnsitz nicht selbst aussuchen, betonte de Maizière am Freitag bei einem Treffen mit Vertretern der Sicherheitsbehörden am BKA-Sitz in Wiesbaden. Flüchtlinge verweigerten sich etwa an der deutsch-österreichischen Grenze staatlichen Hilfsangeboten und machten sich eigenständig zu unbekannten Zielen auf, beklagte der CDU-Politiker.

Schon tags zuvor hatte er deutliche Worte gewählt. Asylbewerber prügelten sich in den Notunterkünften, beschwerten sich über ihre Unterbringung und das Essen oder meinten, sie könnten sich selbst aussuchen, wo sie in Deutschland unterkämen, so der Innenminister im ZDF-"heute journal". "Erstaunlicherweise" hätten einige "genug Geld", um mit dem Taxi "Hunderte von Kilometern durch Deutschland zu fahren", mokierte sich de Maizière.

Ziel Stammtisch?

Von den Grünen und der Linkspartei, aber auch vom Koalitionspartner SPD kam teils scharfe Kritik am Bundesinnenminister. Dessen aktuelle Äußerungen seien "leider geeignet, die Stimmung gegen Asylsuchende anzuheizen", erklärte zum Beispiel der Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion für Asyl und Flüchtlinge, Lars Castellucci, in Berlin. Er forderte den Innenminister auf, "nicht Nebelkerzen zu werfen, sondern das Management entschlossener zu verbessern".

Ein ehemaliger Baumarkt wurde in Hamburg-Bergedorf zur Flüchtlingsunterkunft (foto: dpa)
Ein ehemaliger Baumarkt wurde in Hamburg-Bergedorf zur FlüchtlingsunterkunftBild: picture-alliance/dpa/D. Bockwoldt

Der Grünen-Abgeordnete Volker Beck sagte auf n-tv: "Die Flüchtlinge hören und verstehen den Minister im Zweifelsfall nicht. Mit seinen Äußerungen zielt der Minister wohl nicht auf die Flüchtlinge, sondern eher auf die Stammtische."

Die Verschärfung der Tonlage in der Koalition lässt auch den Druck auf Bundeskanzlerin Angela Merkel steigen, die sich bislang demonstrativ optimistisch gezeigt hatte mit ihrem neuen Mantra: "Wir schaffen das". Ihr Vizekanzler Sigmar Gabriel nahm sie zwar in Schutz vor Kritik, aber auch er räumte ein, dass Deutschland an Kapazitätsgrenzen stoße. Noch vor Wochen hatte der SPD-Vorsitzende erklärt, die Deutschen könnten relativ mühelos jedes Jahr eine halbe Million Fremde aufnehmen. Jetzt meinte Gabriel gegenüber "Spiegel online" etwas kleinlauter: "Wir nähern uns in Deutschland mit rasanter Geschwindigkeit den Grenzen unserer Möglichkeiten".

Die Asylzahlen wachsen seit vielen Monaten rasant und erreichen immer neue Rekordwerte. Im September kamen wohl 200.000 Flüchtlinge, mehr als im gesamten Jahr 2014.

Laut Innenressort entziehen sich Flüchtlinge zunehmend der Erfassung oder verlassen Erstaufnahmestellen eigenmächtig. In Baden-Württemberg etwa kamen nach Behördenangaben im September fast 28.700 Flüchtlinge an, nur knapp 16.400 blieben zur Registrierung und für einen Asylantrag in den Erstaufnahmen.

Die Regierung versucht unter anderem, mit rechtlichen Änderungen die Flüchtlingszahlen einzudämmen. Nachdem der Bundestag am Donnerstag über ein großes Gesetzespaket beraten hatte, war am Abend bereits das nächste Vorhaben de Maizières bekanntgeworden. Er will die Möglichkeit schaffen, Flüchtlinge künftig vor der Entscheidung über die Einreise bis zu einer Woche in Transitzonen an der Landgrenze festzuhalten. In dieser Zeit soll geprüft werden, ob Betroffene Anspruch auf Asyl haben. Falls nicht, würde die Einreise verweigert.

SC/wa (dpa, afp, ARD)