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Sprechstunde für Hausbesetzer

28. Juli 2009

Im Zentrum von Rotterdam ist die Wohnungsnot groß – viele Wohnungssuchende wählen daher einen ungewöhnlichen Ausweg: das legale Hausbesetzen. Nun gibt es sogar eine Sprechstunde für angehende Hausbesetzer.

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Antikraak-Haus in Maastricht (Foto: DW/ Ricarda Otte)
Ein besetztes Haus in den NiederlandenBild: DW/ Ricarda Otte

Kaz und Robert sitzen in der großen Küche an einem schmucklosen Tisch. In der Spüle stapelt sich eine bunte Kaffeetassen-Familie, Neonröhren leuchten von der Decke. Es ist Mittwochnachmittag und der Physiotherapie-Student Robert holt sich Rat von Kaz. Denn in ein paar Tagen will er ein Haus besetzen.

"Eine Zweizimmerwohnung kostet um die 700 bis 800 Euro im Monat", erklärt der 24-Jährige. "Ein bisschen viel für einen Studenten - und auch noch schwer zu kriegen." Gerade im dicht besiedelten Rotterdamer Zentrum ist Wohnraum rar. Doch auch in einem unbeliebten Stadtteil müsste Robert auf eine Sozialwohnung rund fünf Jahre warten. Da sei das "Kraaken", wie Hausbesetzen in den Niederlanden heißt, doch eine gute Alternative, meint er.

Nicht immer ist Hausbesetzen illegal

"Mein Vater findet es aufregend. Meine Mutter hingegen findet es nicht gut", sagt Robert. Dabei ist Roberts Hausbesetzung unter bestimmten Voraussetzungen in den Niederlanden absolut legal: Nämlich, wenn das Haus über ein Jahr leer stehe und Robert tatsächlich dort wohne, erklärt ihm Kaz. Sie ist 24, trägt schwarze Kleidung und Dreadlocks.

Natürlich könne der Vermieter vor Gericht versuchen, Robert aus dem Haus zu klagen, sagt sie, doch nur mit einem triftigen Grund. Einzig das Einbrechen in ein leeres Haus sei strafbar. Doch auch da gebe es immer Mittel und Wege. "Manchmal steht ein Fenster offen, manchmal sogar die Tür", erzählt Kaz. "Oder du kriegst den Schlüssel von einem Nachbarn. Nichts ist unmöglich."

Fürs Hausbesetzen braucht man gute Vorbereitung

Journalisten stehen am Donnerstag (16.04.2009) vor dem Eingang zu einem besetzten Haus in Erfurt (Foto: dpa)
Auch in Deutschland werden Häuser besetzt - allerdings illegalBild: picture-alliance/ ZB

Nach der Besetzung müsse Robert dann beweisen, dass das Haus lange genug leer stand. Mit Kaz hat er eine Strategie ausgeheckt. "Ich kannte die Firma, die es als letzte gemietet hat. Auf deren Webseite haben sie verkündet, dass sie im April 2008 umziehen", erklärt er. Das habe er ausgedruckt und könne der Polizei damit beweisen, dass das Haus lange genug leer steht.

Robert fühlt sich jetzt gut präpariert für die Hausbesetzung – und auch Kaz ist zuversichtlich, dass alles glatt gehen wird. Mit 16 hat die Rotterdamerin das erste Mal "gekraakt", mittlerweile ist sie eine Hausbesetzungsexpertin und gibt in Rotterdams einziger Hausbesetzer-Sprechstunde ihr Wissen weiter. Viele Leute würden gerne ein Haus besetzen, sagt sie, wüssten aber einfach nicht, wie das funktioniere.

Eine wichtige Anlaufstelle

"Es kommen alle möglichen Leute: Junkies von der Straße genauso wie Mütter mit Kindern, arbeitende Leute, Studenten – einfach ganz unterschiedliche Leute", sagt Kaz. Für sie ist die Beratung ein Teil ihres politischen Engagements gegen Wohnungsnot und Geldmacherei mit leerstehenden Immobilien.

Auch für Rian ist die Sprechstunde Teil ihrer sozialen Arbeit geworden. Rian ist Sozialarbeiterin im Jugendinformationspunkt. Die stadtbekannte Beratungsstelle für Jugendliche stellt den Hausbesetzungsexperten jeden Mittwoch ihre Kaffeeküche zur Verfügung. Rian schickt oft ratsuchende Jugendliche zu Kaz. Denn neben Ärger in der Schule oder zu Hause, kommen auch viele junge Leute zu ihr, die kein Dach über dem Kopf haben.

"Der wichtigste Punkt ist immer: Ich brauche ein Zimmer. Und mein Job ist, den Jugendlichen alle Möglichkeiten zu zeigen, die es gibt", sagt Rian. Dazu gehöre auch das Hausbesetzen. Wenn sich welche wirklich dafür interessierten, könne sie ihnen sagen, dass sie am Mittwoch zur Sprechstunde kommen können.

Juristischer Rat für die Kraaker

Junge Menschen schauen am Dienstag, 27. Mai 2008, in Berlin waehrend der Hausbesetzung eines leerstehenden Buerohauses (Foto: AP)
Eine Hausbesetzung mitten in BerlinBild: AP

Die Kraak-Ratgeber in der Kaffeeküche bewundert Rian fast ein wenig. "Sie sind echte Experten, weil sie selber Häuser besetzt haben. Sie kennen alle Details. Ich höre sie immer über Gesetze reden und darüber, wie das alles funktioniert. Ich denke, sie wissen einiges", sagt Rian.

Dan und Anniek sind als nächste in der Beratungsstunde. Die Künstler wohnen seit zwei Jahren in einer besetzten Wohnung. Jetzt haben die zwei langhaarigen Mittdreißiger ein Problem, erzählt Dan. "Ich werde aus meinem Haus geschmissen und wollte wissen, ob sie dafür einen guten juristischen Grund haben."

Kraaken heißt nicht Einbrechen

Dan und Anniek sind das erste Mal in der Sprechstunde, die sie nur vom Hörensagen kannten. Während Kaz das Schreiben des Vermieters konzentriert durchliest, erinnern sich Dan und Anniek an die Besetzung zurück. "Es war wirklich merkwürdig, sie zu besetzen. Plötzlich hatte ich eine Wohnung! Mitten in Europa, in Holland, wo Du für fast alles Geld bezahlen musst, kannst du in ein Haus gehen und dort umsonst wohnen", sagt Dan.

"Wir mussten nur das Schloss auswechseln", meint Anniek. "Wir kannten die Nachbarn – und hatten sozusagen – den Schlüssel. Einbrechen mussten wir also nicht." "Kraaken" sei trotzdem spannend, sagt Anniek.

Der Haken des Besetzerlebens

"Das ist die einzige merkwürdige Sache beim Hausbesetzen: Du kannst dich nicht richtig niederlassen", meint Anniek. "Als wir unsere Wohnung besetzt hatten, wollten wir alles richtig schön machen. Und dann zählst du Dein Geld und merkst: Eine schöne Küche ist zu teuer." Also machten sie weniger. Und ein Jahr später wohnten sie immer noch dort – und so machten sie alles Schritt für Schritt schön. Und als sie fast fertig waren, sollten sie rausfliegen.

Kaz hat schlechte Nachrichten für Anniek und Dan: Sie müssen tatsächlich ausziehen. Für einen Moment blicken die beiden Künstler trostlos ins Nichts, als würden sie sich von ihrer Wohnung verabschieden. Anniek berappelt sich als erste und lächelt. "Naja, er verkauft sie eben und hat das Recht, uns rauszuwerfen. Dann ist es jetzt so. Wir werden ein neues Haus finden", meint sie zuversichtlich.

Und Kaz kann sich ebenso sicher sein: Sie wird Dan und Anniek bald wiedersehen und ihnen an einem Mittwochnachmittag bei der minutiösen Vorbereitung der nächsten legalen Hausbesetzung helfen.


Autor: Benjamin Braden
Redaktion: Nicole Scherschun