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Im Schatten der Vergangenheit

Wolter von Tiesenhausen4. Februar 2005

Für deutsche Politiker ist auf Israel-Reisen die Vergangenheit allgegenwärtig. Bundespräsident Köhler hat das bei seinem Besuch gespürt und aus seiner Betroffenheit keinen Hehl gemacht, meint Wolter von Tiesenhausen.

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Wolter von Tiesenhausen

In Scham und Demut, so hat es Bundespräsident Horst Köhler in seiner Rede vor dem israelischen Parlament formuliert, verneige er sich vor den Opfern des Holocaust. Scham über die Verbrechen, die von Deutschen an Juden und Angehörigen anderer Völker begangen wurden, demütig in dem Bewusstsein, dass Geschichte dennoch weitergeht, dass aus der Scham Verpflichtungen für Gegenwart und Zukunft erwachsen.

Patriotismus ist eine edle Tugend. Sie ist eine Absage an den Egoismus, ein Bekenntnis zur größeren Gemeinschaft eines Volkes, einer Nation. Den Deutschen fällt Patriotismus nicht leicht. Der Schriftsteller Günter Grass ging sogar so weit, zu behaupten, nach Auschwitz habe Deutschland kein Recht auf die Wiedervereinigung. Dennoch, auch in Deutschland darf man sich zu den gemeinsamen Werten der Nation bekennen, darf man stolz auf sein Vaterland sein.

Man darf stolz darauf sein, dass dieses Volk Lehren aus seiner grausamen, Schuld beladenen Vergangenheit gezogen hat. Der Aufbau einer stabilen Demokratie, die friedliche Beendigung der kommunistischen Diktatur, die Wiedervereinigung mit der Zustimmung der Nachbarn - alles dies sind rühmenswerte Leistungen der Deutschen. Sie werden ergänzt durch die aktive Rolle, die dieses Volk bei der Integration Europas und damit der dauerhaften Friedenssicherung spielt.

Zu den Lehren aus der Vergangenheit zählt auch die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel vor 40 Jahren. Ein Schritt, der beiden Seiten damals nicht leicht gefallen ist. Der Staat der Juden reichte den Nachkommen der Täter die Hand. Deutschland wurde einmal mehr mit seiner Schuld, seiner bleibenden Verantwortung für den Völkermord konfrontiert.

So wie es dem Einzelnen peinlich ist, wenn er an vergangene Sünden erinnert wird, so ist auch den Völkern der Hinweis auf die einst begangenen Verbrechen und die damit verbundene Schuld unangenehm. Die einen verlangen, endlich einen Schlussstrich zu ziehen, die anderen erklären die Nachkriegszeit für beendet und meinen im Grunde das gleiche: Wir wissen, dass wir etwas falsch gemacht haben, aber bitte hört jetzt auf damit, uns das ständig unter die Nase zu reiben.

Wer so argumentiert oder gar versucht, eigenes Leid gegen fremdes Leid aufzurechnen, hat nicht begriffen, was Bundespräsident Köhler meinte, als er nicht nur von Scham, sondern auch von Demut sprach. Die Verantwortung für die eigene Vergangenheit lässt sich nicht abschütteln. Sie bleibt Verpflichtung für alle Deutschen. Kein Wunder, dass dem Bundespräsidenten bei dieser Passage fast die Stimme versagte.