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"Ich verneige mich in Scham und Demut vor den Opfern"

2. Februar 2005

Bundespräsident Köhler hat vor der Knesset die Verantwortung für den Holocaust als Teil der deutschen Identität bezeichnet. Israelische Politiker forderten, Deutschland müsse "neonazistische Parteien" verbieten.

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Handschlag mit Symbolkraft: Scharon und Köhler in der KnessetBild: dpa

Bundespräsident Horst Köhler hat seine mit Spannung erwartete Rede im israelischen Parlament am Mittwoch (2.1.2005) mit hebräischen Sätzen eingeleitet. Er begrüßte alle Anwesenden mit ihren Titeln und sagte zum Parlamentspräsidenten Reuven Rivlin: "Sie haben mich hierher eingeladen, um meine Rede vor der Knesset in Jerusalem zu halten. Ich danke Ihnen. Diese Reise, dieser Tag, diese Stunde bewegen mich sehr." Den Rest der Rede hielt er auf Deutsch.

Köhler bezeichnete die Verantwortung für den Holocaust als Teil der deutschen Identität. "Ich verneige mich in Scham und Demut vor den Opfern und vor denen, die ihnen unter Einsatz ihres Lebens geholfen haben", sagte er mit zitternder Stimme und verwies auf seinen Besuch in der Holocaust-Gedenkstätte Jad Vaschem am Dienstag (1.2.05).

Aufruf zur Verteidigung der Demokratie

Eindringlich rief Köhler die Deutschen zum Kampf gegen Rechtsextremisten und Antisemiten auf. Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus seien nicht aus Deutschland verschwunden, sagte Köhler. Auf die Forderung nach einem Verbot der NPD ging Köhler jedoch nicht explizit ein.

Die jüngsten Auftritte der NPD hatten in Israel große Besorgnis ausgelöst und bestimmten die politischen Gespräche Köhlers mit Staatspräsident Mosche Katzav und Ministerpräsident Scharon.

"Vergleiche, die die Shoa verharmlosen, sind ein Skandal, dem wir uns entgegenstellen", betonte der Bundespräsident. Bei aller kritischen Aufmerksamkeit gebe es aber "Grund zu Vertrauen in die Stärke der Demokratie in Deutschland".

"Nie wieder Völkermord zulassen"

Dass Israel "in international anerkannten Grenzen und frei von Angst und Terror leben" könne, nannte Köhler eine "unumstößliche Maxime deutscher Politik". Es gebe einen Auftrag der Opfer der Shoa: "Nie wieder Völkermord zulassen".

40 Jahre nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik unterhalte Deutschland zu keinem anderen Land außerhalb Europas und Nordamerikas so enge Beziehungen wie zu Israel. Köhler äußerte zugleich den Wunsch, die wirtschaftliche Zusammenarbeit, den Jugend- und den Kulturaustausch weiter auszubauen. Die Zukunftspartnerschaft zwischen beiden Ländern werde sich allerdings nur in einem friedlichen Umfeld vollständig entfalten können.

Mit dem neuen Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas gebe es "ermutigende Entwicklungen" im israelisch-palästinensischen Verhältnis, fügte der Bundespräsident hinzu. Der Frieden im Nahen Osten habe eine neue Chance, und Deutschland werde seinen Beitrag dazu leisten, dass Israel und ein palästinensischer Staat friedlich zusammen leben könnten - in einer Region, in der niemand die Existenz des Staates Israel anzweifele.

Kein leichter Empfang für den "wirklichen Freund"

Parlamentspräsident Rivlin begrüßte Köhler im Parlament als "wirklichen Freund und mutigen Mann". Zugleich beklagte er, dass es in Deutschland und in Europa sechs Jahrzehnte nach dem Holocaust die "gleichen Losungen, die gleichen Übergriffe und die gleichen Aufrufe zum Hass gegen die Juden" gebe. Er forderte ein Verbot von Neonazi-Parteien in Deutschland. "Verbietet die neonazistischen Parteien. Was damals war, darf sich nie wiederholen", sagte Rivlin. Auch Israels Regierungschef Ariel Scharon unterstützte einen "erbarmungslosen Kampf" gegen den neuen Antisemitismus.

Mehrere Parlamentarier, unter ihnen Gesundheitsminister Dany Naveh, blieben der Parlamentssitzung fern. Nur gut die Hälfte der Knesset-Abgeordneten war anwesend, was von israelischer Seite aber nicht als Boykott gewertet, sondern mit dem fortlaufenden Parlamentsbetrieb erklärt wurde. Ultrarechte israelische Demonstranten verbrannten aus Protest gegen Köhlers Auftritt vor der Knesset eine deutsche Fahne. Der Parlamentsvorsitzende äußerte zugleich Verständnis, falls Abgeordnete die Knesset während Köhlers Rede verlassen sollten. Als Knesset-Präsident, als Mitglied des Parlaments des Staates Israel und vor allem als Jude sei es für ihn "keine leichte Aufgabe", den Bundespräsidenten zu empfangen.

Freundschaft, aber kein Vergeben

Auch Israels Ministerpräsident Scharon hatte in seiner Rede eine Zunahme der Feindseligkeiten gegen Juden beklagt. Ausdrücklich dankte er Köhler für die deutsche Unterstützung bei Sicherheitsfragen und bei der Vermittlung eines Gefangenenaustausches in Nahost.

Zwischen Deutschland und Israel herrschten heute freundschaftliche Beziehungen und eine volle und fruchtbare Zusammenarbeit, sagte Scharon. Aber: "Es kann kein Vergeben und kein Verzeihen dafür geben, was die Deutschen den Juden angetan haben." (stl)