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Hongkongs Wirtschaft fürchtet Ende der Freiheit

Clifford Coonan dk
16. Juli 2020

Auf Chinas umstrittenes Sicherheitsgesetz hat US-Präsident Donald Trump geantwortet, indem er die Sonderrechte Hongkongs beim Handel mit den USA ausgesetzt hat. In der Wirtschaftsmetropole geht nun die Angst um.

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Verhaftungen in Hongkong bei Protesten gegen das "Sicherheitsgesetz"
Bild: picture-alliance/Zuma/W. Siawillie Siau

Lange Zeit war Hongkong einer der freiesten Handelsplätze der Welt - die Stadt feierte ihre Laissez-Faire-Ökonomie und profitierte von ihrer Offenheit. Noch von jeder Krise hatte sie sich erholen können. Doch Chinas umstrittenes neues Sicherheitsgesetz könnte das ändern, es könnte alle Bereiche der Wirtschaft Hongkongs beschneiden.      

Von nun an werde Hongkong "genauso wie Festlandchina" behandelt, sagte US-Präsident Donald J. Trump, als er ein Sanktionsgesetz unterschrieb, das den wirtschaftlichen Sonderstatus von Hongkong aus Sicht der USA beendet.

Furcht vor Kapitalflucht

Die USA glauben, Pekings nationales Sicherheitsgesetz untergrabe jene Freiheiten, die Hongkong seit 1984 genoss, als China und das Vereinigte Königreich sich auf die Modalitäten einigten, unter denen eine Rückgabe der Kronkolonie Hongkong an China vollzogen werden sollte. Als die Briten 1997 abzogen und Hongkong somit wieder zu China gehörte, wurde der Stadt ein hohes Maß an Selbständigkeit garantiert.

"Meiner Ansicht nach macht das nationale Sicherheitsgesetz, genauso wie im vergangenen Jahr das Auslieferungsgesetz, die Reichen in Hongkong nervös", sagt Ho-Fung Hung, Professor der politischen Ökonomie an der Johns Hopkins Universität, zur DW. "Das gilt für heimische Wirtschaftsgrößen genauso wie für die Elite in der Volksrepublik und andere Ausländer, weil ein ähnliches Gesetz in China bereits oft dazu dient, Geschäftsleute bei Handelsstreitigkeiten anzuklagen."

Hung glaubt, dass manche Leute ihren Reichtum irgendwann nach Übersee transferieren: "Kurzfristig werden wir natürlich keine große Kapitalflucht beobachten, langfristig aber wird das Sicherheitsgesetz das juristische und wirtschaftliche Umfeld in Hongkong zum Schlimmeren wenden."

Das neue Sicherheitsgesetz macht nicht-chinesischen Geschäftsleuten Angst
Das neue Sicherheitsgesetz macht nicht-chinesischen Geschäftsleuten AngstBild: Getty Images/AFP/R.-A. Brooks

Geschäftsleute sind verängstigt

Es gibt 9000 ausländische Firmen in Hongkong, 1300 von ihnen aus den USA. Politische Unruhen sorgten 2019 dafür, dass Hongkong in die Rezession rutschte. Ausländische Direktinvestitionen sanken dabei um fast die Hälfte (47 Prozent) auf 55 Milliarden US-Dollar (48 Milliarden Euro) im vergangenen Jahr.

Dreiviertel der US-Firmen in Hongkong zeigen sich wegen des Sicherheitsgesetzes besorgt. Ihre größte Angst liegt in der Ungewissheit, ob die Unabhängigkeit der Justiz in Hongkong aufs Spiel gesetzt wird und ob der Status der Stadt als internationales Wirtschafts- und Finanzzentrum in Gefahr ist.

"Eine der besten Seiten von Hongkong und der Grund gerade hier Geschäfte zu machen ist die Tatsache, dass die Stadt in der Mitte von Allem liegt: Sie ist ein großartiger Platz, um sich zu vernetzen. Jetzt ist das mit der Verbundenheit, der Vernetzung aller mit allen nicht mehr so einfach, besonders nach Verabschiedung des Sicherheitsgesetzes", sagte  Tara Joseph, Präsidentin der amerikanische Handelskammer in Hongkong dem TV-Sender Bloomberg.

Einer Umfrage der Kammer zufolge plant ein Drittel der US-Firmen in Hongkong Kapital, Firmenvermögen oder Geschäftsfelder von Hongkong abzuziehen.

Sorge bei den Tech-Firmen

Während in der Volksrepublik die Great Firewall der freien Meinungsäußerung einen Maulkorb verpasst, konnte man in Hongkong immer seine Meinung äußern - auch online. Bis zum neuen Gesetz, wohlgemerkt. Google, Facebook und Twitter bearbeiten jetzt keine Anfragen der Regierung Hongkongs zu User-Daten mehr, seit sie festgestellt haben, was das neue Gesetz tatsächlich vorsieht.

Sogar TikTok, das dem chinesischen Internet-Riesen Byte Dance gehört und in Festlandchina nicht verfügbar ist, hat seine App in Hongkong zurückgezogen und sie für aktuelle User dort unbrauchbar gemacht.

Luxus in der Krise

Jahrelang war Hongkong Asiens Hauptstadt für Luxus-Shopping. Doch diese Rolle ist durch eine Reihe von Ereignissen in Frage gestellt: die Demonstrationen für mehr Demokratie, die Corona-Pandemie und nun durch das Sicherheitsgesetz. Chinas Luxusmarkt erholt sich von der Corona-Krise, aber die Shopper sind nicht zurückgekehrt nach Hongkong. Stattdessen sieht sich der Einzelhandel einer wachsenden Konkurrenz vom Festland gegenüber.

90 Prozent des Wachstuns im Bereich der Luxuswaren kam nach Angaben der Unternehmensberatung Bain & Company im vergangenen Jahr aus China. Marken wie Louis Vuitton, Gucci, Cartier, Chanel und Dior verzeichneten Zuwächse von 40 bis 90 Prozent im frühen Juni.

Die Unterehmensberater von McKinsey schätzen die Größe des chinesischen Mittelstandes auf etwa 500 Millionen Menschen - eine erstaunliche Zahl und größer als die Gesamtbevölkerung der USA. Noch liegt China bei der Pro-Kopf-Kaufkraft hinter den USA, doch holt das Reich der Mitte deutlich auf.

Die New York Times hat bereits Mitarbeiter aus Hongkong abgezogen und an andere asiatische Standorte geschickt
Die New York Times hat bereits Mitarbeiter aus Hongkong abgezogen und an andere asiatische Standorte geschicktBild: picture-alliance/NurPhoto/J. Arriens

Der Finanzsektror bleibt ruhig

Dem Finanzdienstleistungsgewerbe scheint es weiter gut zu gehen. Hongkongs Rolle als Chinas Tor zu den asiatischen Märkten scheint zwar zu schrumpfen und es wandern Marktanteile nach Singapur und sogar Taipeh, doch andererseits scheint die Rolle als "Weg nach China" sogar gestärkt.

Die USA ziehen die Schrauben an für ausländische Firmen, die an der New Yorker Börse notiert sind und jahrelang weniger Kontrollen ausgesetzt waren als heimische Unternehmen. Seit der US-Senat die Regeln für Firmen aus der Volksrepublik verschärft hat, zieht es chinesische Firmen statt in die USA verstärkt nach Hongkong.

Yum China - die Firma betreibt Pizza Hut und KFC-Filialen in China - plant einen Zwei-Milliarden-Dollar-Börsengang in Hongkong und Alibabas Lieferdienst ZTO Express denkt ebenfalls über einen Börsengang dort nach. An der Hongkonger Börse träfen sie auf die Alibaba Group Holding, den Spieleentwickler NetEase und den Online-Händler JD.com. Die haben dort seit dem November letzten Jahres  zusammengerechnet bereits 20 Milliarden US-Dollar erlöst.

Der vergessliche Westen

J. Stewart Black and Allen J. Morrison haben in einem Artikel in der Harvard Business Review geschrieben, dass die jüngsten Ereignisse in Hongkong eine ernste Gefahr für dort tätige ausländische Firmen wären. Viel hinge von der Frage ab, warum diese Firmen sich für Hongkong entschieden hätten: Wollen sie Geschäfte in der Stadt selbst machen, in China oder anderswo in Asien?

"Am Ende des Tages", schreiben die Autoren, "hängt China selbst doch sehr von Hongkong ab, und zwar beim Handel, bei ausländischen Direktinvestitionen, bei Schuldenkapital und internationalem Austausch. Diese Interessen sollte die chinesischen Führer davon abhalten, bei der Umsetzung des Sicherheitsgesetzes zu weit zu gehen."

Sanktionen habe es immer gegeben. Washington hatte sie verhängt nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking 1989, als das Regime Demonstrationen für demokratische Reformen niederschlug. Innerhalb weniger Jahre wurden die meisten davon wieder zurückgenommen. Chinas starker Mann zu dieser Zeit, Deng Xiaoping, soll dazu gesagt haben: "Der Westen ist immer so vergesslich."