1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Kommt es tatsächlich zum Gruppen-Coming-out im Profifußball?

14. Mai 2024

Am 17. Mai sollen sich zahlreiche Profifußballer zu ihrer Homosexualität bekennen und damit ein starkes Zeichen setzen. So wünscht es sich die Initiative "Sports Free" von Marcus Urban. Jedoch gibt es Zweifel und Kritik.

https://p.dw.com/p/4fpAg
Eckfahne mit Regenbogen-Flagge im Stadion an der Bremer Brücke in Osnabrück
Nutzen homosexuelle Fußballprofis die "Sports Free"-Plattform, um sich am 17. Mai zu outen?Bild: Revierfoto/imago images

Was ist Sports Free?

Es handelt sich dabei um eine Initiative, die sich für die Sichtbarkeit und die Akzeptanz von queeren Athletinnen und Athleten im Profisport einsetzt. Urheber der Initiative ist Diversero, eine weltweite Community für Vielfalt und gegen Mobbing. Kopf und Mit-Initiator der "Sports Free"-Kampagne ist Marcus Urban.

Wer ist Marcus Urban?

Urban war 2007 der erste ehemalige Fußballspieler in Deutschland, der sich als homosexuell outete. Damals hatte er seine Laufbahn als aktiver Leistungssportler allerdings schon lange beendet. Urban, geboren 1971 in der damaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR), war einer der talentiertesten Nachwuchsfußballer seines Landes. Er spielte als Mittelfeldspieler mit dem FC Rot-Weiß Erfurt aus dem Bundesland Thüringen in der höchsten Liga für DDR-Jugendmannschaften und für mehrere Junioren-Nationalmannschaften der DDR.

Ex-Fußballer Marcus Urban im Porträt
"Es lebt sich leichter, wenn man frei lebt", sagt Ex-Fußballer Marcus Urban, der sich 2007 selbst geoutet hatBild: Reto Klar/Funke Foto Services/IMAGO

Fast wäre er Anfang der 1990er Jahre Profi geworden, verzichtete aber auf eine Laufbahn als Berufsfußballer, weil ihm der Druck, seine Homosexualität verstecken zu müssen, zu groß war.

Was ist beabsichtigt?

Für den 17. Mai 2024, den Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transfeindlichkeit (IDAHOBIT), stellt die Initiative eine Plattform zur Verfügung, auf der Profisportlerinnen und -sportler sich öffentlich zu ihrer Homosexualität oder ihrem Queersein bekennen können.

"Wir organisieren ein Gruppen-Coming-out und fordern die Gesellschaft auf, über die Werte der Inklusion nachzudenken", heißt es auf der Internetseite. Der Termin wurde bereits im November 2023 angekündigt. "Wir bauen eine Art digitale Bilderwand", erklärte Urban kürzlich in einem Interview mit dem Magazin "stern". "Dort können Spieler, Trainer, Schiedsrichter oder andere Personen aus dem Umfeld des Profifußballs ihre Geschichte teilen."

Anschließend soll der 17. jedes weiteren Monats weltweit als "Sports Free Day" gefeiert werden, um das Bewusstsein für die Herausforderungen zu schärfen, denen sich queere Sportlerinnen und Sportler stellen müssen. Besonderes Augenmerk liegt am 17. Mai jedoch auf schwulen Profifußballern.

"Es ist eine kleine Revolution", sagte Urban im April im Gespräch mit der DW und hoffte auf eine "Kettenreaktion". "Für viele Kinder, Jugendliche und Erwachsene weltweit wird das sehr wichtig. Für sie gibt es dann neue Vorbilder."

Welche Ängste herrschen bei schwulen Fußballern?

Homophobie ist im Fußball der Männer immer noch weit verbreitet. Es gibt zahlreiche schwulenfeindliche Fangesänge, zudem fallen auf dem Platz auch unter den Spielern oft abwertende Kommentare, wie: "Was war das für ein schwuler Pass?" oder "Du spielst wie ein Schwuler!"

Im Dortmunder Stadion hängt ein Transparent mit der Aufschrift "Gemeinsam gegen Homophobie".
Homophobie ist im Männerfußball ein Dauerthema - auch wenn viele Klubs und Fangruppen sich seit Jahren dagegen positionierenBild: RHR-FOTO/TK/IMAGO

Marcus Urban und seinen Mitstreitern zufolge haben viele homosexuelle Spieler daher eher Angst vor den Reaktionen auf dem Platz und in der Kabine als durch die Fans von den Rängen.

Zudem seien viele Spieler der Überzeugung, "dass sie nach einem Coming-out in Ungnade fallen würden in der Branche", erklärte Urban. Sie versteckten sich daher, führten ein Doppelleben, teilweise mit Scheinfreundinnen für die Öffentlichkeit und träfen sich nur im Geheimen mit anderen Männern.

Welche Fußballprofis haben sich bereits geoutet?

Neben Urban war Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger in Deutschland der prominenteste. Allerdings offenbarte sich Hitzlsperger im Jahr 2014 ebenfalls erst nach dem Ende seiner aktiven Karriere. Einen aktiven Profifußballer, der sich outete, gab es in Deutschland bisher noch nicht.

Ohnehin haben sich weltweit nur sehr wenige aktive Profis öffentlich zu ihrer Homosexualität bekannt. Der erste war 1990 der Engländer Justin Fashanu - ein tragischer Fall. Fashanu schlug Hass und Ablehnung entgegen. Er nahm sich 1998 das Leben, nachdem ein 17-Jähriger ihn der Vergewaltigung beschuldigt hatte.

Spielszene Jakub Jankto für Tschechien gegen Schweden
Tschechiens Nationalspieler Jakub Jantko (l.) ist einer der wenigen aktiven Profis, die sich geoutet habenBild: Jonas Ekstromer/dpa/AP/picture alliance

Nach Fashanus Outing dauerte es lange, bis US-Fußballer Collin Martin 2018 bekanntgab, schwul zu sein. Ihm folgten 2021 der Australier Josh Cavallo (Oktober 2021), Jake Daniels aus England (Mai 2022) und der Tscheche Jakub Jankto (Februar 2023). Zudem gibt es in anderen Ländern einige aktive Spieler im halbprofessionellen, oberen Amateurbereich, die sich geoutet haben.

Was sagen Kritiker zum geplanten Gruppen-Outing?

Sie befürchten, dass die Initiative Urbans keine nachhaltige Wirkung haben werde, sondern nur ein kurzes Schlaglicht auf die Problematik werfe, ohne tatsächlich etwas an der Situation zu ändern, dass Homophobie weit verbreitet ist. "Es ist eine Ablenkung, weil es Menschen das Gefühl vermittelt, dass das Problem angegangen wird und sich etwas verändert - obwohl das in der Realität ja nicht so ist", bemängelte der australische Verhaltensforscher Erik Denison im Deutschlandfunk (DLF). Er forscht seit Jahren zu Homophobie im Sport.

Kritik gibt es auch vom Deutschen Fußballbund (DFB), der nicht in die Initiative eingebunden ist. "Das fehlt mir leider bei der Kampagne, dass da ein breiteres Bündnis aufgebaut wurde, was das Ganze mit unterstützt", sagte Christian Rudolph ebenfalls im DLF. Er leitet beim DFB die Anlaufstelle für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt.

Von den 36 Profivereinen aus der 1. und 2. Liga haben sich mit dem VfB Stuttgart, Hannover 96, dem VfL Osnabrück, dem SC Freiburg, Borussia Dortmund, der TSG Hoffenheim, Union Berlin und dem FC St. Pauli bislang erst acht Klubs zur Unterstützung der "Sports Free"-Initiative bekannt.

Was ist für den 17. Mai zu erwarten?

Das ist schwer vorauszusagen. Jedoch steigt die Skepsis, ob es tatsächlich zum erhofften Gruppen-Outing prominenter Fußballprofis kommt, je näher der Termin rückt. Auch Initiator Marcus Urban dämpfte zuletzt die Erwartungen und ruderte ein wenig zurück.

"Aktive Profifußballer halten sich noch zurück", sagte er im "stern"-Interview und gab zudem zu, selbst gar keinen direkten Kontakt zu schwulen Profis zu haben, auch nicht per SMS oder Kurznachrichten. "Es gibt eine Vernetzung, aber sie findet im Verborgenen statt." Er müsse "mühsam" über Dritte kommunizieren. "Die Spieler sind extrem vorsichtig. Keiner traut sich aus der Deckung." Es herrsche "höchste Vorsicht", so Urban.

Daher muss sich erst zeigen, ob die Kampagne erstmal nur große mediale Aufmerksamkeit erzeugt hat, oder ob sie tatsächlich einen nachhaltigen Effekt haben wird und eine Verbesserung der Situation homosexueller Fußballprofis bewirkt.