1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Haushalt im Schatten der Flüchtlingskrise

Sabine Kinkartz, Berlin8. September 2015

Zwei Monate ist der Haushaltsentwurf 2016 alt und schon überholt. Sechs Milliarden Euro für die Flüchtlingshilfe müssen zusätzlich eingeplant werden. Wenn das ausreicht.

https://p.dw.com/p/1GSbO
Deutschland Bundestag Haushalt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble
Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Wenn der Bundestag über den Haushalt berät, dann ist das in der Regel eine höchst nüchterne Debatte. Zahlen spielen eine große Rolle, Emotionen haben wenig Platz. Diesmal ist alles ganz anders. Es ist der erste Sitzungstag nach der Sommerpause, doch Bundestagspräsident Norbert Lammert hält sich nicht lange mit den üblichen Regularien auf. "Wir sehen verzweifelte Menschen auf ihrem Fluchtweg durch und nach Europa und erschütternde, kaum erträgliche Bilder derer, die diesen Weg mit dem Leben bezahlt haben, darunter auch viele Kinder", führt Lammert in das Thema ein, das in diesen Tagen weitaus drängender erscheint, als die Frage, was der Bund wofür ausgeben darf.

Und doch hat das eine natürlich mit dem anderen zu tun, denn ohne Geld wird es nicht gehen. "In unser Mitgefühl, unsere Trauer mischen sich berechtigte Sorgen, wie wir mit dem weiter anhaltenden Zustrom in unseren Kommunen fertig werden und die Kontrolle über das eigene Land, seine Grenzen, seine Rechtsordnung behaupten können", formuliert Lammert. "Diese große humanitäre, politische und kulturelle Herausforderung wird Deutschland verändern." Das geschehe letztlich aber zum Vorteil des Landes, wenn die Verantwortlichen so mutig und entschlossen handeln würden, wie das zuletzt etwa bei der Finanz- und Bankenkrise geschehen sei.

Bundestagspräsident Norbert Lammert

Sechs Milliarden Euro, oder doch eher zehn?

Eine Aufforderung auch an die Abgeordneten. Über der Haushaltsdebatte schwebt die Frage, wie Deutschland mit der humanitären Ausnahmesituation umgehen soll. Klar ist, allein die Aufnahme von 800.000 Flüchtlingen in diesem Jahr, ihre Versorgung und Integration wird viel Geld kosten. Bislang will der Bund im kommenden Jahr sechs Milliarden Euro bereitstellen. Bis zum 24. September soll ein Maßnahmenpaket von Bund, Ländern und Kommunen geschnürt werden. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble muss seinen Etat dafür umschreiben und ihm schwant schon jetzt, dass auch mehr als sechs Milliarden Euro nötig sein könnten.

Der Zustrom der Flüchtlinge stelle Staat und Gesellschaft "vor die größte Herausforderung seit langer Zeit", so Schäuble, der als erster Redner auftrat. "Deshalb hat die Bewältigung dieser anspruchsvollen Aufgabe absolute Priorität und die Aufgabe stellt sich jetzt und wir müssen sie auch jetzt finanzieren." Dem hätten sich andere Ausgabenwünsche unterzuordnen. Ein Wink an die Ministerkollegen, die angesichts sprudelnder Steuereinnahmen bereits lange Wunschlisten geschrieben hatten. Der weitere Ausbau der Kinderbetreuung, die Einführung einer Mindestrente für sozial Schwache und langjährige Beitragszahler, aber auch die Modernisierung der Bundeswehr müssen nun zurückstehen.

Nachtragshaushalt erwartet

312 Milliarden Euro Ausgaben hatte Schäuble im Haushaltsentwurf 2016 verbucht, das wäre ein Plus von 3,4 Prozent im Vergleich zu diesem Jahr gewesen. Die Summe wird nun offiziell auf 318 Milliarden Euro steigen. Bislang standen den Ausgaben entsprechend hohe Einnahmen gegenüber, davon 290 Milliarden Euro Steuereinnahmen. Daran soll sich – wenn möglich – nichts ändern. "Wir wollen das ohne neue Schulden schaffen", betont Schäuble. 2016 und auch in den Folgejahren solle es bei einer "schwarzen Null" bleiben.

Flüchtlinge bei der Ankunft in München (Foto: Getty)
Flüchtlinge bei der Ankunft in MünchenBild: Getty Images/AFP/C. Stache

Die zusätzlichen Ausgaben für Flüchtlinge will Schäuble mit dem Milliarden-Überschuss finanzieren, der in diesem Jahr dank der stabilen Konjunktur und höherer Steuereinnahmen anfällt. Eigentlich sollten damit Schulden getilgt werden. Nun werden sie wohl per Nachtragshaushalt ins nächste Jahr geschoben werden. Ein Trick in der Buchhaltung, der die schwarze Null sichern würde. Allerdings könnte der Bund bis zu 10,2 Milliarden Euro neue Schulden machen, ohne die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse zu verletzen.

Mehr Geld für Entwicklungshilfe und Prävention

Ob die sechs Milliarden Euro ausreichen werden, kann jetzt noch niemand sagen. Bundeskanzlerin Angela Merkel schloss zuletzt nicht aus, dass auch zehn Milliarden Euro gebraucht werden könnten. Im Moment ist vorgesehen, drei der offiziell veranschlagten sechs Milliarden Euro an Länder und Kommunen zu geben, die für die Unterbringungen der Flüchtlinge zuständig sind. 2,5 Milliarden Euro fließen in den Etat von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles, die das Geld braucht, um Hartz-IV, wie die Grundsicherung für Arbeitssuchende umgangssprachlich genannt wird, zu finanzieren. 400.000 Euro soll das Auswärtige Amt für die Krisenprävention erhalten, mit 100.000 Euro werden zusätzliche Stellen bei der Bundespolizei geschaffen.

Vier Tage nimmt sich der Bundestag Zeit, um über den Haushaltsentwurf 2016 zu debattieren. Danach wird der Etat an die Ausschüsse verwiesen und die Parlamentarier werden darüber streiten, wer tatsächlich wie viel Geld bekommen wird. Angesichts der aktuellen Ereignisse könnte sich noch einiges ändern. So sind derzeit noch rund 30 Milliarden Euro unter anderem dafür vorgesehen, Schienen, Brücken und andere öffentliche Verkehrsinfrastruktur zu sanieren und den Ausbau der digitalen Infrastruktur zu forcieren. Die Konjunktur sei trotz aller Risiken robust, dieses und nächstes Jahr sei weiter mit einem "guten Wirtschaftswachstum" zu rechnen, sagte der Bundesfinanzminister.

Haushalt im Fluss

Zu viel Streit über die Verteilung der Mittel möchte Schäuble jedoch vermeiden. Zur Zurückhaltung mahnt er vor allem bei der Diskussion über die finanzielle Lastenverteilung der Flüchtlingskrise zwischen Bund, Ländern und Kommunen. "Es macht jetzt wenig Sinn, in einen Überbietungswettbewerb einzutreten, wer wie viel bezahlen soll." Öffentlicher Streit würde hier nur Schaden anrichten und "die öffentliche Akzeptanz der Flüchtlingssituation nicht verbessern".

Dieser Meinung ist auch Bundestagpräsident Lammert. "Wir dürfen und müssen auch in der Haushaltsdebatte gewiss streiten über nötige und mögliche Maßnahmen, über rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen, über vorrangige und nachrangige Aufgaben", sagte er. Die Aufnahme von Flüchtlingen dürfe aber nicht allein unter Kostenaspekten gesehen werden. "Dass heute Menschen in Not in unserem Land, in Deutschland, den freien und sicheren Ort erkennen, der ihnen Schutz und Hilfe gewährt, ist angesichts unserer Geschichte ebenso erstaunlich wie ermutigend."

Sie können unterhalb dieses Artikels einen Kommentar abgeben. Wir freuen uns auf Ihre Meinung!