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Politik

Aktion gegen russische Aktivisten

Miodrag Soric
1. Februar 2019

Seit Langem protestieren Bürger im russischen Kolomna dagegen, dass Moskau seinen Müll unter fragwürdigen Bedingungen bei ihnen entsorgt. Nun kam es zu Durchsuchungen und Festnahmen. Miodrag Soric berichtet aus Kolomna.

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Rund 5000 Einwohner dagegen, dass Moskau einen Großteil seines Mülls in Kolomna entsorgt
Bild: DW/M. Soric

Um 5.50 Uhr in der Früh klopft es heftig an der Tür von Svetlana Jakunina. Seit ihrer Geburt lebt die 32jährige Angestellte in der Stadt Kolomna, gut 100 Kilometer von Moskau entfernt. Nie hatte sie Probleme mit der Staatsgewalt, nie war sie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. Doch dann stürmen am Donnerstagmorgen sechs Mitarbeiter des Geheimdienstes FSB ihr Zuhause. Die sechsjährige Tochter wird aus dem Schlaf gerissen. Auch in ihrem Zimmer stellen die Polizisten alles auf den Kopf. Sie suchen überall nach Computern, Telefonen oder externen Festplatten. Später erfährt Svetlana Jakunina, dass einige FSB-Mitarbeiter aus Kolomna stammen, andere wurden offenbar aus anderen Städten angefordert. Die Sicherheitskräfte blieben fünf Stunden. Ein traumatisches Erlebnis – nicht nur für die kleine Tochter.

Aktivistin, Svetlana Jakunina (DW/M. Soric)
Die mehrstündige Hausdurchsuchung hat Svetlana Jakunina bestürzt, aber nicht entmutigtBild: DW/M. Soric

Widerstand gegen die Müllmassen

Svetlana Jakunina ist eine von 14 Aktivisten, die an diesem Morgen zwischen 5 und 6 Uhr Morgens ungebetenen Besuch bekamen. Der Grund: Sie und andere haben in den vergangenen Monaten dagegen protestiert, dass die 12-Millionen-Metropole Moskau einen Großteil ihres Mülls in der idyllischen 140.000-Einwohner-Stadt entsorgt. Bis zu den Protesten transportierten bis zu 300 Lastwagen täglich Unrat in den Ort. Nachdem die Aktivisten den Widerstand organisierten, verringerte sich zwar diese Zahl deutlich. Doch immer noch fürchten die Anwohner um die Gesundheit ihrer Familien. Denn sie haben große Zweifel, ob der Müll aus Moskau sachgerecht gelagert wird. Sie vermuten sogar, dass Dioxin und andere hochgiftige Stoffe ungefiltert ins Grundwasser gelangen könnten. Die Distanz zwischen Müllhalde und der nächsten Siedlung beträgt weniger als einen Kilometer.

Geheimdienst durchsucht Wohnungen in Kolomna (DW/M. Soric)
Durchwühlte Wohnungen - Quittung für die Proteste? Bild: DW/M. Soric

Zu der ersten Demonstration vor einem Jahr kamen über 5000 Einwohner. Das ließ die Politik aufschrecken. Sie verbot weitere Demonstration in der Stadt. Doch die Aktivisten gaben nicht auf, schrieben Briefe an Politiker und Journalisten. Sie begannen den Müll selbst zu trennen, verkauften den Plastikmüll mit Gewinn an einen Entsorger in der Hauptstadt. Doch so viel Bürgerengagement gefiel der Politik in Kolomna nicht. Sie kündigte an, die Mülltrennung selbst organisieren zu wollen. Dann erhöhte die Verwaltung die Abfallgebühren um das Vierfache. Doch immer noch gibt es in der Stadt kaum Container für Papier oder Plastikmüll. Die wenigen, die errichtet wurden, laufen über - sie werden nicht entleert.

Aktionen und Gegenaktionen

Im Laufe des Donnerstags wird bekannt, dass sich einer der Aktivisten, Vjetscheslav Jegorov, in Untersuchungshaft befindet - in einer Einzelzelle. Zu ihm kamen in der Früh Sicherheitskräfte mit Masken und mit Gewehren im Anschlag. Sie versetzten den fünfjährigen Sohn in Angst und Schrecken. Von einer anderen Aktivistin, Irina Aksjonova, hieß es lange, sie sei ebenfalls festgenommen worden, was sich als falsch erwies.

"Nachdem die Geheimdienstler uns die Telefone, Computer und Kreditkarten weggenommen haben, hatten wir Mühe wieder miteinander in Kontakt zu kommen", heißt es. Abends treffen sich die Aktivisten dennoch in einem Cafe. Sie wollen nicht aufgeben. Ihre Moskauer Anwältin Maria Eismont bemüht sich um die Freilassung von Vjetscheslav Jegorov. Die Stimmung ist kämpferisch.

Rund 5000 Einwohner dagegen, dass Moskau einen Großteil seines Mülls in Kolomna entsorgt (DW/M. Soric)
Rund 5000 Einwohner wehrten sich gegen die Müllentsorgung - die Solidarität ist großBild: DW/M. Soric

Von dem Besitzer des Lokals werden sie gebeten zu gehen. Er fürchtet die örtliche Polizei. Sie könnte ihm die Lizenz entziehen, wenn sie erfahren, dass sich in seinen Räumen Aktivisten treffen. Andere sind mutiger, zeigen offen Sympathie für die Protestler. Unter ihnen auch einige Geheimdienstler, die die Wohnungen durchwühlt haben. Den Aktivisten flüstern sie deren Angaben zufolge zu: "Wir schämen uns für das, was wir machen. Doch was sollen wir tun? Auch wir haben Familien und müssen sie ernähren."

Inzwischen berichten auch Russlands Oppositionsmedien über die Festnahme und die Durchsuchungen in Kolomna. Doch viele Angaben sind unvollständig oder falsch, weil sie keine Reporter vor Ort haben. Sollte der Geheimdienst in der Stadt weiter rücksichtslos vorgehen, dürfte sich dies ändern. Schon für den 3. Februar rufen die Aktivisten zu einem Autokorso in Kolomna auf. So sollen die Einwohner den von Moskau eingesetzten Lokalpolitikern klar machen: Wir geben nicht klein bei.

Wachsender Protest gegen Mülldeponie in Russland