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Gutenberg-Bibel bei Medwedtschuk aufgetaucht

4. Juni 2020

Die Vermögenserklärung des Abgeordneten Wiktor Medwedtschuk hat Wissenschaftler überrascht: Der Politiker besitzt ein Fragment einer Gutenberg-Bibel. Wie die Rarität in die Ukraine kam, verrät Medwedtchuk nicht.

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Bild eines Fragments der ersten gedruckten Bibel von Johannes Gutenberg aus dem Jahr 1455
Bild eines Fragments der ersten gedruckten Bibel von Johannes Gutenberg aus dem Jahr 1455. Heute befindet sich dieses Fragment in der Bibliothek der Universität Princeton, USA.Bild: Princeton University Library Special Collections

"Fragment einer Gutenberg-Bibel aus dem Jahr 1455" - so lautet eine Zeile in der kürzlich veröffentlichten Vermögenserklärung von Wiktor Medwedtschuk. Der Geschäftsmann und Abgeordnete des ukrainischen Parlaments besitzt nach dieser Aufstellung eine ganze Sammlung alter Drucke. Doch das Fragment eines der ersten gedruckten Bücher der Menschheitsgeschichte sticht auf der langen Liste von Autos, Uhren, Schmuck, Gemälden und Antiquitäten hervor.

Medwedtschuk gilt als langjähriger enger Vertrauter des russischen Präsidenten Wladimir Putin. 2004 wurde Putin Taufpate von Medwedtschuks Tochter. Zu dem Zeitpunkt war Medwedtschuk Leiter der Administration des damaligen ukrainischen Präsidenten Leonid Kutschma. Heute ist er ein Medienmagnat, eine Schlüsselfigur und wichtiger Geldgeber der prorussischen Partei "Oppositionsplattform", die im ukrainischen Parlament vertreten ist.

Doch diesmal war es nicht seine enge Verbindung zu Putin, die für Schlagzeilen sorgte, sondern ein Fragment aus einem alten Buch. Führende Gutenberg-Forscher, von der DW auf den Fund in Medwedtschuks Vermögenserklärung angesprochen, horchten auf. Schließlich befand sich nach bisherigen Informationen keines der weltweit 15 identifizierten Einzelfragmente der Gutenberg-Bibel in der Ukraine. Das nährte die Hoffnung auf eine Wiederentdeckung eines der bisher verloren geglaubten Fragmente.

"Ein Meilenstein in der Kommunikationsgeschichte"

Von Gutenbergs 180 gedruckten Büchern sind nur 49 erhalten. Fast alle seine Bibeln befinden sich heute in führenden Bibliotheken wie der Kongressbibliothek in Washington, der Pariser Nationalbibliothek, der British Library in London oder in der Universitätsbibliothek Göttingen. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren mehrere Exemplare von Gutenbergs Bibeln aus Deutschland verschwunden. Wo sie sind, ist bis heute zum Teil unbekannt. Eines von zwei Exemplaren, die sich in Russland befinden, wurde letztes Jahr zum ersten Mal in Moskau gezeigt. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren beide Bücher von Leipzig zusammen mit rund 3000 anderen deutschen Altdrucken in die russische Hauptstadt gebracht worden.

Buchwissenschaftler Stephan Füssel hält zwei aufgeschlagene Bücher in den Händen
Stephan Füssel ist Buchwissenschaftler Bild: Imago/Sämmer

Nicht nur ganze Bücher, auch einzelne Seiten, die nach langer Zeit wieder auftauchten, seien eine wissenschaftliche Sensation, so Stephan Füssel, Leiter des Gutenberg-Instituts für Weltliteratur und schriftorientierte Medien in Mainz. "Als erstes gedrucktes Buch ist es ein Meilenstein in der Kommunikationsgeschichte. Dieses Buch ist von besonderer Bedeutung für alle Völker der Welt", so Füssel im Gespräch mit der Deutschen Welle.

So wurden beispielsweise im Jahr 2009 in der Bibliothek der französischen Stadt Colmar mehrere Seiten gefunden, die jahrhundertelang unbemerkt in einem Buch aus dem 16. Jahrhundert lagen. Einige Jahre später fand ein Brite zufällig in seiner Sammlung zwei Seiten der ersten auf Pergament gedruckten Bibel. In dieses Fragment war ein anderes altes Buch eingewickelt gewesen. Ein ähnlicher Fund in Augsburg sorgte zuletzt 2017 für Furore.

Großes mediales Echo in der Ukraine

Neben Stephan Füssel appellierte auch der US-amerikanische Gutenberg-Forscher Eric White von der Universität Princeton im Gespräch mit der DW an Medwedtschuk, den Wissenschaftlern Informationen oder auch nur ein Foto seines Fragments zukommen zu lassen. Schließlich könnte es eines der verlorenen Artefakte sein. "Es ist ein kultureller Verlust, etwas vor der Öffentlichkeit zu verbergen, was für viele Wissenschaftler von großer Bedeutung ist", so White im DW-Interview.

Ukraine Wiktor Medwedtschuk sitzt hinter seinem Schreibtisch mit den Armen auf dem Tisch
Wiktor Medwedtschuk ist im Besitz eines Fragments der Gutenberg-BibelBild: imago/Russian Look

Eine Woche lang reagierte der ukrainische Politiker auf keine der zahlreichen DW-Anfragen zu seinem Fragment der Gutenberg-Bibel. Erst nach einem großen medialen Echo in der Ukraine, das der Appell der Wissenschaftler nach seiner Veröffentlichung von DW-Ukrainisch und DW-Russisch auslöste, meldete sich Medwedtschuk am Montag, dem 1. Juni zu Wort. Den Wissenschaftlern sicherte er Zusammenarbeit zu, enttäuschte aber gleichzeitig die Hoffnungen auf eine Neuentdeckung. Sein Fragment sei der Wissenschaft längs bekannt, erklärte der Politiker. Es sei ein zweiseitiges Blatt mit Psalmen aus der Bibel, die zum ersten Mal 1920 in der berühmten Sammlung von Gabriel Wells beschrieben wurden. Der Amerikaner zerstückelte sein Buch in Einzelblätter und verkaufte sie an Sammler in Europa und in den USA.

Herkunft der Gutenberg-Bibel wirft Rätsel auf

Auch wenn für die Wissenschaft damit alle Fragen beantwortet sind, haken ukrainische Journalisten weiter nach. Schließlich gelten alle Bücher aus dem 15. bis 18. Jahrhundert in der Ukraine als Kulturgut von nationaler Bedeutung und unterliegen besonderen Ein- und Ausfuhrregelungen. Wie kam Wiktor Medwedtschuk an sein Exemplar? Wie viel zahlte er dafür? Mit diesen Fragen konfrontierten Reporter von Radio Liberty den Parlamentsabgeordneten gleich nach einer Plenarsitzung am Dienstag, den 2. Juni. "Über so etwas spricht man nicht. Es ist schon länger her - etwa acht bis zehn Jahre. Ich schlug gerne zu und kaufte dieses für die Ukraine einmalige Exemplar", winkte der Politiker ab. Ein Schnäppchen durfte es wohl kaum gewesen sein. 2015 wechselten beim Auktionshaus Sotheby's vier Blätter aus der Bibel, von der auch der Ukrainer ein Blatt besitzt, für 970.000 US-Dollar anonym ihren Besitzer.

Wiktor Medwedtschuk beteuert seine Rarität in der Ukraine gekauft zu haben. Nach den DW-Informationen aus US-amerikanischen Fachkreisen war dieses Fragment Jahrzehntelang in den USA, zuletzt in den Beständen des Sammlers Randy Hood. Im Jahr 2011 sei es von dem Raritätenhändler Johnny Shipman, der in der Sammlerszene bestens vernetzt ist, über seine Privatkontakte angeboten worden. Danach verloren sich die Spuren des Fragments - bis es schließlich neun Jahre später in der ukrainischen Sammlung auftauchte.