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Politik

Debatte um Lebensmittelpreise geht weiter

30. Dezember 2021

Seitdem der neue Bundesagrarminister Cem Özdemir in den Weihnachtstagen Ramschpreise für Lebensmittel anprangerte, wird das Thema in Deutschland kontrovers diskutiert. Greenpeace schlägt eine höhere Mehrwertsteuer vor.

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Weiterstadt Fleischer werben um Nachwuchs
Ramschware oder hochwertiges Produkt - wieviel ist dieser Rollbraten wert?Bild: Arne Dedert/dpa/picture alliance

Extreme Billigangebote vor allem für Fleisch geraten zusehends in die Kritik. Zugleich wachsen Erwartungen an eine bessere Tierhaltung. In diesem Spektrum bewegt sich die Debatte um Lebensmittelpreise in Deutschland. Die Umweltorganisation Greenpeace wirbt nun für eine höhere Mehrwertsteuer auf tierische Produkte.

"Die neue Bundesregierung sollte die Mehrwertsteuer für Fleisch und Milchprodukte an den regulären Satz von 19 Prozent anpassen", sagte Greenpeace-Agrarexperte Matthias Lambrecht der Funke-Mediengruppe. Im Gegenzug könne sie die Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse absenken oder ganz streichen. Mit solchen Änderungen bei der Mehrwertsteuer würden Verbraucher entlastet und Anreize für umweltfreundlicheren und klimaschonenderen Konsum pflanzlicher Lebensmittel geschaffen.

Artgerechte Tierhaltung: Tierschützer trifft Schweinebauer

Zugleich brauchten Landwirtschaftsbetriebe gezielte Förderung für eine bessere Tierhaltung. Dafür sollten über eine Steuer oder Abgabe jene Verbraucher aufkommen, die Fleisch- und Milchprodukte kaufen. Es gehe nicht darum, Menschen vorzuschreiben, was sie essen sollten, sondern schlicht darum, das Verursacherprinzip durchzusetzen, machte Lambrecht die Greenpeace-Position deutlich.

FDP spricht von Augenwischerei

Prompter Widerspruch kam von der mitregierenden FDP. Ihr Agrarexperte Gero Hocker sagte: "Mit der Anhebung der Mehrwertsteuer auf Fleisch ein Mehr an Tierwohl und Klimaschutz erreichen zu wollen, ist Augenwischerei." Die Mehrwertsteuer diene nicht als "Lenkungssteuer zur Umerziehung der Bürger", und eine Anhebung bei bestimmten Produkten würde das ohnehin komplizierte System noch unverständlicher machen. Zudem sei die Gefahr groß, dass Gelder aus Steuermehreinnahmen nicht zielgerichtet bei Bauern im Stall ankommen.

Der neue Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) hatte am zweiten Weihnachtstag gesagt, es dürfe "keine Ramschpreise" für Lebensmittel mehr geben, die Bauernhöfe in den Ruin trieben und mehr Tierwohl verhinderten. Auch die frühere Ministerin Julia Klöckner (CDU) hatte wiederholt gemahnt, Fleisch dürfe keine "Ramschware" sein, und für mehr Wertschätzung geworben.

Um Billigstpreise künftig zu verhindern will Özdemir nun an einer weiteren Schraube drehen: Der Bundeslandwirtschaftsminister prüft Schritte gegen den Verkauf von Lebensmitteln in Supermärkten unterhalb der Herstellungskosten.

Cem Özdemir
Landwirtschaftsminister Özdemir: "Unlautere Handelspraktiken"Bild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

"Die großen Player dürfen nicht mehr länger die Preise diktieren und Margen optimieren", sagte Özdemir dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Wir wollen dafür unter anderem die kartellrechtliche Missbrauchsaufsicht und die Fusionskontrolle im Bundeskartellamt stärken, weiter gegen unlautere Handelspraktiken vorgehen und prüfen, ob der Verkauf von Lebensmitteln unter Produktionskosten unterbunden werden kann", so der Minister.

Laut dem Datenportal Statista liegt Deutschland im europäischen Vergleich bei den Fleischpreisen im oberen Drittel auf Rang zehn. Am meisten bezahlen die Schweizer fürs Fleisch. Auch Italien, Frankreich und Norwegen haben ein höheres Preisniveau. Schlusslichter sind Rumänien und Polen.

Höhere Mehrwertsteuer oder Verbraucherabgabe

Laut einem Gutachten im Auftrag des Ministeriums sind Preisaufschläge für die Verbraucher prinzipiell rechtlich möglich - eine strikte Zweckbindung der Einnahmen nur für deutsche Tierhalter wäre aber problematisch. Ein gangbarer Weg wäre demnach eine Anhebung des Mehrwertsteuersatzes.

Eine Expertenkommission des Ministeriums hatte eine "Tierwohlabgabe" favorisiert. Umgesetzt werden könnte es als Verbrauchsteuer. Auch dies wäre laut Machbarkeitsstudie ein gangbarer Weg wie etwa schon bei Verbrauchsteuern auf Kaffee. Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP gibt es keine konkrete Festlegung dazu.

Einen Ausgleich für mögliche Preisaufschläge bei Fleisch und Wurst fordern unter anderem auch die Verbraucherzentralen - indem Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte mit einem noch geringeren Mehrwertsteuersatz belegt würden als bisher. Die Sozialverbände hatten nach dem Vorstoß Özdemirs gefordert, ärmere Menschen nicht übermäßig durch steigende Lebensmittelpreise zu belasten.

fab/AR (dpa, afp, statista)