1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Film

Goldener Leopard geht nach Indonesien

14. August 2021

"Die Rache ist mein, alle anderen zahlen bar" holt die Trophäe des 74. Filmfestivals in Locarno. Auch deutsche Filmemacher sind unter den Preisträgern.

https://p.dw.com/p/3yzLM
Locarno - Filmfest - Filmdirektor Edwin
Der 43-jährige Regisseur Edwin reflektiert die Geschichte seines Heimatlandes Indonesien (Archivbild)Bild: Urs Flueeler/Keystone/picture alliance

Der Leopard, der seit mehr als 15 Jahren vor jeder Projektion von links nach rechts über die Leinwand huscht und vor seinem Abgang grollend brüllt, durfte natürlich auch in diesem Jahr nicht fehlen. Doch danach folgte kein Festivaltrailer, sondern - schwarz auf gelb - erschienen lediglich drei Worte: "Cinema is back".

Denn anders als im Vorjahr fand das diesjährige Filmfest von Locarno nicht als Hybrid-Veranstaltung statt, sondern im Open-Air-Kino auf der Piazza Grande und in den Spielstätten am Lago Maggiore. Auch wenn im Vergleich zu vorpandemischen Zeiten merklich weniger Besucher gezählt wurden, da die internationale Gästeschar fehlte und es in der Stadt generell sehr ruhig war, weil der Club- und Barbetrieb noch ruht, ist Locarno auf bestem Weg in eine Zukunft mit Kino.

Schweiz | Locarno Film Festival 2021
Letzes Jahr ohne Publikum, dieses Jahr mit: Einzigartige Atmosphäre auf der Piazza GrandeBild: Urs Flueeler/Keystone/picture alliance

Die Gewinner des Goldenen Leoparden

Am "Concorso internazionale", dem Wettbewerb um den Goldenen Leoparden, haben 17 Spielfilme aus aller Welt teilgenommen. Der Hauptpreis ging in diesem Jahr an die von deutschen Geldgebern mitproduzierte Sozialstudie "Vengeance is Mine, All Others Pay Cash" aus Indonesien ("Die Rache ist mein, alle anderen zahlen bar"). Der 43 Jahre alte indonesische Regisseur Edwin ("Die Nacht der Giraffe") reflektiert darin die von Gewalt geprägte jüngere Geschichte seines Heimatlandes.

Hoch gehandelt war auch die von deutschen Produzenten mitrealisierte Polit-Satire "Nebesa" ("Der Schein trügt") des serbischen Regisseurs Srđan Dragojević ("Parade"). Schwarzhumorig geht der Film anhand der Geschichte einer Flüchtlingsfamilie der Frage nach, ob traditionelle christliche Werte heutzutage noch Bestand haben. Der die Zeit von den 1990er Jahren bis in eine nahe Zukunft umspannende Film soll im Herbst unter dem Titel "Der Schein trügt" in die deutschen Kinos kommen.

Liebesgeschichte mit Zootieren

Ebenfalls gute Chancen auf einen Gewinn hatte "Soul of a Beast" von Lorenz Merz. Darin verliebt sich der junge Gabriel in die neue Freundin seines besten Freundes Joel. Die Liebesgeschichte vermischt sich mit einer Story um aus dem Zoo entwichene Tiere, darunter eine Giraffe und ein Panther, welche die Stadt unsicher machen; zugleich geht es um die Rolle, die Drogen im Leben junger Menschen spielen.

Der Preis für die beste Regie im Hauptwettbewerb geht an den US-Amerikaner Abel Ferrara ("Bad Lieutenant") für den Polit-Thriller "Zeros and Ones". Den Spezialpreis der Jury des Hauptwettbewerbs bekommt das Historiengemälde "A New Old Play" des chinesischen bildenden Künstlers und Regisseurs Qi Jiongjiong. Im Hauptwettbewerb wird die Russin Anastasiya Krasovskaya als beste Schauspielerin in der Milieustudie "Gerda" von Regisseurin Natalya Kudryashova aus Russland ausgezeichnet. Mohamed Mellali und Valero Escolar werden gemeinsam als beste Schauspieler in der Arbeiter-Komödie "Sis dies corrents" ("The Odd-Job Men") der spanischen Filmregisseurin Neus Ballús ("Die Plage") geehrt. 

Schweiz Locarno Internationales Film Festival 2019
Die begehrte Trophäe: der Goldene LeopardBild: Locarno Film Festival

Viel Beifall für das deutsche Kino

Im zweiten wichtigen, allerdings dem Nachwuchs vorbehaltenen Wettbewerb "Filmemacher der Gegenwart" konnte Deutschland einen großen Erfolg verbuchen: Saskia Rosendahl ("Fabian oder der Gang vor die Hunde") erhält die Auszeichnung als beste Schauspielerin. Sie verkörpert in der Romanverfilmung "Niemand ist bei den Kälbern" der deutsch-iranischen Autorin und Regisseurin Sabrina Sarabi eine junge Frau, die mit dem Leben auf dem Lande hadert.

Viel Zustimmung bekam auch das von deutschen Produzenten mitfinanzierte Jugenddrama "Soul of a Beast". Der Schweizer Autor und Regisseur Lorenz Merz erzählt in energiegeladenen Bildern eindrucksvoll von der verzweifelten Suche einiger Teenager nach dem Sinn des Lebens. In einer der Hauptrollen brilliert die schon in vielen deutschen Filmen sehr erfolgreiche Schweizer Schauspielerin Luna Wedler ("Auerhaus", "Je suis Karl"). 

Ehrenpreis für Regie-Legende John Landis

Er drehte Filme wie "Blues Brothers", "Ich glaub, mich tritt ein Pferd" oder das Video zu Michael Jacksons "Thriller": Regie-Legende John Landis erhielt den "Pardo d'onore Manor", einen Ehrenleoparden. Er selbst sieht sich als Vertreter des alten Hollywoods. Dazu sagte er vor der Preisverleihung in  Locarno: "Die Tatsache, dass die Leute Filme auf ihren iPhones ansehen, bricht mir das Herz.” Dies und ein Zuviel an Computer-Bildern, so Landis, zerstöre das "Gefühl des Wunders", das für ihn das Einzigartige am Kino sei.

Bei der Open-Air-Gala vor mehreren Tausend Zuschauern auf der Piazza Grande des Touristenortes wirkte Landis sichtlich gerührt: "Es macht mich froh, dass noch heute sieben, acht Filme von mir, die ich vor Jahren gedreht habe, gerne gesehen werden."

Schweiz | Locarno Film Festival 2021 | John Landis
Der Ehrenpreis geht an US-Regisseur John LandisBild: Rosdiana Ciaravolo/Getty Images

Umwelt, Jugend und Filmklassiker

In Locarno wurde nach dem Willen der Veranstaltenden in diesem Jahr nicht nur über Filme gesprochen, sondern auch über die Umwelt. Gelegenheit dazu bietet die Weltpremiere von "Yaya e Lennie - The Walking Liberty". Der Animationsfilm des italienischen Regisseurs Alessandro Rak erzählt von einer apokalyptischen Zukunft: Die Natur hat sich die Welt zurückerobert und die Menschen versuchen, eine neue Ordnung herzustellen.

Zum ersten Mal wurde in diesem Jahr der Locarno Kids Award la Mobiliare vergeben, der an Filmschaffende geht, die das jüngere Publikum ans Kino heranführen. Damit soll Kindern und Jugendlichen im Festivalpublikum ein besonderer Platz eingeräumt werden. Erster Preisträger ist der japanische Animationsfilm-Regisseur Mamoru Hosoda. Dessen neuer Film "Belle" handelt vom Einfluss der sozialen Netzwerke auf die junge Generation und feierte am 9. August seine Premiere.

Auf der Piazza Grande liefen auch ältere Filme: Mit dabei waren der Thriller-Klassiker "Heat" mit Robert de Niro (Ehrenpreis für Kameramann Dante Spinotti) und der Science-Fiction-Hit "Terminator" (Ehrenpreis für die Produzentin Gale Anne Hurd).

Schweitz Giona A. Nazzar neuer Leiter Filmfestival Locarno
In neuer Funktion: Für Giona A. Nazzaro war es das erste Jahr als FestivalleiterBild: Davide Agosta/Ti-Press/KEYSTONE/dpa/picture alliance

Premiere für den neuen Leiter

Die 74. Ausgabe des Locarno Film Festivals vom 4. bis 14. August war die erste des neuen Festivalleiters Giona A. Nazzaro. Der Italiener hatte die künstlerische Leitung offiziell zum Jahreswechsel übernommen, nachdem die Französin Lili Hinstin nach nur zwei Jahren zurückgetreten war. Nazzaro leitete seit 2016 die Kritikerwoche des Internationalen Filmfestivals Venedig und war in Locarno bereits seit 2009 als Moderator im Einsatz. Der neue Leiter will die Tradition des Festivals für Autorenfilme fortsetzen. Er übernimmt das Filmfest in einer für das Kino schwierigen Zeit: Neben Corona sorgt auch der Strukturwandel durch die Konkurrenz der Streamingdienste für Probleme.

Wie sehr das Kino im Wandel und Streaming auf dem Vormarsch ist, wurde am Eröffnungsfilm deutlich: Die Rechte am Thriller "Beckett" hält Netflix, wo der Film noch vor Ende des Festivals abrufbar sein wird - früher ein Ding der Unmöglichkeit. "Beckett" erzählt von einem US-Amerikaner, auf den im Griechenland-Urlaub nach einem Unfall Jagd gemacht wird. Die Hauptfigur verkörpert John David Washington. Der Sohn von Oscar-Preisträger Denzel Washington spielte bereits die Hauptrollen in Spike Lees Oscar-prämiertem "BlacKkKlansman" und Christopher Nolans "Tenet".

rbr/jj (dpa, kna)