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"Das Programm spielt fast wie ein Mensch"

Das Interview führte Annabelle Steffes8. März 2016

Go galt als zu komplex, als dass ein Computer einen Menschen darin besiegen könnte -bis Europameister Fan Hui gegen AlphaGo verlor. Schlägt das Programm auch den Weltmeister Lee Sedol? Wir haben beim Experten nachgehakt.

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Lukas Krämer , deutscher Meister im Strategiespiel Go
Bild: Lukas Krämer

Mensch gegen Maschine. Dieses Szenario ist nicht neu: Bereits 1996 gelang es Deep Blue als erstem Computer, den damals amtierenden Schachweltmeister Garri Kasparow in einer Partie zu schlagen. Doch im Gegensatz zu Schach galt das chinesische Go bislang als viel größere Herausforderung für Computerprogramme, da es deutlich mehr potenzielle Spielzüge gibt.

Für den europäischen Go-Meister Fan Hui muss es dementsprechend eine bittere und auch unvorhergesehene Niederlage gewesen sein: Im Oktober 2015 verlor er nicht nur ein, sondern gleich alle fünf Spiele des Turniers gegen AlphaGo. Wie konnte es der Maschine nur gelingen, den europäischen Meister so oft zu besiegen?

Neuronale Netzwerke wie bei Nervenzellen

Die bei Google entwickelte Software AlphaGo verfügt über zwei "neuronale Netzwerke" mit Millionen von Verbindungen, ähnlich wie bei Nervenzellen. Dadurch soll sie wahrscheinliche Züge des Gegenspielers vorhersagen und sich darauf einstellen können. In Wettkämpfen vom 9. bis zum 15. März, die live via Youtube gestreamt werden, trifft der Computer nun auf den südkoreanischen Go‑Weltmeister Lee Sedol. Wir haben den deutschen Go-Champion Lukas Krämer nach seiner Einschätzung zu diesem Turnier befragt.

Strategiespiel Go (Foto: picture-alliance/dpa/M. Schönherr")
Go wird mit bis zu 361 schwarzen und weißen Steinen gespielt.Bild: picture-alliance/dpa/M. Schönherr

DW: Herr Krämer, es ist nahezu 20 Jahre her, dass der Schachcomputer Deep Blue gegen Kasparow gewonnen hat. Eigentlich dachte man, es würde mindestens noch zehn bis 15 Jahre dauern, bis ein solcher Sieg beim Go möglich sein würde - haben wir eine neue Qualität künstlicher Intelligenz erreicht?

Lukas Krämer: Ich bin zwar kein Experte in Sachen künstliche Intelligenz, aber den Berichten zufolge, die ich gelesen habe, ist das der Fall. AlphaGo hat nicht nur Auswirkungen auf die Go-Roboter, sondern auch auf andere Bereiche, wie zum Beispiel Medizin, künstliche Spracherkennung und künstliche Logik. Das wurde alles gebraucht, um einen so starken Computer für Go überhaupt herzustellen. Insofern wird es in diesen Bereichen auch noch weitere Innovationen geben. Von daher denke ich schon, dass man einen neuen Level von künstlicher Intelligenz erreicht hat. Was genau das in Zukunft bedeuten wird, das kann wohl noch niemand sagen.

Wie spielt eine solche Maschine gegen den Menschen? Kann der Computer tatsächlich die Denkweise des Menschen voraussehen?

Zuerst sollte man sich überlegen, wie spielt denn ein Mensch? Ein Mensch lernt zuerst die Regeln und dann baut er sich eine Art Set von Leitlinien auf. Das Spiel ist unglaublich komplex. Ich möchte ein Beispiel anbringen: Es gibt so viele mögliche Positionen auf dem Go-Brett, wie es Atome im Universum gibt. Und in jedem Atom müssten es dann noch mal so viele Atome sein, wie es im Universum gibt. Dann käme man ungefähr auf die Zahl von möglichen Positionen auf dem Go-Brett. Von daher muss man schon sehr stark eingrenzen, über welchen Zug man eigentlich nachdenken muss. Was ist eigentlich das Wichtige im Moment? Das lernt man meistens durch Erfahrung und das ist auch der Grund, warum Menschen Computern da weit voraus waren.

Ein Computer kann unglaubliche Massen an Daten berechnen - und viel akkurater, als ein Mensch das kann. Aber ein Mensch kann entscheiden: 'Das muss ich gar nicht berechnen. Das ist gar nicht wichtig im Moment.' Für einen Computer war das viel schwieriger. Man kann einem Computer sagen, halte Dich an diese Richtlinie, dann hält er sich auch daran. Aber in besonderen Fällen trifft diese Richtlinie dann wieder nicht zu und dann hat der Computer einen Fehler programmiert. Von daher muss man dem Computer beibringen, selbst zu entscheiden, was wichtig ist. Und die Programmierer von AlphaGo haben das super hinbekommen.

Lukas Krämer , deutscher Meister im Strategiespiel Go. Rechte: Lukas Krämer
Bereits mit 14 begann Lukas Krämer mit Go.Bild: Lukas Krämer

"Das Programm spielt fast wie ein Mensch"

Sie haben zwei Methoden kombiniert. Einmal wurden die Daten von Profispielern aus den letzten 50 oder 100 Jahren eingespeist und als Basis genommen. Aber nicht, um das einfach zu reproduzieren, sondern zur Formerkennung. Der zweite Punkt ist, dass das Programm selber Erfahrungen sammelt. Das heiß, es spielt jeden Tag, jede Sekunde gegen sich selbst und wird so immer besser. Es lernt. Dadurch, dass es gegen sich selbst mit den Informationen, die es hat, spielt. Und dann baut es für sich praktisch eine eigene Spiellogik auf.

Momentan ist es unglaublich zu sehen, dass das Programm fast wie ein Mensch spielt. Frühere Programme haben ganz anders gespielt. Man hat ganz klar gesehen, dass es wahrscheinlich kein Mensch ist, der da spielt.

Wie schätzen Sie die Spielweise des Computers ein? Glauben Sie, Sie könnten seine Spielzüge wiederum voraussehen?

Weniger als beim Menschen. Beim Menschen ist es sehr klar, worüber er wahrscheinlich nachdenkt. Und wenn man auf ungefähr dem gleichen Spielniveau ist, dann kommt man mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit auch auf ähnliche Züge oder zumindest auf ähnliche Ideen. Bei Computern ist das ganz oft nicht so. Entweder sie kopieren menschliche Ideen und verstehen sie nicht richtig. Wenn man dann von der normalen Variante abweicht, dann können sie plötzlich nicht mehr richtig spielen - oder sie entwickeln eigene Ideen, die dann aber auch ihre eigenen Probleme haben und meistens nicht wirklich subtil sind - zumindest war das bisher so. Bei AlphaGo ist das anders.

Asien Brettspiel Go. Rechte: "Imago/Xinhua".
Laut der britischen Go Association spielten im Jahr 2013 weltweit 60 Millionen Menschen Go.Bild: Imago/Xinhua

Wie diskutiert die Go-Gemeinde das Phänomen?

Es wird sehr sehr hitzig diskutiert. Meine erste Reaktion war, Angst vor "Electronic Cheating" (Elektronisches Betrügen, Anm.der.Red.): Das hieße, dass eine zweite Person, zum Beispiel über das Handy, die AlphaGo-Züge an den Spieler übermittelt. Dann spielt der Mensch plötzlich nicht mehr gegen seinen Gegner, sondern gegen AlphaGo. Und AlphaGo wird in sehr kurzer Zeit höchstwahrscheinlich stärker sein als die meisten Spieler. Der Spieler, der die Züge von AlphaGo benutzt und betrügt, könnte kaum noch geschlagen werden. Und diesen Betrug aufzuklären, wäre ziemlich schwierig.

Die zweite Reaktion ist natürlich sehr großes Interesse, dann Unglauben und Unverständnis. Dann, wenn man die Spiele sieht, versteht man so langsam und ist einfach nur fasziniert. Es wird natürlich sehr viel gewettet, wie das Spiel von Lee Sedol gegen AplhaGo ausgehen wird. Die meisten Spieler denken, dass Lee Sedol gewinnen wird. Lee Sedol geht davon aus, dass er mit 5 zu 0 oder 4 zu 1 gewinnen wird. Ich persönlich denke, dass er vielleicht mit 3 zu 2 gewinnt. Aber es ist schwieirg zu sagen, weil man nicht weiß, wie sehr sich AlphaGo entwickelt hat und noch entwickeln wird.

Was bedeutet diese Entwicklung womöglich für andere unserer Lebensbereiche? Werden die Maschinen uns wirklich irgendwann ersetzen?

Die Frage ist, was bedeutet "ersetzen". Maschinen sind so nützlich geworden, dass viele Aufgaben, die Menschen früher übernommen haben, unnötig geworden sind, und durch Maschinen viel besser und viel effizienter ausgeführt werden können. Die Maschinen als solche haben aber auch ziemlich große Schwachstellen - zum Beispiel, wenn sie gehackt werden. Die Frage bleibt, wie sehr sich die Menschen von den Maschinen abhängig machen wollen. Die Möglichkeiten werden durch den Einsatz von Maschinen in jedem Fall vervielfältigt werden können und der Mensch muss im Endeffekt selber entscheiden, wie er damit umgehen möchte.

Lukas Krämer ist amtierender und dreifacher deutscher Meister im Go. Außerdem studiert er Chinesisch an der Universität Bonn.