Gerhard Richter: Kirchenfenster für Tholey
17. September 2020Zunächst war Gerhard Richter etwas zögerlich, als man ihn bat, drei neue Kirchenfenster für die Benediktinerabtei St. Mauritius zu gestalten. Er sei mit seinen 88 Jahren zu alt und glaube nicht, dass er es schaffe, sagte er zunächst gegenüber der Abtei in Tholey. Doch dann verflüchtigten sich die Zweifel und Richter sagte den dort lebenden zwölf Mönchen zu. Schließlich ist so eine Anfrage auch etwas Besonderes, auch für einen der teuersten lebenden Künstler weltweit. Kurz vor der Enthüllung am Donnerstag (17.9.2020) sagte Gerhard Richter - bezugnehmend auf sein Werkzeichnis, das er von Anbeginn seiner Karriere führt -, dass die großen neuen Kirchenfenster voraussichtlich seine letzte große Arbeit seien: "Das ist sicher meine letzte Werknummer." Mit der Umsetzung sei er "sehr zufrieden": "Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass das so gut geht."
Zur Enthüllung reiste der 88-Jährige allerdings nicht persönlich ins saarländische Tholey, das knapp 250 Kilometer von seinem Wohnort Köln entfernt liegt. So hörte er auch nicht die lobenden Worte des Abtes Mauritius Choriol: "Das ist fantastisch", rief er aus, als die Fenster jetzt erstmals in ihrer ganzen Pracht gezeigt wurden. "Wir sind sehr froh über das unfassbare Geschenk, das wir von Gerhard Richter bekommen haben."
Muster für Richters Entwürfe stammen aus "Patterns"
Die Abtei Tholey in dem gleichnamigen Dorf Tholey im Saarland gilt als ältestes Kloster auf deutschem Boden. 634 n. Christus wurde es erstmals urkundlich erwähnt. In diesem Jahr wurde es umfassend renoviert. Dazu hatten die Mönche verschiedene Künstler eingeladen, mehrere Fenster neu zu gestalten. Einer von ihnen war Gerhard Richter. Als Vorlage benutzte der Kölner Maler ein abstraktes Gemälde aus dem Jahr 1990.
Das großformatige Werk hat er in kleine Einheiten eingeteilt, bis nur noch abstrakte Formen und Linien zu sehen waren. Daraus entstanden die neuen Chorfenster für Tholey. Für Gerhard Richter ist es nicht der erste Auftrag einer Katholischen Kirche. Auch den Kölner Dom verwandelte er vor 13 Jahren in einen beliebten Pilgerort für Kunstfreunde. In 72 leuchtenden Farben, von Königsblau über Orange bis hin zu Veilchenlila, erstrahlt das Fenster im Südquerhaus. Es besteht aus 11.500 kleinen Farbquadraten, die je nach Sonneneinfall kleine Lichtpunkte durch die Kathedrale tanzen lassen. Die ehemalige Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner war es, die den in Köln lebenden Künstler Gerhard Richter um einen Entwurf gebeten hatte. Ihr Wunsch: Der Künstler sollte sich Gedanken machen, wie man das ursprüngliche Fenster, das im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde, ersetzen könnte.
Warum arbeiten Künstler gerne für die Kirche?
In London, in Köln, in Düsseldorf, aber auch in deutschen Kleinstädten wie Naumburg oder Köthen arbeiten Künstler für kirchliche Auftraggeber. Nicht immer sind die Reaktionen positiv. Im Falle Gerhard Richters protestierte der damalige Erzbischof Meisner. Der Kardinal von Köln hielt das Fenster für unpassend und war der Ansicht, es gehöre eher in eine Moschee statt in den Dom. Andere vermissten die angemessene Spiritualität. Der Künstler selbst war sich von Anfang an der Schwierigkeiten bewusst. Die Entscheidung gegen eine figürliche Darstellung fiel ihm nicht leicht. Damals sagte er: "Ich war begeistert über die Anfrage und erschrocken, weil ich ahnte, dass ich überfordert bin, und war kurz davor es abzusagen."
Kirche und Kunst - das war jahrhundertelang eine feste Größe, ein Paar, das eng zusammengehörte. Der Künstler verstand sich bis ins 15. Jahrhundert als Handwerker, der überwiegend für religiöse Auftraggeber arbeitete.
Die Kirchenfenster symbolisieren den Übergang von der materiellen zur immateriellen Welt. Ihr Leuchten galt auch als Emanation des göttlichen Lichts selbst.
Neuanfang mit dem Künstler Georg Meistermann
Schon im 6. Jahrhundert gab es leuchtende Glasfenster in Kirchen. Und im späten 9. Jahrhundert war erstmals von "in den Fenstern gemalten Bildern" die Rede. Georg Meistermann, einer der Künstler, der deutschlandweit nach dem Zweiten Weltkrieg die meisten Kirchenfenster gestaltete, versuchte darauf zurückzugreifen und eine Einheit von Leuchten und Erleuchten zu schaffen.
Der 1911 in Solingen geborene Maler war ein Schüler von Ewald Mataré und Heinrich Nauen. Seine Werke wurden in Nazi-Deutschland als entartet diffamiert. Wie vielen seiner Kollegen schien ihm nach dem Nationalsozialismus eine realistische Bildsprache nicht mehr möglich. Er widmete sich deshalb der Abstraktion und setzte damit ein Zeichen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg lagen viele Städte und damit auch Kirchen in Trümmern. Meistermanns Kenntnisse wurden für öffentliche Aufträge wie die Gestaltung von Kirchenfenstern in ganz Deutschland in Anspruch genommen. Auch in Köln, wie etwa für den Wiederaufbau von St. Kolumba, die unmittelbar auf den Trümmern der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Kirche entstand. Auch für die romanische Kirche St. Aposteln entwarf Meistermann neue Kirchenfenster.
Marc Chagall setzte in Frankreich Akzente
Was Meistermann für Deutschland war, symbolisierte Marc Chagall für Frankreich. Auch er war ein Quereinsteiger in das Feld der Glasmalerei und war der Religion tief verbunden. Der französische Maler russisch-jüdischer Herkunft lernte 1958 den Glaskunstmeister Charles Marq und dessen Frau Brigitte Simon kennen. Das erste Ergebnis dieser langjährigen Zusammenarbeit waren die Fenster für die Kathedrale Saint-Etienne in Metz mit biblischen Themen. Sie gilt als eine der größten und schönsten gotischen Kirchen Frankreichs. Chagall gestaltete im Laufe seines langen Lebens noch zahlreiche weitere Fenster, die bis heute von Gläubigen und Kunstfreunden gleichermaßen geliebt werden.
Zeitgenössische Künstlerfenster als Attraktion
Viele zeitgenössische Künstler beziehen sich in ihren Entwürfen für eigene Kirchenfenster auf Georg Meistermann und auf Marc Chagall. 50 Jahre sind vergangen seit ihrer Hochphase, als die Kirchen aus der Not heraus neue Fenster gestalten ließen. Heute, wo Religion an gesellschaftlicher Relevanz verloren hat, viele Gotteshäuser leer sind, wird der Pakt zwischen Kunst und Kirche erneuert. Beide Parteien profitieren von der Zusammenarbeit. Die meisten zeitgenössischen Glasfenster illustrieren keine Bibelgeschichten, sondern haben eine ganz eigene Bildsprache. Sie tragen die persönliche Handschrift ihrer Urheber und sind schlicht "Künstlerfenster".
Zeitgenössische Künstler, die Kirchenfenster gestalten, entziehen sich und ihre Werke damit ganz bewusst dem Preistreiben und dem irrationalen Hype auf dem Kunstmarkt. So wie die Kirchgänger über die Fenster zur Kunst finden, können die Kunstfreunde über die Kunst auch wieder neu über Religion nachdenken.
Dies ist die aktualisierte Fassung eines früheren Artikels.