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Der "Bomber der Nation" ist tot

15. August 2021

Kein anderer Stürmer hat so oft in der Bundesliga getroffen wie Gerd Müller. Mit dem FC Bayern und der DFB-Elf feierte er zahlreiche Titel. 2015 wurde bei ihm Alzheimer diagnostiziert, nun ist er mit 75 Jahren gestorben.

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Fußball Gerd Müller 1977
Gerd Müller: Weltmeister, Europameister, drei Europapokalsiege und siebenmal Bundesliga-TorschützenkönigBild: Sven Simon/dpa/picture alliance

"Als Mittelstürmer musst du wissen, wo das Tor steht", erklärte Gerd Müller einst. "Und das hab ich gewusst." Der wendige Stürmer war ein Phänomen, seine Spielweise unverkennbar. Oft mit dem Rücken zum Tor, erwischte Müller auch den Ball auch noch, wenn er eigentlich zu weit in seinen Rücken gespielt worden war. So fiel auch der Treffer, den Müller selbst als "sein wichtigstes Tor" bezeichnete: das 2:1 im WM-Finale von München gegen die Niederlande, der Treffer, der Deutschland 1974 zum zweiten Mal zum Weltmeister machte. "Ich habe den Ball schlecht gestoppt, aber schnell reagiert mit dem rechten Fuß", beschrieb Müller sein Tor Jahre später. "Und dann war er drin."

Bildergalerie Gerd Müller Fußball WM gegen Niederlande Vorlage Tor 1974
"Dann war er drin": Müller erzielt im WM-Finale 1974 den 2:1-Siegtreffer gegen die NiederlandeBild: picture-alliance/dpa/P.Robinson

Dieses "dann war er drin" galt auch in Müllers restlicher Karriere hundertfach. Er machte nicht unbedingt immer schöne Tore, aber viele. In der großen Bayern-Mannschaft der 70er Jahre, gespickt mit Stars wie Franz Beckenbauer, Sepp Maier, Paul Breitner und Uli Hoeneß, war Gerd Müller einer der wichtigsten Bausteine. "Diese Lebensversicherung, die war einzigartig. Du hast gewusst: Irgendwie macht er ein Tor", beschrieb Breitner die Fähigkeiten Müllers in einer Dokumentation des Norddeutschen Rundfunks zum 75. Geburtstag des Torjägers und stellte fest: "Er ist das größte Genie, dass ich im Fußball erlebt habe."

"Bomber" und Rekordtorschütze

Müller kommt 1964 als 18-Jähriger aus der bayerischen Provinzstadt Nördlingen, wo er in der Landesliga gespielt hat, zum FC Bayern. Die Ablösesumme für den späteren Weltklassestürmer beträgt damals nur 4400 Mark, ein Betrag, der sich im Laufe der folgenden Jahre für die Bayern zig-fach rentieren wird. Bei seiner Ankunft in München hat Müller für einen Fußballprofi noch ein paar Kilogramm zu viel auf den Rippen. Sein erster Bayern-Trainer, Tschik Cajkovski, gibt ihm den Spitznamen "kleines, dickes Müller" und verbannt ihn erst einmal in die Regionalliga-Mannschaft. Später setzt sich erst der Spieler im Profi-Team, dann der Spitzname "Bomber" durch. 

365 Bundesliga-Tore erzielt Müller in 427 Spielen für den FC Bayern. Eine unerreichbare Zahl. Auch seine 68 Tore in der Nationalelf sind lange Rekord, bis Miroslav Klose Müller im Jahr 2014 übertrumpft. Müller wird mit dem FC Bayern viermal Deutscher Meister und viermal DFB-Pokal-Sieger. Er gewinnt dreimal den Europapokal der Landesmeister, wird Weltpokalsieger, dazu Welt- und Europameister. Siebenmal sichert er sich die Torjägerkanone als bester Torschütze der Bundesliga, in der Saison 1971/72 sogar mit 40 Saisontreffern. Diese Marke war bis 2021 unerreicht, ehe der aktuelle Bayern-Torjäger Robert Lewandowski Müllers Rekord in der Saison 2020/21 mit 41 Toren überbot. 

Neue Heimat in Florida

Bis 1979 geht Müller für den FC Bayern auf Torejagd, dann verlässt er den Klub im Streit - sauer auf den Trainer wegen einer Auswechslung aus sportlichen Gründen. Er wechselt nach Fort Lauderdale in den US-Sonnenstaat Florida. Nach der Fußballerkarriere führt Müller dort mit seiner Ehefrau und Freunden ein Steakhaus. Bis Mitte der 80er Jahre bleibt er in Florida. Nach der Rückkehr nach München fällt Müller in ein Loch. Er hat keinen Job, keinen geregelten Tagesablauf und fängt an zu trinken. Müller wird schwer alkoholabhängig. Erst als es schon fast zu spät ist, rettet ihn die Initiative seiner alten Teamkameraden vom FC Bayern.

Bildergalerie Gerd Müller Steakhaus The Ambry Fort Lauderdale Florida
Gerd Müller (3. v. r.) vor seinem Steakhaus in Fort Lauderdale im Jahr 1982Bild: picture-alliance/dpa/Klar

Uli Hoeneß, damals Bayern-Manager, bietet Müller Ende 1991 zunächst Hilfe, danach einen Job an. "Gerd, wenn du Hilfe brauchst und annimmst, sind wir bereit. Aber wir können dir nur helfen, wenn du dir helfen lassen willst", soll Hoeneß laut der Münchner "Abendzeitung" damals zu Müller gesagt haben. Müller streitet erst alles ab, überlegt dann eine Woche und entschließt sich zur Entziehungskur. Danach wird er in den Trainerstab der Münchner integriert. Für Gerd Müller beginnt eine Art zweite Karriere beim FC Bayern. Wenn er mit dem Klub auf Auslandsfahrten geht, ist oft er, der "Bomber", das Idol aus den 70er Jahren, die größte Attraktion. Fans aus aller Welt möchten fast häufiger sein Autogramm und mit ihm auf ein Foto als mit den Stars der aktuellen Mannschaft.

Stiller Abschied

Im Herbst 2014 zieht sich Gerd Müller aus gesundheitlichen Gründen von seinem Posten zurück. Ein Jahr später macht der FC Bayern öffentlich, dass Müller an Alzheimer erkrankt ist und abgeschirmt von der Öffentlichkeit in einem Pflegeheim betreut wird. "Er ist ruhig und friedlich, muss, glaube ich, auch nicht leiden. Er schläft langsam hinüber", sagt Müllers Ehefrau Uschi, mit der er seit 1967 verheiratet war, Anfang November 2020 der "BILD"-Zeitung. "Ich hoffe, dass er nicht nachdenken kann über sein Schicksal, über eine Krankheit, die dem Menschen die letzte Würde raubt." 

Mit Müller ist eine Größe des deutschen Fußballs verstorben. Er selbst hat aber nie besonderen Wert darauf gelegt, im Mittelpunkt und Rampenlicht zu stehen. Still ist er mit 75 Jahren aus dem Leben geschieden, einem Leben, an das er selbst sich zuletzt nicht mehr erinnern konnte. In der Erinnerung der anderen - der Fans, seiner Mitspieler und Kollegen - und auch in der deutschen Fußball-Geschichte, wird Gerd Müller aber immer einen besonderen Platz behalten.