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Gegenwind für Gauck

21. Februar 2012

Die Freude über einen Bundespräsidenten-Kandidaten währte in der medialen Öffentlichkeit in Deutschland nicht lange. Das Privatleben von Gauck und seine politischen Positionen sorgen für eine aufgeregte Debatte.

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Joachim Gauck mit Lebensgefährtin Daniela Schadt (Foto: dpa)
Joachim Gauck mit Lebensgefährtin Daniela SchadtBild: picture-alliance/dpa

Laut einer Blitzumfrage der Forschungsgruppe Wahlen finden 69 Prozent der Bürger in Deutschland einen möglichen Bundespräsidenten Joachim Gauck gut. Das Meinungsbild deckt sich mit der Stimmung in der Politik, denn Gauck wurde am Sonntag als Kandidat fast aller Parteien im Bundestag vorgestellt, nur die Linkspartei war von Kanzlerin Angela Merkel nicht eingeladen worden. Am Tag eins nach der Ernennung wurde Gauck deshalb in einem breiten Medienecho als "Präsident der Herzen" gefeiert. Doch die gute Stimmung dauerte nicht lange an.

Schon am Abend befassten sich erste Medien wie welt.de mit dem Familienleben Gaucks. Zu erfahren war, dass Gauck seit 20 Jahren von seiner Frau getrennt lebt, aber nicht geschieden ist und seit zwölf Jahren eine Fernbeziehung mit der Journalistin Daniela Schadt führt. Kann Frau Schadt unter diesen Umständen die neue First Lady werden, fragten sich einige Kommentatoren und viele Bürger im Internet. Nun, am Tag zwei nach der Kandidatenkür gibt es erste politische Reaktionen darauf. Der CSU-Familienpolitiker Norbert Geis fordert Gauck auf, baldmöglichst seine persönlichen Lebensverhältnisse zu ordnen. "Es dürfte wohl im Interesse des Herrn Gauck selbst sein, seine persönlichen Verhältnisse so schnell als möglich zu ordnen, damit insoweit keine Angriffsfläche geboten wird", sagte der Bundestagsabgeordnete der "Passauer Neuen Presse".

Privat oder öffentlich?

Eine solche Angriffsfläche hatte auch Christian Wulff einst geboten. Das Eheleben mit Bettina wurde in den Boulevardmedien lang und breit geschildert. Das ging so lange gut, bis im Privatleben der Wulffs einige - nennen wir es - Ungereimtheiten auftauchten. Die Geister, die er rief, war Wulff dann nicht mehr los geworden. Andere Spitzenpolitiker halten dagegen ihr Privatleben aus dem öffentlichen Leben heraus. Dazu zählen Bundesverteidigungsminister Thomas de Maiziere, der Grünen-Politiker Jürgen Trittin und letztlich auch Kanzlerin Angela Merkel, die nur so viel preis gibt, wie es unbedingt sein muss. Gauck scheint das anders zu sehen. In den Medien werden Fotos aus Gaucks Familienleben gezeigt, vom Haus seiner Großmutter bis zum Trabant in der DDR.

Aber nicht nur das private Leben Gaucks ist zum Gesprächsthema geworden. Das Netz vergisst nichts und bringt vergangene Äußerungen Gaucks zu aktuellen gesellschaftlichen Fragen ans Tageslicht, die zu einer aufgeregten Debatte, vor allem auf Twitter führen. Dabei verstärkt sich im Netz, was schon im Fernsehen bemängelt wird. Kritiker sagen, einzelne Zitate würden herausgenommen und ohne den Kontext wiedergegeben, in dem sie gemacht wurden. Doch gesagt ist gesagt. So hatte Gauck die Occupy-Bewegung als "unsäglich albern" bezeichnet, und die Vorratsdatenspeicherung, sagte er, sei "nicht der Beginn eines Spitzelstaates". Kritik kommt auch aus den Reihen der Grünen. Der integrationspolitische Sprecher Memet Kilic und der Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele verwiesen auf Gaucks Äußerungen zu den umstrittenen Zuwanderungsthesen von Thilo Sarrazin. Gauck hatte Sarrazin Mut bescheinigt. "Wenn Gauck sich nicht von Sarrazins fremdenfeindlichen Thesen klar distanziert, ist er nicht der richtige Bundespräsident für die ganze Bevölkerung", sagte Ströbele dem "Tagesspiegel".

Kein "Präsident der Herzen"

Der Bundespräsident wird in Deutschland nicht vom Volk gewählt, sondern von der Bundesversammlung, einem speziellen Gremium aus Politikern aus allen Ebenen, Künstlern und anderen Vertretern der Gesellschaft. Der immer wieder geäußerte Wunsch nach einem Bundespräsidenten für das ganze Volk ist also schon von der Verfassung her ein schwer zu erfüllender Wunsch. Dennoch tauchte schon bei der ersten gescheiterten Wahl von Gauck im Jahr 2010 der Spruch auf "Yes we Gauck!", der Bezug nimmt auf die Wahl des US-Präsidenten Obama, der mit dem Spruch "Yes we can" ins Weiße Haus gewählt wurde. Doch das politische System in den USA ist ein anderes als in Deutschland.

Und auch die Bezeichnung "Präsident der Herzen" ist ein Zitat, das aus einem anderen Kontext stammt. Lady Di, die bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommene Thronfolgerin in Großbritannien, ging als "Königin der Herzen" in die Mediengeschichte ein. Dennoch wird das Bild nun auch in der Politik weiterverbreitet, wenn auch in abgewandelter Form. Die Linken-Chefin Gesine Lötzsch bezeichnete Gauck als "Kandidat der kalten Herzen", weil er ein Vertreter des Finanzmarktkapitalismus sei. Deshalb denke die Linkspartei darüber nach, einen eigenen Kandidaten ins Rennen schicken, für den die soziale Frage im Mittelpunkt steht.

Noch nicht entschieden hat sich übrigens die Piratenpartei, die bundesweit weiterhin erstaunlich hohe Zustimmungswerte genießt. Wahrscheinlich werden auch zwei Piraten des Berliner Abgeordnetenhauses in der Bundesversammlung vertreten sein. Ob diese einen eigenen Kandidaten benennen wollen, ist derzeit noch unklar. Trotz der Eile der vergangenen Tage ist bis zur Wahl des Bundespräsidenten nämlich noch reichlich Zeit. Die Bundesversammlung soll am 18. März zusammentreten.

Autor: Kay-Alexander Scholz
Redaktion: Bettina Marx

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