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Gauck und die "Lügenpresse"

1. Dezember 2016

Der Bundespräsident kritisiert Medienverächter, hält aber auch mehr Sorgfalt und Selbstkritik unter Journalisten für nötig. Marcel Fürstenau über eine bemerkenswerte Rede des deutschen Staatsoberhaupts.

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Deutschland Festakt zu 60 Jahre Deutscher Presserat
Bild: picture-alliance/dpa/M. Gambarini

Joachim Gauck zur Lage der Medien - MP3-Stereo

Der Ort ist ideal, der Anlass ist es auch. Und einen besseren Zeitpunkt hätte es kaum geben können, um als Bundespräsident Grundsätzliches zum Zustand der Medienlandschaft zu sagen. Joachim Gauck ist am Donnerstag in Berlin der Hauptredner beim Festakt des Deutschen Presserats, der vor 60 Jahren als Selbstkontrolle-Organ der Printmedien gegründet wurde. Der erste Mann im Staat spricht in einem lichtdurchfluteten Konferenzsaal direkt am Brandenburger Tor, dem Symbol für Freiheit schlechthin. Sein Thema ist die Pressefreiheit im weitesten Sinne.

Gauck sorgt sich um den Zustand der Debattenkultur in einer zunehmend digitalisierten Mediengesellschaft. "Wenn jeder sein eigener Verleger, Redakteur und Autor sein kann, lautet die bedrohliche Frage, wer braucht dann noch Journalisten, noch Qualitätskontrolle, noch Zeitungen?" Es ist eine erste Anspielung auf den Bedeutungsverlust der einstmals klassischen Medien: Zeitung, Radio, Fernsehen. Sie alle müssen sich der Konkurrenz des rasend schnellen Internets stellen - und nutzen es als Verbreitungsweg. Ihre Monopolstellung haben sie längst verloren. "Tageszeitungen werden den Wettlauf um die Verbreitung der Nachricht nicht gewinnen können", mahnt der Bundespräsident.

Eine Vertrauenskrise, die weit über die Medien hinausgeht

Das gegenwärtige Umfeld bleibe schwierig. Und als sei es noch nicht schwierig genug, müssten sich Zeitungs-, Rundfunk- und Fernsehredaktionen als "Lügenpresse" beschimpfen lassen. Gauck nennt in diesem Zusammenhang keine Namen, weder die fremdenfeindliche "Pegida"-Bewegung noch die Partei Alternative für Deutschland (AfD). In diesen Kreisen ist der Kampfbegriff besonders populär. Was "Lügenpresse" bedeute, wisse er nun wirklich, sagt das Staatsoberhaupt und verweist auf seine Erfahrungen zu DDR-Zeiten.

Symbolbild Lügenpresse
Wortgewaltig gegen die Presse- und MeinungsfreiheitBild: picture-alliance/dpa/David Ebener

Die zu beobachtende Vertrauenskrise erfasse aber keineswegs nur die Medien. Sie ergreife ebenso die Politik, Gewerkschaften, Kirchen, den Sport und viele andere Institutionen des Staates und der Gesellschaft. Es sei Aufgabe der Medien, "Überbringer auch von unerwünschten Nachrichten zu sein". Die Tageszeitung auf dem Frühstückstisch eröffne den ersten Blick hinein in die Welt des Politischen, "die bei manchem Leser Misstrauen, Widerspruch, ja, Widerwillen erzeugt". Weil die Medien Teil, aber nicht Auslöser der Vertrauenskrise seien, könnten sie diese Krise auch nicht allein überwinden. Das sei ihr Dilemma.

"Kommunikationsflüchtlinge" in Parallelwelten 

Skepsis gegenüber den Medien, auch eine ausgeprägte Abneigung gegenüber deren Vertretern, seien nicht neu, sagt Gauck. Aber der Effekt, den diese Minderheit der Medien-Verächter in der Öffentlichkeit erziele, sei es durchaus. "Und die maßlose Wut, ja der Hass auf die Medien, sie erschrecken uns." An dieser Entwicklung hätten die "Sozialen Netzwerke" und der Umgang mit ihnen  "zweifellos ihren Anteil". Wer sie nutze, wähle aus, was er wahrnehmen wolle. "Wann und von wem er es lesen oder hören will und schließlich, mit welchem ausgewählten Kreis von sogenannten Freunden er seine Erkenntnisse teilen will."

Symbolbild Facebook Hass-Kommentare
Die Schattenseiten der Sozialen Medien sind vielfältigBild: picture-alliance/chromorange/R. Peters

So entstünden "Echoräume", in denen Einzelne oder Gruppen sich im Alleinbesitz der Wahrheit wähnten. Demokratie sei aber auf gelingende Kommunikation angewiesen und damit auch auf die Medien, die Kontroversen abbildeten. Sie lebe vom Austausch der Meinungen, "nicht von Meinungsnomaden, abgeschlossenen, in sich kreisenden Systemen". Wenn Fakten eine immer geringere Rolle spielten, gefährde das die Demokratie. Der Bundespräsident klingt fast schon ein wenig resigniert, als er einräumt: "Die Antwort darauf, wie man Kommunikationsflüchtlinge aus ihren Parallelwelten hervorlocken könnte, muss auch ich schuldig bleiben."

Und plötzlich fällt ein Name: Donald Trump

Mit jedem Satz klingt Gauck skeptischer: "Die Bewohner der Echoräume orientieren sich an denen, die ihnen sagen, was sie hören wollen, nicht an denen, die ihnen sagen, was sie wissen sollten." Eben das sei die "populistische Versuchung". Und schon fällt der Name des gewählten amerikanischen Präsidenten. Er verfolge in diesen Tagen die selbstkritische Diskussion innerhalb der amerikanischen Medien, die sich fragten, "warum sie den Wahlsieg Donald Trumps nicht kommen sahen". Und flugs spannt der Bundespräsident den Bogen nach Deutschland: "Mir gefällt, dass eine ähnliche Debatte auch bei uns aufgenommen wird."

Deustchland Festakt zu 60 Jahre Deutscher Presserat
Gaucks Ratschlag für Journalisten: "Selbstvergewisserung über die Kriterien der eigenen Arbeit"Bild: picture-alliance/dpa/M. Gambarini

Eine ganze Reihe von Fragen stellt Gauck sich und dem Publikum beim Festakt des Deutschen Presserats. "Gibt es vielleicht auch bei uns Gruppen, Problemlagen und Überzeugungen, denen nicht intensiv genug nachgespürt, die nicht ausreichend in den Medien abgebildet oder respektiert werden?" Ihm scheine, "dass es auch in Deutschland nicht so einfach ist, strikt die Grenze einzuhalten zwischen Berichten, Aufklären und Belehren". Also empfiehlt Gauck Journalisten eine "permanente Selbstprüfung, eine Selbstvergewisserung über die Kriterien der eigenen Arbeit". 

Was Gauck den Journalisten empfiehlt

Ein paar positive Gedanken hebt sich der besorgte Festredner Gauck für den Schluss seiner mit viel Applaus bedachten Rede auf. Man solle angesichts der "destruktiven Energien des Populismus" nicht in Angst und Eskapismus verfallen. Jeder könne etwas tun, um die offene Gesellschaft zu stärken. Zur Überwindung der Vertrauenskrise in die demokratischen Institutionen könnten Journalisten ihren Beitrag leisten. "Und zwar, indem sie weiter ihre Arbeit machen, mit Verstand und Scharfsinn, Offenheit und Vorurteilslosigkeit."

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte – Schwerpunkt: Deutschland