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PolitikEuropa

Europa finanziert Putins Krieg in der Ukraine

Jörg Himmelreich Kommentarbild App PROVISORISCH
Jörg Himmelreich
11. März 2022

Beim Kampf um die Ukraine geht es um nichts weniger als die Freiheit Europas. Dafür sollten wir eine etwas kühlere Wohnung und höhere Spritpreise doch leicht ertragen können, meint Jörg Himmelreich.

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Silberne Rohre und rote Schraubventile - Ölförderung in der Republik Tatarstan
Europa und vor allem Deutschland sind immer abhängiger geworden von Rohstoffen aus RusslandBild: Yegor Aleyev/TASS/dpa/picture alliance

US-Präsident Joe Biden hat am Dienstag ein Importverbot für Rohöl aus Russlandverhängt, um Putins barbarischem Krieg in der Ukraine einen "weiteren schweren Schlag" zu versetzen. "Wir können diesen Schritt unternehmen, wenn andere es nicht können", so Biden.

Damit verweist Biden auf die selbst verschuldete Versorgungsfalle einer übermäßigen Abhängigkeit von russischen Öl- und Gasimporten. In diese sind die EU, vor allem aber die Bundesrepublik seit 1998 blind gegenüber jedem Risiko hineingetappt: 55 Prozent ihres Erdgasverbrauchs und mehr als 40 Prozent des Öls importieren die Deutschen gegenwärtig aus Russland.

Kein Wandel durch Handel

Über Jahrzehnte hinweg hat die Lobby der deutschen Energiewirtschaft das Lied von der gefahrlosen, weil wechselseitigen Energieabhängigkeit mit Russland geflötet:  Das Riesenreich benötige die harten Euroeinkünfte genauso dringend wie Deutschland das russische Öl und Gas. Mit dem alten Slogan "Wandel durch Handel" wurde darüber hinaus noch unterstellt, so würden vermeintliche Reformansätze des Putin-Regimes unterstützt. Dabei wurde dieses doch faktisch nur anerkannt, um gute Geschäfte zu machen.

Deutschland Jörg Himmelreich Politikwissenschaftler
DW-Gastkommentator Jörg HimmelreichBild: privat

Unter den Kanzlern Gerhard Schröder und Angela Merkel tanzte die deutsche Bundespolitik blind diesen Schalmeienklängen nach. Sogenannte "Experten" des wirtschaftsnahen Oxford Institute for Energy Studies oder der regierungsnahen Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) stimmten mit ein - wie auch viele andere sogenannte ThinkTanks. Warnungen aus den USA waren durch den latenten deutschen Anti-Amerikanismus per se schon diskreditiert. Sie dienten ja ohnehin nur der Förderung des US-Energieexports im amerikanischen Eigeninteresse.

Warnungen osteuropäischer Regierungen sowie der wenigen unabhängigen Wissenschaftler wurden schnell unter dem Label "Kalte Krieger" abgelegt und ignoriert. Jetzt steckt die Bundesrepublik genau in der Energiefalle, vor der sie Jahrzehnte lang gewarnt wurde. Und die USA müssen wieder einmal die Kohlen aus dem Feuer holen.

Allein die Ölverkäufe finanzieren den Krieg

Öl- und Gasexport sind Haupteinnahmequellen Putins, um diesen furchtbaren Krieg zu führen. Sie machen zwischen 30 und 40 Prozent des russischen Staatshaushalts aus. Mit Ölexporten haben Moskaus Staatskonzerne 2021 rund 180 Milliarden Dollar verdient. Jeden Tag kommt eine halbe Milliarde Dollar hinzu. Jeden Tag aufs Neue! Jetzt, durch die gestiegenen Ölpreise, sogar noch mehr. Die russischen Gasexporte beliefen sich laut der russischen Zentralbank in Moskau 2021 auf 62 Milliarden Dollar.

Der Krieg kostet Putin jeden Tag rund eine Milliarde Dollar. Doch die Währungsreserven der russischen Zentralbank sind mittlerweile eingefroren, auf dem internationalen Anleihemarkt kann sich Russland nicht mehr verschulden, die Anleihen sind auf Ramschniveau.

"Das Öl sorgt fürs Geld, das Gas sorgt für die Macht", heißt es in russischen Energiekreisen schon lange. Will man also Wladimir Putin und seiner Kleptokratie - und nicht nur der Bevölkerung - wirklich schaden, dann müssen deren Einkünfte über ein Ölembargo reduziert werden. US-Präsident Biden hat den ersten Schritt getan, die EU sollte bei ihrem Gipfel in Versailles schnell folgen.

Gas lässt sich kaum umleiten

Technisch wäre ein solches Embargo recht leicht zu verkraften. Russland bedient weniger als fünf Prozent der globalen Nachfrage. Der Weltölmarkt ist gut integriert: Öltanker können ihre Ladung überall auf der Welt löschen. Russland könnte zwar Teilmengen nach China und Indien verkaufen, aber nur mit erheblichen Abschlägen. Viele Industrienationen verfügen zudem über große Ölreserven. Ein Teil wurde bereits freigegeben. Diese Reserven dürften für mehrere Monate reichen. Und diverse Öl-Exporteure weltweit werden sich für eine Erhöhung ihrer Fördermengen gewinnen lassen.

Als nächsten Schritt müssen Bundesregierung und EU aber auch den russischen Gasimport stoppen. Das trifft Putin noch mehr, denn das Gas lässt sich nur begrenzt umleiten. Die deutsche Akademie der Wissenschaften Leopoldina und namhafte deutsche Wissenschaftler halten einen Importstopp auch für Deutschland für tragbar: Sie empfehlen, kurzfristig  auf die Beschaffung von Flüssiggas (LNG) auf dem Weltmarkt auszuweichen. Auch eine verstärkte Kohleverstromung könnte Gas vorübergehend teilweise ersetzen. Bei der Heizung von Wohnungen, wo der Gasbedarf besonders hoch ist, könnte eine Temperaturreduktion um nur zwei Grad schon eine erhebliche Verringerung des Gasverbrauchs herbeiführen, ohne dass deswegen jemand erfrieren muss.

Es geht um die Demokratie in Europa

Natürlich werden die Öl- und Gaspreise in Westeuropa steigen. Deswegen müssen Bürger mit geringen Einkommen unterstützt und die Unternehmen von Steuern entlastet werden.

Angesichts der ausbleibenden militärischen Erfolge wird Putin jetzt noch mehr und noch grauenhafter die Zivilbevölkerung in den Städten bombardieren lassen - wie schon in Grozny und in Aleppo. Aber wenn wir dies weiterhin mit unseren Gas- und Ölimporten aus Russland finanzieren, machen wir uns an diesen Kriegsverbrechen mitschuldig. Nur mit einer konsequenten Absage an russische Rohstoffe ist das fossile Imperium Putins und seine brutale Kleptokratie zum Einsturz zu bringen. Liberale Demokratien sind mächtiger als jede Autokratie. Um nichts weniger geht es. Das muss uns jeden Preis wert sein.

Dr. jur. Jörg Himmelreich ist Professeur Affilié an der École Supérieure de Commerce à Paris (ESCP), Campus Berlin. Bereits 2007 warnte er in der Zeitschrift "Internationale Politik" der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik erstmals vor dem Vorgehen Wladimir Putins.