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EU empfiehlt Energie-Hilfen für Bedürftige

Bernd Riegert Brüssel
13. Oktober 2021

Die EU empfiehlt den Mitgliedsstaaten, ihren ärmeren Bürgern Strom und Gas vorübergehend zu subventionieren. Sie mache sich Sorgen, sagte die EU-Energiekommissarin in Brüssel. Bernd Riegert berichtet.

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Belgien Brüssel | EU-Kommissarin Kadri Simson während Pressekonferenz
EU-Kommissarin Kadri Simson: Die Staaten sollten den Schwachen helfenBild: ARIS OIKONOMOU/AFP

Die Erwartungen, besonders der Regierungen in den südlichen EU-Staaten, an die Empfehlungen der EU-Kommission zur Abfederung hoher Gas- und Energiepreise waren hoch. Die zuständige EU-Kommissarin Kadri Simson aus Estland (Artikelbild) konnte aber heute in Brüssel keine magische Formel aus einem Zauberkasten gegen hohe Preise vorstellen, sondern sie hatte nur einen normalen von ihr selbst so genannten "Werkzeugkasten" dabei. In diesem lagen für die kurzfristige Linderung des Preisschocks für ärmere Verbraucher und kleine Firmen in der EU diese Schraubenzieher, Imbusschlüssel und Hammer bereit:

  • - Voucher und Gutscheine für arme Haushalte und Betriebe
  • - Zahlungsaufschub für Energierechnungen und Steuern
  • - Garantien, dass auch säumige Verbraucher nicht vom Netz genommen werden
  • - Gezielte Steuer- und Abgabensenkung für ausgewählte Gruppen mit niedrigem Einkommen

Diese kurzfristig wirkenden Maßnahmen hatten Spanien, Italien und Frankreich bereits eingeleitet. Italien will drei Milliarden Euro aufwenden, um die Stromsteuern zu senken. Frankreich will einen generellen Deckel für Energiepreise einführen. Die deutsche Bundesregierung lehnt eine Subventionierung der Verbraucher und Eingriffe in das Marktgeschehen noch ab, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin.

Mehrheit der EU-Staaten will mitmachen

Etwa 20 der 27 Mitgliedsstaaten hatten verschiedene Formen von Entlastung angekündigt. Allerdings schlägt die Entwicklung bei den Großhandelspreisen an den Energiemärkten in den Mitgliedsstaaten unterschiedlich durch, je nachdem wie abhängig die Energieversorgungsunternehmen von kurzfristigen Lieferverträgen sind und wie hoch die Steuern und Abgaben in den Ländern sind. Die EU-Kommission geht davon aus, dass die Preissteigerungen über den Winter anhalten und sich erst im April 2022 wieder nach und nach einpendeln werden. EU-Energie-Kommissarin Kadri Simson forderte die Mitgliedsstaaten auf, Steuern auf Energie zu senken. Dazu könnten die 10,9 Milliarden Euro genutzt werden, die die EU-Mitglieder in den ersten neun Monaten des Jahres zusätzlich aus dem Handel mit Emissionszertifikaten eingenommen hätten.

Shell I Tankstelle I Windenergie
Das beste Werkzeug aus der EU-Kommission: Mehr erneuerbare Energie wie Wind nutzenBild: Paul Trummer/TravelLightart/picture-alliance

Auf Dauer hilft nur grüne Energie

Eher mittelfristig wird eine Ausweitung der Gasbevorratung in der EU angestrebt. Außerdem will die EU-Kommission prüfen, ob ein gemeinsamer Einkauf aller Mitgliedsstaaten von Gas auf den internationalen Märkten die Preise senken könnte.

Der langfristige Ausweg aus hohen Preisen für fossile Energieträger und die daran geknüpften Strompreise ist nach Ansicht von EU-Kommissarin Kadri Simson der Umstieg auf erneuerbare Energien, Wind, Wasser, Sonne und Wasserstoff. "Unabhängigkeit von Gas und Öl aus anderen Weltregionen" sei der beste Weg, so Simson in Brüssel. Gleichzeitig entgegnete sie Kritikern an der Energiewende aus Polen und Ungarn, dass der Umbau hin zu klimaneutralen Energieträgern und die Abgaben auf Kohlendioxid nicht zum aktuellen Preisanstieg führen würden. "Die Energiepreise steigen nicht wegen unserer Klimapolitik oder weil erneuerbare Energie teuer wäre. Der Anstieg rührt von den Preisen der fossilen Energieträger her", sagte Kadri Simon. Die EU müsse schneller mehr erneuerbare Energie erzeugen, deren Betriebskosten niedrig seien.

Alle Werkzeuge, die jetzt eingesetzt würden, müssten natürlich mit den Regeln des EU-Binnenmarktes und den Regel für Staatsbeihilfen konform gehen, mahnte die EU-Kommissarin. Von speziellen Steuern auf die Gewinne von Energieunternehmen, sogenannte Windfall taxes, die Spanien bereits eingeführt hat, hält die EU-Kommission nicht so viel. Sie sei in ständigem Kontakt mit der spanischen Energieministerin Teresa Ribera sagte EU-Kommissarin Kadri Simson. Ob die Sondersteuer mit EU-Recht vereinbar sei, werde geprüft.

Infografik Stromkosten Vergleich Europa DE

Putin bietet mehr Gas an

Die EU-Kommission lobte noch einmal Norwegen, das angekündigt hat mehr Gas in die EU zu liefern und so den Preisdruck zu lindern. Einige EU-Politikern hatten kritisiert, dass Russland, der Hauptlieferant Europas, Gas zurückhalte oder zumindest nicht mehr liefere trotz höherer Nachfrage. Der russische Präsident Wladimir Putin wies diese Kritik heute einmal mehr zurück. Er sagte in Moskau, Russland sei eventuell zu höheren Lieferungen bereit. Dazu müsste man neue Lieferverträge abschließen. Russland erfülle seine Lieferverpflichtungen, so Putin, alles anderen Behauptungen seien "politische Gerüchte".

Beim Blick in den Werkzeugkasten der EU-Kommission kritisiert der Verband der chemischen Industrie (VCI) in Deutschland, dass Energie-intensive Unternehmen nicht ausreichend entlastet würden, sondern einen "Preisschock" in der Produktion erlitten. Eine Allianz aus Sozialverbänden und Gewerkschaften mit Namen Friends of the Earth wirft der EU vor, sie würde nicht genügend gegen die "neue Armut" durch die Energiepreise vorgehen. Drei Millionen Menschen in der EU würden in diesem Winter nicht das Geld haben, um hinreichend zu heizen.

Jan Willem Goudriaan, Chef der EU-Vereinigung von Dienstleistungs-Gewerkschaften, sagte in Brüssel, die Krise der Energiepreise zeige die Mängel des "neoliberalen Energie-Systems." Er empfiehlt: "Regierungen sollten Deregulierung und das Auslaufen von Energiepreisbindung sofort stoppen. Öffentliche Aufsicht und Kontrolle ist jetzt wichtig, um das Recht auf Energie zu wahren."

In der kommenden Woche wollen die Staats- und Regierungschefs der EU über die hohen Energiepreise beraten. Vielleicht legen sie ja noch ein paar neue Zangen und Meißel in den Werkzeugkasten. Erwartet wird aber eher ein Streit über die richtige Geschwindigkeit beim Ausbau der erneuerbaren Energie und ein Streit um die Atomenergie. Neun Staaten der EU stützen die Forderung Frankreichs , Atomstrom als nachhaltig und förderungsfähig einzustufen.

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union