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Frankreich bleibt Europas Investitions-Champion

Lisa Louis aus Paris
14. Juli 2023

Frankreich ist weiter europäischer Spitzenreiter in Sachen Auslandsinvestitionen. Das bringt dem Land Prestige. Eine große Auswirkung auf das Wirtschaftswachstum haben die Investitionen jedoch nicht.

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Zwei Arbeiter und eine Hebebühne auf einer ACC-Baustelle
Im nördlichen Frankreich entsteht eine Gigafabrik für BatterienBild: Lisa Louis/DW

Auf dem Gelände in Douvrin Billy-Berclau im nördlichen Département Hauts-de-France herrscht geschäftiges Treiben. Es wird gehämmert und geschweißt, Gabelstapler fahren schwere Metallgestelle durch die Gegend. Rund 1000 Arbeiter stellen die erste von drei riesigen Fabrikhallen fertig, in denen hier bald Batteriezellen für Elektroautos vom Band laufen sollen. Es ist Frankreichs erste solche Gigafabrik.

Das Drei-Milliarden-Projekt, genannt Automotive Cells Company ACC, bauen der europäische Autobauer Stellantis und der deutsche Autohersteller Mercedes zusammen mit dem französischen Energieriesen TotalEnergies. Bis zu 2000 Menschen sollen hier einmal arbeiten. Und dies ist nur eins in Frankreichs langer Reihe an Wirtschaftsprojekten mit ausländischer Beteiligung.

Insgesamt haben ausländische Unternehmen vergangenes Jahr 1300 Investitionen in Frankreich angekündigt - unter anderem im Pharmazie-, Software- und Telekomsektor. Das Land baut so seine Spitzenreiter-Position aus, die es seit 2019 in Europa innehat, als es Großbritannien überholte. Ein prestigeträchtiger Titel - doch die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen dieser Investitionen sind dabei überschaubar.

Über die Baustelle läuft Matthieu Hubert, Kommunikations-Direktor von ACC, schüttelt Hände und spricht mit den Arbeitern über den Fortschritt des Baus. "Im Moment beziehen wir alle unsere Batterien aus Asien - aus China, Südkorea und Japan. Wir wollen jetzt unsere eigene Sparte aufbauen - und Batterien komplett in Frankreich konzipieren, produzieren und verkaufen", sagt er zu DW.

Matthieu Hubert, Kommunikationsdirektor von ACC auf der Baustelle in Nordfrankreich
Matthieu Hubert, Kommunikationsdirektor von ACC auf der Baustelle in NordfrankreichBild: Lisa Louis/DW

Frankreichs Industrie profitiert vom Atomstrom

Auch in Deutschland und Italien sind in den nächsten Jahren solche Bauten geplant. Insgesamt geben die Investoren sieben Milliarden Euro aus und bekommen dafür europäische Subventionen in Höhe von 1,2 Milliarden Euro.

Dennoch gebe es Gründe, warum sich die erste Gigafabrik des Konsortiums in Frankreich befinde, so Hubert. "Hier gibt es extrem gut qualifizierte Ingenieure und Techniker - Frankreich hat eine regelrechte Industriekultur. Außerdem hat das Land, gerade gegenüber Deutschland, einen klaren Vorteil: günstigen Atomstrom", sagt der Unternehmer. Nuklearstrom stellt etwa 70 Prozent der französischen Elektrizitätsproduktion. Die Regierung will auch weiterhin darauf setzen - und plant mindestens sechs zusätzliche Atommeiler.

Chemikerin des italienischen Pharmaunternehmens Chiesi im Labor
Außer in Italien ist das in Parma beheimatete Pharmaunternehmen Chiesi in Europa nur in Frankreich ansässigBild: Stéphane Picot

Auch der Thermomix profitiert

Neil Bernard, Direktor für öffentliche Angelegenheiten, Marktzugang und Kommunikation beim italienischen Pharmaunternehmen Chiesi, fügt dem ein anderes Argument hinzu: "Frankreichs Behörden haben uns immer sehr in unseren Projekten unterstützt - wir haben das Gefühl, wir sind hier willkommen", sagt er zu DW. Außerhalb Italiens - der Hauptsitz ist in Parma - ist Frankreich das einzige europäische Land, in dem Chiesi seine Produkte herstellt. Das Land ist seit 30 Jahren "strategisches Territorium" für das Unternehmen, das ein Forschungszentrum in Bois-Colombes bei Paris und eine Produktionshalle in La Chaussée-Saint-Victor in Zentralfrankreich hat.

Letztere baut das Unternehmen weiter aus. 60 Millionen Euro will es bis 2026 investieren und die Anzahl der Mitarbeiter dort von 170 auf 300 erhöhen. "Gerade staatliche Programme wie 'France Relance', die unter anderem erneuerbare Energien fördern, zeigen uns, dass die Regierung ähnlich denkt wie wir", unterstreicht Bernard. Chiesi strebt bis 2035 Netto-Null an: Das Unternehmen soll dann genauso viel CO2 ausstoßen wie es absorbiert.

Unterstützung von der Regierung führt auch die deutsche Firma Vorwerk als Argument für eine erneute Investitionsentscheidung an. Das Wuppertaler Unternehmen, das die Küchenmaschine Thermomix verkauft, ist seit 50 Jahren in Frankreich präsent, und baut nun für 57 Millionen Euro einen zweiten Produktionsstandort in Donmar in der nördlichen Region Centre-Val-de-Loire. "Wir wissen, dass die Regierung wirtschaftsfreundlich ist und Frankreich re-industrialisieren will, und das begrüßen wir", meint Sebastian Weber, Generalmanager von Vorwerk Semco, dem ersten französischen Standort des Unternehmens in Cloyes-les-trois-Rivieres südlich von Paris zu DW. "Hinzu kommt, dass das Land eine sehr gute Infrastruktur und gut ausgebildete Fachkräfte hat." Von diesen will Vorwerk 74 weitere rekrutieren, die in dem Ende 2024 fertigzustellenden Werk arbeiten sollen.

Portrait des Ministers für Außenhandel, Attraktivität und Franzosen im Ausland Olivier Becht
Der beigeordnete Minister für Außenhandel, Attraktivität und Franzosen im Ausland Olivier BechtBild: Lisa Louis/DW

Weshalb Frankreichs Wirtschaft wirklich wächst 

Tatsächlich hat die Regierung von Präsident Emmanuel Macron einige wirtschaftsfreundliche Reformen durchgeführt, wie der beigeordnete Minister für Außenhandel, Attraktivität und Franzosen im Ausland Olivier Becht unterstreicht. "Wir haben Unternehmenssteuern von 33 auf 25 Prozent gesenkt, unser Arbeitsrecht flexibler gestaltet, den Verwaltungsaufwand gesenkt für Unternehmen, die hier Standorte aufmachen wollen, und mehr Grundstücke für sie freigegeben", erklärt er gegenüber DW. Die Beliebtheit Frankreichs als Standort für Unternehmen sei ein Segen für die Wirtschaft. "2022 haben ausländische Direktinvestitionen 58.000 Jobs geschaffen. Unsere Wirtschaft wuchs um 2,6 Prozent und wird sich auch dieses Jahr ausdehnen, während in anderen Ländern wie Deutschland Rezession herrscht", sagt er.

Doch Anne-Sophie Alsif, Chefökonomin bei der Unternehmensberatung BDO, meint, für die guten Wirtschaftszahlen seien kaum die Auslandsinvestitionen verantwortlich. "Frankreichs Arbeitslosigkeit ist tatsächlich von noch vor einigen Jahren über zehn auf nun um die sieben Prozent gesunken, aber das liegt vor allem daran, dass wir eine alternde Bevölkerung und somit weniger Leute im arbeitsfähigen Alter haben", sagt sie zu DW. "Unsere Wirtschaft wächst vor allem deswegen, weil der Staat während der Corona-Pandemie und seit Anfang der russischen Invasion in der Ukraine viele Subventionen an Unternehmen verteilt hat, die dadurch investieren konnten."

Portrait von Anne-Sophie Alsif, Chefökonomin bei der Unternehmensberatung BDO
Anne-Sophie Alsif, Chefökonomin bei der Unternehmensberatung BDOBild: Lisa Louis/DW

Ein "Ökosystem" für Batterien für die E-Mobilität

In der Region Hauts-de-France sind die zusätzlichen Stellen dennoch mehr als willkommen. Der traditionelle Autosektor beschäftigt dort zurzeit mehr als 50.000 Menschen. Doch viele dieser Arbeiter werden spätestens 2035 neue Jobs finden müssen, weil die Europäische Union ab dann denVerkauf von Autos mit Verbrennungsmotoren verboten hat.

ACC-Generalsekretär Hubert hofft, dass einige dieser Angestellten zu seiner Fabrik wechseln. "Wir wollen hier so schnell wie möglich die Produktion hochfahren und ein ganzes Ökosystem für Batterien für Elektroautos mit einer Zuliefererkette aufbauen", sagt er. Dieses Ökosystem, zu dem noch mindestens drei andere Giga-Batteriefabriken gehören werden, wird laut Prognosen 10.000 Menschen beschäftigen. Die Regierung nennt die Region schon jetzt Frankreichs Tal der Batterie.