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Billiges Baguette - aber um welchen Preis?

Lisa Louis Paris
28. Januar 2022

In Frankreich hat eine Supermarktkette den Preis für Baguette auf 29 Cent gesenkt. Das soll vor allem ärmere Kundschaft anlocken, sorgt aber auch für Unmut, nicht nur bei unabhängigen Bäckern.

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Zwei Hände greifen nach Baguettes, die nebeneinander auf einem Rost liegen.
Kandidat für die Liste des immateriellen Kulturerbes der UNESCO: das französische BaguetteBild: DW

Priscilla Hayertz hat schon als Kind davon geträumt, Bäckerin zu werden. Seit nunmehr über zehn Jahren ist dieser Traum für die 37-Jährige zur Wirklichkeit geworden. Ihre traditionellen Baguettes, Croissants und Teilchen verkauft sie im Viertel Montmartre im nördlichen Paris in ihren zwei Bäckereien, die rund 500 Meter auseinanderliegen. Doch seitdem die Supermarktkooperative E.Leclerc angekündigt hat, in ihren über 700 Läden in Frankreich Baguettes für 29 Cent zu verkaufen, hängt über Hayertz' Traum eine dunkle Wolke. Die Aktion der größten Supermarktkette Frankreichs soll Kunden anlocken, die angesichts steigender Preise schlechter über die Runden kommen. Doch vor allem verärgert sie nicht nur unabhängige Bäcker wie Hayertz.

Frankreich | Priscilla Hayertz | Bäckerin
Priscilla Hayertz verkauft seit über einem Jahrzehnt ihre Baguettes im Quartier Montmartre im nördlichen Paris.Bild: Sandy Palenzuela

Leclerc sagt, man hätte die eigene Gewinnspanne verringert. "Um Ihre Kaufkraft in dem Moment zu stärken, in dem Sie es am meisten brauchen, frieren wir den Preis unseres Baguettes sechs Monate lang ein", schreibt das Unternehmen in einer Anzeige, die in Tageszeitungen und auf dem Instagram-Konto des Unternehmens erschienen ist.

Eine Interviewanfrage der DW lehnte Leclerc ab und sendete lediglich eine Stellungnahme: "Der Preis von 29 Cent hat keinerlei Auswirkungen auf die Tarife, die wir unseren Zulieferern von Mehl oder Getreideprodukten zahlen", schrieb das Unternehmen.

Bäckereien sind "wichtig" - nicht nur wegen des Baguettes

Doch für Hayertz ist die Aktion ein Schlag ins Kontor. "Das ist unlauterer Wettbewerb und suggeriert, dass unser Beruf nichts wert ist", sagt die Bäckerin zu DW, während sie in der Küche ihres Ladens Au Levain d'Antan den Teig für die nächste Fuhre der langen Brotstangen knetet, die sie für 1,20 Euro pro Stück verkauft. Sie machen immerhin ein Fünftel ihres Umsatzes aus. "Wie sollen wir denn ein Baguette mit 29 Cent finanzieren? Wir mussten schon unsere Gewinnmarge senken, weil die Mehlpreise steigen. Außerdem müssen wir all unsere Nebenkosten und die Löhne unserer Mitarbeiter bezahlen."

Frankreich | Bäckerei Au Levain d’Antan
Au Levain d’Antan ist eine der zwei Bäckereien, die Priscilla Hayertz in Montmartre hat.Bild: Sandy Palenzuela

Dabei waren die vergangenen zwei Jahre schon nicht einfach. Seit Beginn der COVID-Pandemie ist ihr Umsatz eingebrochen, mitunter um rund die Hälfte. Touristen blieben aus und viele Einwohner des Viertels zogen während der Lockdowns vorübergehend in ihre Landhäuser. Dennoch habe diese Zeit auch klar gemacht, warum es wichtig sei, dass unabhängige Bäckereien wie ihre eigene nicht von großen Supermarktketten verdrängt würden, so die junge Frau.

"Während des Lockdowns kamen viele unserer Kunden auch vorbei, weil sie menschlichen Kontakt brauchten. Wenn wir zum Beispiel ältere Stammkunden länger nicht gesehen hatten, haben war nach ihnen schauen lassen", erklärt sie. "Bäckereien wie unsere sind ein fester Bestandteil des Pariser Lebens und schaffen eine Verbindung zwischen den Einwohnern."

Hoher Stellenwert des Bäckerei-Handwerks

Das sei auch gerade in kleinen Dörfern der Fall, fügt Dominique Anract hinzu, Präsident von Frankreichs landesweitem Verband der Bäcker und Konditoren CNBPF. "Frankreich hat das Glück, dass es 33.000 kleine Bäckereien im Land gibt - das müssen wir beibehalten. Viele Leute sagen nicht :' Ich gehe zum Bäcker.' Sie sprechen von 'ihrem' Bäcker", meint er zu DW. In Frankreich darf sich seit 1998 auch nicht jeder Bäcker nennen - dafür muss man das Brot selbst herstellen, also nicht nur aufbacken, und am gleichen Ort verkaufen, so das Gesetz. "Aber Leclercs Aktion lässt uns wie Halunken aussehen - als ob wir mit unseren Preisen die Kunden übers Ohr hauen wollen."

Deswegen will Anract dagegen vorgehen. Alle 96 örtlichen Delegierten des Verbands hätten an ihren lokalen Abgeordneten geschrieben. "Und unsere Anwälte prüfen, ob die Preisaktion legal ist - schließlich ist es verboten, unter Produktionskosten zu verkaufen", sagt er und fügt hinzu, dass nicht nur die Bäcker fuchsteufelswild seien. "Auch andere Verbände wie die der Fleischer oder Fischhändler haben mich kontaktiert und gesagt, sie seien dabei, wenn wir Demonstrationen oder anderes planen - der ganze Ärger über die Supermarktketten mit ihren billigen Preisen, die uns Einzelgeschäfte zerstören, kocht mit einem Mal hoch!"

Frankreich | Yannick Fialip | Vorsitzender FNSEA
Yannick Fialip, Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses des Landwirtschaftsverbands FNSEABild: Privat

Billigbaguette ist "Teil eines Preiskriegs"

Den Ärger bringt auch Yannick Fialip, Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses des Landwirtschaftsverbands FNSEA, zum Ausdruck. "Das ist Teil einer Abwärtsspirale und eines Preiskriegs, bei dem Arbeitsplätze und ganze Wirtschaftszweige zerstört werden", meint er zu DW und nennt das Beispiel Hühnchen, von denen nun ein Drittel billiger importiert würden, während man sie vor 15 Jahren noch alle in Frankreich aufgezogen habe.

Für ihn ist die Sonderaktion vor allem ein PR-Coup, um immer mehr Kunden anzuziehen, die dann im Supermarkt auch noch andere Produkte kaufen - auch, weil der Baguette-Preis von Leclerc de facto nur um einige Cent dabei sinkt. Außerdem schaffe es zusätzlichen Preisdruck für die jährlichen Verhandlungen der Zulieferer der Supermärkte, die gerade im Gang sind. "Dabei sind unsere Produktionskosten um bis zu 15 Prozent gestiegen. Das müssen wir an die Kunden weitergeben, wenn wir nicht pleitegehen wollen", sagt Fialip, der selbst Milchbauer ist.

Frankreich | Michel Ruimy | Professor für Ökonomie
Michel Ruimy, Professor für ÖkonomieBild: Sandy Palenzuela

Steigende Preise erlebten im Moment aber auch die Konsumenten, sagt Michel Ruimy, Professor für Ökonomie an der Pariser Universität Science Po. "Die Inflation betrug Ende 2021 2,8 Prozent im Vergleich zu 0,5 Prozent ein Jahr zuvor - für Nahrungsmittel lag sie gar bei 30 Prozent", präzisiert er gegenüber DW. Ruimy denkt deswegen, Leclercs Preisaktion könne durchaus funktionieren - schließlich ist die Kaufkraft laut Umfragen im Moment die Hauptsorge der Franzosen. Und doch würden Kunden die Billigbaguettes wohl nur unter einer Bedingung kaufen: "Wir sind hier im Land der Gastronomie und des feinen Gaumens", so der Ökonom. "Wenn das Baguette nicht so gut schmeckt wie andere, wird es kaum jemand haben wollen - da kann es so billig sein, wie es will."