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"Dopingsperren müssen verlängert werden"

Joscha Weber25. Juli 2013

Die Dopingfälle Ullrich, Zabel, Pantani und Co. überraschen Doping-Experte Werner Franke nicht im Geringsten. Er fordert im DW-Interview härtere Strafen und ist überzeugt, dass auch heute mit EPO gedopt wird.

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Werner Franke, Molekularbiologe und Doping-Aufklärer (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

DW: Herr Professor Franke, die vom französischen Senat veröffentlichte EPO-Liste der Nachtests der Tour de France 1998 liest sich wie ein Who is Who des damaligen Radsports: Marco Pantani, Jan Ullrich, Erik Zabel und viele andere. Hat Sie die Liste überrascht?

Werner Franke: Natürlich nicht, das ist ja nicht neu. Das Bundeskriminalamt hatte ja zum Beispiel schon ermittelt, was Jan Ullrich alles genommen hatte. Darunter Mittel, die eine Entdeckung von Doping verhindern sollen, zum Beispiel Polvos Rojos, das rötliche Pulver. Das ist ein eiweißabbauendes Protease-Enzymgemisch, das man bei der Dopingkontrolle auf den Urin rieseln lässt. Wenig später sind alle Peptid-Bindungen verschwunden: EPO ist dann nicht mehr nachweisbar, Wachstumshormone auch nicht. Das war alles schon vom BKA ermittelt worden. Aber im Fall Ullrich wurde das alles für 250.000 Euro beglichen und keine Anklage gegen ihn erhoben [2008 stellte die Staatsanwaltschaft Bonn ihre Ermittlungen gegen Ex-Radprofi Jan Ullrich wegen der Betrugsvorwürfe seines ehemaligen Arbeitgebers Team T-Mobile gegen eine Zahlung Ullrichs von 250.000 Euro ein, Anm. d. Red.].

Wie belastbar sind die Nachtests von 1998?

Die Tests sind heute belastbarer als sie es damals waren. Das Gleiche war ja auch mit den Proben der Olympischen Spiele 2004 in Athen geschehen. Auch da kam [bei Nachtests, Anm. d. Red.] eine ganze Reihe von Dingen heraus. Doch dann hat man vor einigen Monaten ganz schnell die Nachtests gestoppt, nachdem dabei einige weißrussische und ukrainische Schwerathleten mit anabolen Steroiden erwischt worden waren. Die Testverfahren sind seitdem wesentlich verbessert worden und das gilt besonders für EPO. Und man muss einfach sagen, dass das französische Anti-Doping-Labor auf diesem Gebiet führend ist.

Jan Ullrich 2005 bei der Tour de Suisse (Foto: AP)
Frankes ehemaliger Prozessgegner Jan Ullrich steht auf der EPO-Liste von 1998Bild: AP

Was halten Sie vor diesem Hintergrund dann von dem Vorwurf des Weltradsportverbands UCI, die Nachtests stützten sich nicht auf die gängigen Standards der Doping-Analysen?

Ich will nicht ungerecht sein, aber die Standards des EPO-Tests waren 1998 noch ziemlich hinterm Mond beziehungsweise falsch. Wenn die UCI mit Standards meint, so wie ich die Logik dieser Doping-Schutz-Gauner kenne, dass ja keine zweite Probe von diesen positiven Proben mehr vorliegt, dann liegen sie falsch. Die Athleten haben das Zeug genommen, das ist damit bewiesen. Jedes Gericht würde das Verfahren jetzt anerkennen. Für die Beweisführung ist eine erneute B-Probe des Dopingtests unerheblich.

Was ist davon zu halten, dass die Ergebnisse der Nachtests so lange unter Verschluss gehalten worden sind?

Das war ganz klar um die Tour de France zu schützen. Man wollte das Rennen erstmal in Ruhe verstreichen lassen. Denn offensichtlich lagen die Daten schon seit Monaten vor, man wollte es nach der Tour de France rauslassen, damit es das Rennen nicht stört.

Hat man mit den Nachtests eine neue scharfe Waffe in den Händen im Anti-Doping-Kampf?

Es ist in jedem Fall eine Verbesserung, dadurch, dass es sich keiner mehr leisten kann, zeitnah an so wichtige Ereignisse wie Weltmeisterschaften, Olympische Spiele oder die Tour de France heranzudopen. Denn der Sportler muss damit rechnen, dass es irgendwann herauskommt. Wichtig wäre, dass man von vorneherein die Konsequenzen daraus zieht, zum Beispiel die Strafen bei Dopingvergehen zu verschärfen. Es gibt eine Studie der nordschwedischen Universität von Umeå, in der durch Muskelgewebeproben bewiesen ist, dass zum Beispiel anabole Steroide deutlich länger als zwei Jahre im Körper wirken. Das heißt also, eine gängige Sperre von zwei Jahren ist eine Beibehaltung des Vorteils für den gedopten Sportler, selbst wenn der nichts mehr nimmt. Die Zeiträume von Dopingsperren müssen verlängert werden, das ist physiologisch geboten.

Bodybuilder zeigen bei der Fitness Messe FIBO in Essen ihre Muskeln (Foto: AP)
Anabole Steroide, oft im Bodybuilding eingesetzt, wirken noch mehr als zwei Jahre nach der Einnahme im KörperBild: AP

Das Ende der 90er Jahre galt als die Hochphase des EPO-Dopings. Haben Sie Hinweise darauf, dass der heutige Spitzensport sauberer ist als damals, so wie das viele heute behaupten?

Nein, das ist ja auch Unfug! EPO-Doping gibt es nach wie vor, wenn auch nicht mit EPO, sondern mit ähnlichen Molekülen, die ebenfalls EPO-Rezeptoren angehen. Diese Moleküle sind aber sehr viel kleiner und somit sehr viel schneller wieder aus dem Körper des Athleten heraus. Dennoch führen sie zum gleichen Effekt [wie das klassische EPO, nämlich die verbesserte Sauerstoffaufnahme des Blutes, Anm. d. Red.]. Die Zeit, in der der Sportler entdeckt werden kann, ist sehr viel kürzer. Das ist eigentlich alles bekannt, jetzt muss man daraus die Konsequenzen ziehen.

Werner Franke ist einer der weltweit führenden Kämpfer gegen Doping. Eigentlich ist Franke als Biochemiker und Molekularbiologe Experte für Tumor-Diagnostik, also die Früherkennung von Krebs. Diese Kenntnisse hat Franke erfolgreich auf die Doping-Analyse übertragen und arbeitete gemeinsam mit seiner Frau Brigitte Berendonk die Dopingvergangenheit der BRD und der DDR auf. Der inzwischen 73-Jährige folgt seiner Überzeugung, dass die vierte Gewalt im Staat "die Initiative des Einzelnen" ist und schreckt so auch vor Rechtsstreitigkeiten mit Spitzensportlern nicht zurück.

Das Interview führte Joscha Weber.