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Flugbranche fürchtet Folgen der Boeing-Krise

Andreas Spaeth
17. Dezember 2019

Es wird nicht besser: Jetzt muss Boeing die Produktion seines Krisenfliegers 737MAX stoppen. Die Branche befürchtet Verzögerungen bei künftigen Flugzeug-Neuzulassungen.

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Boeing 737 MAX am Boden
Bild: Reuters/L. Wasson

Die Situation gab es im Weltluftverkehr noch nie: Innerhalb kurzer Zeit stürzte die neuste und am meisten verkaufte Version eines bewährten Verkehrsflugzeugs gleich zweimal ab. Insgesamt 346 Menschen, alle Insassen beider Flugzeuge, starben im Oktober 2018 in Indonesien und im März 2019 in Äthiopien. Beide Länder liegen von der Heimat des Herstellers der Boeing 737MAX in den USA weit entfernt. Trotzdem lösten die Vorfälle ein weltweites Beben in der Branche aus. Die im März bereits ausgelieferten rund 375 Maschinen des betroffenen Typs wurden ebenso an den Boden verbannt wie die seither trotzdem weiter produzierte Anzahl von mehr als noch einmal so vielen Flugzeugen.

Weil bislang überhaupt nicht klar ist, wie es mit dem Unglücksflieger weiter geht, hat sich Boeing nun zu einem drastischen Schritt entschlossen: Ab Januar wird die Produktion der 737MAX vorübergehend gestoppt. 42 Exemplare rollen derzeit noch jeden Monat aus den Hallen in Renton (US-Bundesstaat Washington) und müssen dann irgendwo im Lande geparkt werden. Selbst auf dem Mitarbeiterparkplatz in Renton stehen mittlerweile Flugzeuge statt Autos, ebenso zugeparkt ist Boeings Testflughafen, das Moses Lake Airfield östlich von Renton, mit den Maschinen, die pro Stück einen Marktwert von 100 Millionen US-Dollar haben. Boeing weiß praktisch nicht mehr, wohin mit den Flugzeugen - und auch der Unterhalt der geparkten Maschinen kostet jede Menge Geld.     

Wann die Produktion wieder anlaufen könnte und was das für die Finanzlage des Flugzeugbauers heißt, dazu machte der Konzern keine Angaben, nur soviel: Weitere Finanzinformationen würden mit dem Quartalsbericht Ende Januar veröffentlicht.

Eine 737MAX auf dem Mitarbeiterparkplatz
Eine 737MAX auf dem Mitarbeiterparkplatz Bild: Getty Images/S. Brashear

Betroffene Airlines leiden ebenfalls

Schon der bisherige Auslieferungsstopp "hat eine Zahl von betroffenen Airlines wirtschaftlich hart getroffen", sagte der Chefökonom des Welt-Airlineverbands IATA, Brian Pearce, jetzt in Genf. Das Thema bleibt auch öffentlich auf der Agenda, etwa wegen der Anhörungen vor dem US-Kongress in Washington. Erst Mitte Dezember gab es die fünfte und möglicherweise nicht letzte zu dem Fall. Dabei hatte anfangs Boeing-Chef Dennis Muilenburg wie schon in der ganzen Krise eine wenig überzeugende Figur gemacht. Mit dem jetzt verkündeten Produktionsstopp wird der Druck auf Muilenberg weiter steigen. Zumal bei einer der letzten Anhörungen ein ehemaliger Top-Manager von einer "Fabrik im Chaos" berichtete, die er erlebt habe. Termindruck und die Erschöpfung von Mitarbeitern seien zulasten der Qualität gegangen. 

Boeing selbst und deren interne Prozesse, vor allem die seltsame Übernahme von Kontrollfunktionen, die eigentlich die US-Luftfahrtbehörde FAA wahrnehmen muss, aber auch das ganze System der Zulassung von Flugzeugen weltweit, war durch die 737MAX-Krise in die Kritik geraten. Zuletzt räumte der FAA-Chef vor dem Verkehrsausschuss des Kongresses ein, dass seine Behörde der 737MAX bereits nach dem ersten Unfall ein Flugverbot hätte erteilen müssen.

Schwer unter Druck: Boeing-Chef Dennis Muilenberg
Schwer unter Druck: Boeing-Chef Dennis MuilenbergBild: picture alliance/AP Images/J. Young

Wie kommt das Vertrauen zurück?

Vor allem aber lautet die Frage aller Fragen: Wann kann die 737MAX wieder fliegen? Das wird vermutlich nicht vor Beginn des Sommerflugplans 2020 Ende März sein, wenn überhaupt, nach einem ebenfalls noch nie zuvor verhängten über einjährigen Flugverbot. Boeing hat inzwischen das für die Unfälle ursächliche automatische Trimmsystem MCAS grundlegend überarbeitet und Experten scheinen damit zufrieden. "Ich habe die 737MAX mit altem und mit neuem MCAS jetzt selbst im Simulator geflogen und kann sagen: das ist die Lösung", erklärt Gilberto López Meyer, bei der IATA für Sicherheit zuständig.

Wie es der Branche gelingen wird, das Vertrauen der Kunden zurückzugewinnen, steht auf einem anderen Blatt. "Ich werde die 737MAX dann öfter selbst fliegen und hoffe auch unsere Kunden davon überzeugen zu können, dass sie unbesorgt an Bord gehen können", sagt Oliver Lackmann, Chef von TUIfly in Hannover und selbst 737-Pilot. TUIfly ist der einzige deutsche MAX-Besteller, ihr erstes Flugzeug sollte genau in jener Nacht aus Seattle überführt werden, als das Flugverbot wirksam wurde - und steht deshalb immer noch dort.

Wie werden Flugzeuge künftig zugelassen?

Eine entscheidende andere Frage wird sein, wie in Zukunft neue Flugzeuge in aller Welt zugelassen werden sollen. Bisher war es üblich, dass Zulassungen durch die FAA von anderen Behörden wie etwa ihrem Gegenstück EASA in Europa übernommen wurden. Aufgrund der offenkundigen Missstände bei der FAA wollen jetzt viele nationale Behörden selbst umfangreiche Zulassungsverfahren in Gang setzen und neue Flugzeuge, die anderswo zugelassen wurden, nicht einfach durchwinken. Dadurch könnten erhebliche Liefer-Verzögerungen entstehen und hohe Extrakosten. Gilberto López Meyer von der IATA fürchtet vor allem politische Einflussnahmen auf solche Verfahren und erklärt: "Wir müssen das bisher extrem sinnvolle Instrument der gegenseitigen Anerkennung von Zulassungen erhalten, derzeit ist die Zukunft dieses bewährten Verfahrens in Gefahr", so der IATA-Vertreter.

Boeing 737MAX in der Montagehalle in Renton
Boeing hat offenbar größere Qualitätsprobleme bei der Produktion Bild: picture-alliance/dpa/AP/T. S. Warren

Auf den Weltluftverkehr insgesamt hat die 737MAX-Krise bislang keine großen Auswirkungen, nur 0,1 Prozent des weltweiten Passagieraufkommens entfiel vor dem Flugverbot auf diesen Flugzeugtyp, der erst kurz zuvor auf den Markt gekommen war. Für Boeing hingegen ist dies die mit Abstand größte Krise der mehr als hundertjährigen Firmengeschichte, deren Ende nicht absehbar ist. Und weitere schlechte Nachrichten gehen beinahe täglich ein: Das neue Langstreckenflugzeug 777X, auch von Lufthansa bestellt, hat Probleme und verzögert sich mindestens um ein Jahr, bisher ist es noch nicht einmal geflogen, was eigentlich für Juni dieses Jahres geplant war.

Fliegen bleibt sicher - trotz des 737MAX-Absturzes

Beim Bestseller 787 gibt es ebenfalls Qualitätsprobleme und möglicherweise auch Sicherheitsdefizite, nachdem Boeing eigenmächtig die Schutzvorrichtungen gegen Blitzeinschläge reduziert hatte - worüber es Streit mit der FAA gibt. Airbus steht dagegen hervorragend da, zumindest sind dort die Probleme wesentlich überschaubarer, etwa beim immensen Hochfahren der Produktion auf bis zu 65 Flugzeuge der meistverkauften A320-Familie - pro Monat. Trotzdem legt Airbus-Chef Guillaume Faury großen Wert darauf, dass Airbus kein MAX-Krisengewinnler ist.

Viele Airlines müssen ohne ihre schon fertigen 737MAX auskommen
Viele Airlines müssen ohne ihre schon fertigen 737MAX auskommenBild: Reuters/L. Wasson

"Wir haben für die A320-Familie Bestellungen für über 6000 Flugzeuge, die abzuarbeiten dauert acht oder neun Jahre", sagt Faury. "Vor 2024 oder 2025 haben wir überhaupt keine Lieferpositionen verfügbar. Deshalb können wir niemanden Ersatz für gegroundete 737MAX bieten, wir haben davon keinen Vorteil, leider." Auch der Airbus-Chef macht sich Sorgen, wie es künftig mit Zulassungen neuer Flugzeuge durch die Behörden weitergeht. "Bei der Flugsicherheit haben bisher alle sehr von der globalen Kooperation profitiert, das macht die Sicherheit erst möglich, wir wollen das beibehalten, und gerade die MAX-Krise hat gezeigt, wie wichtig das ist." Und die Luftfahrtbranche braucht höchste Sicherheit bei größter Effizienz - schon dieses Jahr erreichte die weltweite Passagierzahl mit 4,5 Milliarden einen neuen Rekord, Tendenz weiter steigend. Immerhin war 2019 das vermutlich sicherste Jahr jemals im Weltluftverkehr - trotz des 737MAX-Crashes in Äthiopien.