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Florence Schelling - Allein unter Männern

6. Mai 2020

Florence Schelling war eine erfolgreiche Schweizer Eishockeyspielerin. Nun soll sie als Sportchefin den SC Bern wieder zum Erfolg führen. Die 31-Jährige begibt sich in eine Männerdomäne - die sie seit langem kennt.

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Die frühere Schweizer Eishockeytorhüterin Florence Schelling im Porträt (Foto: Picture-alliance/KEYSTONE/G. Ehrenzeller)
Bild: Picture-alliance/KEYSTONE/G. Ehrenzeller

Der erste Monat ist vorbei und damit ist auch ein wenig die Aufregung gewichen. Die von Florence Schelling vor ihrer Aufgabe - aber auch die der Öffentlichkeit. Schließlich bekleidet die 31-Jährige beim SC Bern einen Posten, den vor ihr nur Männer, die zumeist deutlich älter waren als sie, inne hatten. Schelling ist seit Anfang April die neue Sportchefin des traditionsreichen und mit 16 Meistertiteln erfolgreichsten Eishockey-Klubs der Schweiz. Den soll die junge Frau nach einer verkorksten Saison in der kommenden Spielzeit wieder auf Vordermann und in die Erfolgsspur zurückbringen.

"Sie ist jung, unverbraucht und intelligent. Ob es ein Mann oder eine Frau wird, hat in den Überlegungen keine Rolle gespielt. Und sie versteht noch etwas vom Hockey", sagte Bern-Geschäftsführer Marc Lüthi bei der Vorstellung der neuen Sportchefin.

Und dennoch bleibt es eine außergewöhnliche Konstellation im seit jeher Männer-dominierten Eishockey-Sport, der mit viel Schweiß, Testosteron, harten Tacklings und auch schon mal mit fliegenden Fäusten in Verbindung gebracht wird. "Die Leute und die Spieler begegnen mir ganz normal, würde ich sagen. Allerdings weiß ich ja auch nicht, wie sie sonst reagieren", sagt Schelling der DW.

Tolle Karriere

Die Schweizer Eishockeytorhüterin Florence Schelling zeigt ihre Bronzemedaille von Sotschi 2014 (Foto: Picture-alliance/KEYSTONE/L. Gillieron)
Sotschi 2014: Florence Schelling freut sich über Olympisches BronzeBild: Picture-alliance/KEYSTONE/L. Gillieron

Schelling kennt sich außergewöhnlich gut aus in diesem Sport, was ihr schon einmal eine Grund-Akzeptanz bei den männlichen Kollegen einbringen dürfte. Schließlich war sie Torfrau der Schweizer Eishockeyspielerinnen, mit denen sie Bronze bei der WM 2012 holte und zur besten Torhüterin des Turniers gewählt wurde. Auch bei den Olympischen Spielen 2014 in Sotschi gewann sie mit den Eidgenossen vor allem aufgrund ihrer starken Leistungen fast im Alleingang die Bronzemedaille. Zudem stand sie in derselben Spielzeit beim Männerteam des EHC Bülach zwischen den Pfosten.

"Ich wollte immer bei den besten Mannschaften spielen, in den höhsten Ligen, deshalb war ich bei den Männern am richtigen Ort", sagt sie. Bis auf den Umstand, dass sie dort eine eigene Dusche nutzen konnte, war sie ein ganz normaler Bestandteil des (Männer-) Teams.

Diese Erlebnisse gaben Schelling, die bereits mit vier Jahren mit dem Eishockey-Sport ausschließlich mit Jungs begonnen hatte, sehr früh einen sehr tiefen Einblick. Ihre Brüder hatten sie einst ins Tor gestellt, weil sie keinen Goalie hatten. Von da an gab es kein zurück mehr. "Ich kenne eigentlich fast nichts anderes. Ich habe in meiner Sport-Karriere mehr Zeit mit Männern als mit Frauen verbracht. Ich kenne das Garderoben-Leben, ich weiß, was da abgeht und was da alles gesprochen wird", sagt sie.

Internationale Erfahrungen

Die Schweizer Eishockeytorhüterin Florence Schelling im Porträt (Foto: Picture-alliance/KEYSTONE/G. Ehrenzeller)
Pyeongchang 2018: Florence Schelling im Schweizer TorBild: Picture-alliance/KEYSTONE/G. Ehrenzeller

Deshalb würde die zierliche Frau notfalls auch vor ein paar klaren Ansagen in Richtung ihrer Spieler nicht zurückschrecken, sollten diese irgendwann mal notwendig sein. Aber soweit ist es noch lange nicht. Auch in der Schweiz ruht der Sport aufgrund der Corona-Pandemie momentan noch. 

Erfahrungen im Eishockey hat Schelling aber nicht nur in der Schweiz gesammelt. Sie ist in der Welt herumgekommen. Sie spielte in den USA, Kanada und Schweden, sie spricht vier Sprachen. Außerdem schloss sie ihr Wirtschaftsstudium 2018 mit dem Master ab. Alles Dinge, die ihr bei ihrer neuen Aufgabe hilfreich sein dürften. "Ich bin ein sehr teamorientierter und ehrgeiziger Mensch", sagt Schelling. 

Schwerer Unfall

Und sie hatte in ihrem Leben bereits einmal großes Glück im Unglück. Im Winter vergangenen Jahres brach sie sich bei einem Skiunfall in Davos das Genick, der sechste Halswirbel hielt dem Aufprall nicht stand. Außerdem trug sie eine Gehirnerschütterung davon. Die Folgen spürt sie noch heute. "Voll belastbar bin ich leider noch nicht. Ich habe diesen Job mit einem 50-Prozent-Pensum begonnen", sagt sie. "Damit die Belastung nicht zu groß wird, stehe ich ziemlich eng in Kontakt mit meinen Ärzten." Vorher war sie ein Wirbelwind, stets aktiv. Dieser Unfall hat sie erst einmal ausgebremst. "Das war psychisch auch nicht so leicht, weil alles um mich herum einfach weiterging und ich nichts machen konnte", sagt sie. 

Florence Schelling (r.) mit Ex-NHL-Spieler Mark Streit (l.) und IOC-Präsident Thomas Bach (Foto: Picture-alliance/KEYSTONE/L. Gillieron)
Lausanne 2020: Florence Schelling (r.) mit Ex-NHL-Spieler Mark Streit (l.) und IOC-Präsident Thomas BachBild: Picture-alliance/KEYSTONE/L. Gillieron

So zieht Schelling auch neue Kraft aus der aktuellen Corona-Krise: "Alle müssen ein wenig die Handbremse anziehen. Und es hat mir ganz gut getan, dass das ganze hektische Leben ein wenig ruhiger um mich herum geworden ist."

Doch so langsam könnte auch das Männer-Eishockey wieder starten. Am kommenden Montag treten in der Schweiz erste Corona-Lockerungen in Kraft. Womöglich können dann die Eishockeyspieler wieder das Eis betreten. Die ersten persönlichen Treffen mit den Spielern nach den ganzen Videokonferenzen stehen dann an. Aber das alles hat sie ja schon auf andere Weise so oft mitgemacht. "Deshalb ist es für mich keine außergewöhnliche Situation als einzige Frau in dieser Männer-Welt zu sein", sagt Schelling.