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Politik

Finnlands NATO-Debatte

Teri Schultz
11. Oktober 2017

Im neutralen Finnland fordert einer der Präsidentschaftskandidaten eine Diskussion über den Beitritt zum Bündnis. Doch er hat es schwer, auch wegen russischer Warnungen.

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Belgien Brüssel Sauli Niinisto mit Jens Stoltenberg
Präsident Sauli Niinistö (l.) besuchte 2016 als erster finnischer Präsident die NATO, rechts Generalsekretär Jens StoltenbergBild: NATO

Die Frage steht in Finnland im Raum, seit die NATO existiert: Sollte das neutrale nordische Land mit seiner 1340 Kilometer langen Grenze zu Russland dem westlichen Bündnis beitreten? Bisher lautete die Antwort der Mehrheit der 5,5 Millionen Finnen stets "ei" - nein, wobei Moskau immer ein bisschen mit Hinweisen nachhalf, dass die Dinge besser so bleiben sollten, wie sie sind.

Der neue russische Botschafter in Helsinki, Pawel Kusnezow, hat das in seinem ersten Interview seit seinem Amtsantritt vor wenigen Wochen auch wieder getan. In dem Gespräch mit der Tageszeitung "Ilta-Sanomat" beklagte er einerseits den Eindruck, manche Länder hätten "Angst vor Russland". Andererseits erklärte er: "Jedermann versteht, dass wir entsprechend reagieren müssen, wenn sich die militärische Infrastruktur der NATO unseren Grenzen nähert."

Doch solche Warnungen bedeuten nicht, dass Finnlands Politiker zum Thema NATO schweigen würden. Der finnische Europaabgeordnete Nils Thorvalds meint, sein Land solle die Zeit hinter sich lassen, da Russland einen Einfluss auf finnische Verteidigungsentscheidungen habe. Thorvald tritt als Kandidat für die finnischen Präsidentschaftswahlen im Januar 2018 an. Er will seinen Wahlkampf auch dazu nutzen, das Thema NATO auf die politische Tagesordnung zu bringen. Er glaubt, innerhalb des Bündnisses wäre die Sicherheit des Landes besser aufgehoben.

Nils Torvalds
Präsidentschaftskandidat Torvalds: Finnland sollte mehr auf eigenen Füßen stehenBild: cc-by-sa 3.0/David Iliff

Seine Unterstützer sagen, Finnland arbeite bereits seit 1994 im NATO-Programm Partnerschaft für den Frieden mit, das für Nichtmitglieder gilt, und es habe seinen Beitrag zur NATO seitdem ständig erhöht. Außerdem werde Finnland im Jahr 2020, dem Zeitpunkt, zu dem die NATO-Mitglieder versprochen haben, dass sie dann mindestens zwei Prozent ihres Sozialprodukts für Verteidigung ausgeben, diese Schwelle durch gewaltige Investitionen in seine Marine und Luftwaffe übersprungen haben.

'Provokation' NATO-Beitritt

Der langjährige Journalist Thorvalds, der in Moskau, Washington und jetzt in Brüssel gelebt hat, sagt, die früheren Hemmungen in Finnland gegenüber einem NATO-Beitritt seien durchaus verständlich, denn immer wenn sich jemand zugunsten eines Beitritts geäußert habe, "bekamen wir jedesmal eine Note aus Moskau, in der stand 'Ihr dürft Euch nicht bewegen'". Botschafter Kosnezows Interview habe außerdem gezeigt, dass dies auch heute noch gelte. Doch Thorvalds besteht darauf, die Debatte müsse sich endlich aus der Lähmung des Kalten Krieges befreien. "Wir müssen ein bisschen mehr auf eigenen Füßen stehen", sagt er im DW-Gespräch.

Doch die Mehrheit der Finnen denkt anders. In der jüngsten Umfrage sprachen sich nur 21 Prozent für einen NATO-Beitritt aus, 51 dagegen, und 28 Prozent demonstrierten den Inbegriff der Neutralität: Sie hatten dazu keine Meinung.

Jarmo Makela, langjähriger außenpolitischer Redakteur der größten finnischen Tageszeitung "Helsingin Sanomat", erklärt die Mentalität seines Landes so: "Eine klare Mehrheit meiner Generation und der noch Älteren ist sich sicher, dass uns Russland nicht angreifen wird, wenn wir es nicht provozieren", so Makela gegenüber DW. "Eine Bewerbung um eine NATO-Mitgliedschaft wäre eine große Provokation, und Russland tut alles, um diese Sichtweise zu verstärken."

Makela glaubt auch, dass die Finnen der Idee der kollektiven Verteidigung der NATO nicht wirklich trauen. Im sogenannten Beistandsartikel, dem Artikel V des NATO-Vertrags, heißt es, dass die NATO einen Angriff auf ein Mitglied als Angriff auf alle versteht und dass alle anderen dem Angegriffenen zu Hilfe eilen werden. Makela sagt, es würden zu viele "schlimme Dinge passieren", bevor sich die NATO zur gemeinsamen Verteidigung aufraffen würde. Er glaubt andererseits aber, je mehr die Russen den Finnen drohten, desto positiver würden die Finnen über einen NATO-Beitritt denken.

Finnland Armee Soldaten Wehrpflichtige
Die eigenen Verteidigungsfähigkeiten stärken - finnische RekrutenBild: picture-alliance/dpa/V. Moilanen

Der Präsident als Inbegriff der Neutralität

Vor einem Jahr besuchte mit Sauli Niinistö der erste finnische Staatspräsident das NATO-Hauptquartier in Brüssel. Er wurde damals kritisiert, weil er sich zum Thema NATO weder klar in die eine, noch die andere Richtung geäußert hatte. Doch klar ist, dass er für die Aufrechterhaltung der Neutralität ist. In einem kürzlichen Interview sagte er, sein Land solle sich darauf konzentrieren, seine eigenen Verteidigungsfähigkeiten und die Sicherheits- und Verteidigungsfähigkeiten der Europäischen Union zu entwickeln. Dann versuchte er mit typisch finnischer Nüchternheit, die russische Bedrohung Finnlands zu relativieren: "Sollte es einmal Krieg in der Ostsee [zwischen der NATO und Russland] geben, wäre das automatisch ein dritter Weltkrieg", stellte Niinistö fest. "Und deswegen wird es nie passieren. Alle wissen, dass sie dann ausgelöscht wären." Besser sei es, empfahl er, den Preis eines Einmarsches in Finnland so hoch wie möglich zu halten.

Helena Partanen vom finnischen Verteidigungsministerium meint, die meisten Finnen seien gegen eine Debatte über eine Vollmitgliedschaft, weil das gegenwärtige System ausreichend funktioniere. Doch es sei für Finnland immerhin wichtig, durch seine Teilnahme an NATO-Einsätzen wie Afghanistan und im Kosovo mit am Tisch zu sitzen.

Thorvalds dagegen ist überzeugt, Finnland solle ganz Mitglied sein. Zumindest solle man intensiv darüber reden. Ob das seine Chancen bei der Präsidentschaftswahl erhöht, ist zweifelhaft. Der Neutralitätsbefürworter Niinistö liegt in den Umfragen klar vorn.