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PolitikGlobal

Faktencheck: Nein, kein Fleischverbot in diesen Städten

Uta Steinwehr
2. September 2023

Fleisch- und Milchverbot, keine privaten Autos mehr, nur drei neue Kleidungsstücke pro Jahr: Mit radikalen Maßnahmen wollen angeblich mehrere Städte weltweit gegen den Klimawandel kämpfen. Der DW-Faktencheck klärt auf.

https://p.dw.com/p/4VsMR
Eine Bratwurst aufgespießt auf einer Gabel
Auch 2030 können Bratwürste weiter auf die Gabel kommenBild: Daniel Karmann/dpa/picture alliance

"100 Städte wollen bis 2030 Fleisch, Milchprodukte und private Autos verbieten", titelt der Blog tkp.Bei einer Veröffentlichung auf der Webseite Report24.newsheißt es sogar, mehr als 1000 Städte wollten solche Verbote durchsetzen. 

Geteilt werden die Behauptungen mit Auflistungen mehrerer Städte wie Frankfurt oder Berlin auch in sozialen Netzwerken wie X - ehemals Twitter -, oder TikTok. Der Telegram-Postim Kanal von Report24.news wurde mehr als 120.000 Mal gesehen. Mit Jörn Königund Dirk Spanielverbreiteten auch zwei Bundestagsabgeordnete der rechtspopulistischen AfD den Artikel und die Behauptungen auf Facebook weiter.

Screenshot des Facebook-Posts von Dirk Spaniel
Die angeblich umfangreichen geplanten Verbote wurden auch von zwei Bundestagsmitgliedern der AfD verbreitet

Doch die Behauptungen kursieren nicht nur im deutschsprachigen Raum, sondern auch international. In den USA werden 14 Städtegenannt, darunter Houston, San Francisco oder Chicago.Auch auf Spanischsind ähnliche Narrative zu finden.

Allen gemein ist die Behauptung, dass angeblich weltweit Städte im Sinne des Klimaschutzes bis 2030 folgende Punkte durchsetzen wollen: 

  • Der Konsum von Fleisch und Milchprodukten ist verboten.
  • Niemand darf privat ein Auto besitzen.
  • Jede Person darf pro Jahr nur drei neue Kleidungsstücke kaufen.
  • Jede Person darf nur alle drei Jahre einen Kurzstreckenflug unternehmen.

DW-Faktencheck: Falsch.

Kurz gesagt: Was in einem wissenschaftlichen Bericht als Möglichkeiten zum Einsparen von CO2 definiert und theoretisch durchgerechnet wurde, wird in den Falschbehauptungen zu angeblich verbindlichen Zielen gemacht - zu denen sich Städte in verschiedenen Netzwerken verpflichtet hätten. 

Die DW hat die in den Beiträgen erwähnten deutschen Städte um Stellungnahme gebeten - die solche Pläne von sich weisen.

Worauf beziehen sich die Behauptungen?

Die Berichte und Posts beziehen sich auf einen Berichtmit dem Titel "Die Zukunft des urbanen Konsums in einer 1,5°C-Welt". Dieser wurde 2019 gemeinschaftlich herausgegeben von dem Städtenetzwerk C40 Cities, der Universität Leeds und dem Beratungs- und Planungsunternehmen Arup. 

Das Netzwerk C40 wird in den Behauptungen wiederholt erwähnt. Es handelt sich dabei um knapp 100 Städte weltweit, die gemeinsam nach eigenen Angaben mehr als 20 Prozent der Weltwirtschaft ausmachen und sich dafür einsetzen, den Klimawandel einzugrenzen. Aus Deutschland sind Berlin und Heidelberg Teil des Netzwerks.

Der Bericht analysiert, welchen Einfluss der Konsum in C40-Städten auf den Klimawandel hat.

In dem Bericht geht es weiter darum, wie sich bestimmte Änderungen in der Lebensweise ab 2030 auf den Treibhausgasausstoß von C40-Städten auswirken würden, wenn zum Beispiel Menschen weniger Fleisch essen oder weniger neue Kleidung kaufen würden. 

Eine Textilarbeiterin hinter einem große Haufen Kleidungsstücke
Auch die Produktion und der Transport von Kleidung verursacht viele Emissionen - und viele Kleidungsstücke werden dann nur selten getragenBild: Bildagentur-online/Blend Images/picture alliance

Dabei unterscheiden die Autoren zwischen progressiven und ehrgeizigen Zielen. Unter den ehrgeizigen Zielen wird mit genau den Kriterien gerechnet, die in den Falschbehauptungen angeprangert werden: kein Fleisch, keine Milchprodukte, kein Privatauto und so weiter. 

Doch die Autoren der Studie betonen, ihre Erwartung sei nicht, das dies eins zu eins so umgesetzt werden soll. So heißt es in der Studie: "Dieser Bericht setzt sich nicht dafür ein, dass diese ehrgeizigeren Ziele in den C40-Städten umfassend übernommen werden. Vielmehr sollen sie Bezugspunkte bieten, über die Städte und andere Akteure nachdenken können, wenn sie verschiedene Alternativen zur Emissionsreduzierung und langfristige städtische Visionen in Betracht ziehen."

"C40 schreibt seinen Mitgliedsstädten keine konkreten Strategien vor", bekräftigt ein Sprecher vom C40-Netzwerk gegenüber der DW. "Es ist Sache jedes Einzelnen, den persönlichen Lebensstil zu wählen, einschließlich wie sie sich ernähren wollen und welche Kleidung sie bevorzugen." 

Was hat die Initiative "Cities Race to Zero" damit zu tun?

Kurz gesagt: Eigentlich nichts. Doch einige der Veröffentlichungenoder Social-Media-Beiträge mit den Falschbehauptungen stellen diese Querverbindung her. So heißt es, die Städte in der Initiative "Cities Race to Zero" hätten sich verpflichtet, die angeblichen Ziele des Reports wie das Fleischverbot bis 2030 umzusetzen. 

Rettet Fleischverzicht das Klima?

Hier kommt auch die Zahl 1000 wieder ins Spiel. Bei "Cities Race to Zero" handelt es sich um eine Initiative, der inzwischen mehr als 1100 Städte weltweit angehören. Sie ist Teil einer Kampagne ("Race to zero"), deren Ziel es ist, globale Emissionen bis 2030 zu halbieren. Dabei handelt es sich um eine Art Absichtserklärung. Städte, die unterschreiben, bekennen sich beispielsweise zum Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens von 2015, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken. Sie engagieren sich dafür, Klimafragen in sämtliche Entscheidungsprozesse einzubinden und sichern zu, bis spätestens 2050 klimaneutral zu sein. Die genauen Kriterien sind hierzu finden.

C40 bezeichnet sich als Partner von "Cities Race to Zero". Ein Sprecher bestätigte der Deutschen Welle aber, es gebe keine Verbindung zwischen der Studie, die Ursprung für die Falschbehauptungen ist, und der Initiative. 

Wie reagieren die Städte?

In einigen Berichten, die auf Deutsch die Falschbehauptungen verbreiten, werden namentlich Städte erwähnt, die die Initiative "Cities Race to zero" mittragen. Die Deutsche Welle hat sämtliche deutsche Städte angeschrieben, die als Unterstützer der Kampagne auf einer Liste beim UNFCCC geführt werden, dem "Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen" (Stand 31.08.2023). Zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung dieses Artikels hatten sich 15 von 17  Stadtverwaltungen zurückgemeldet: Berlin, Bonn, Dortmund, Essen, Frankfurt am Main, Hamburg, Heidelberg, Ingolstadt, Konstanz, Mannheim, München, Münster, Oldenburg, Pforzheim und Speyer. Am 4. September kam die Antwort aus Hannover. Nur aus Gütersloh liegt bisher keine Rückmeldung vor.*

Die Städte Pforzheim, Ingolstadt und Hamburg teilten mit, sie seien gar keine Unterstützer der Initiative "Cities race to zero", sondern stünden irrtümlich auf der Liste. Den Pressestellen in Dortmund und München lagen keine Informationen vor, ob und inwieweit die jeweilige Stadt beteiligt sei.

Abgesehen von Hamburg, dessen Pressestelle sich zu den Punkten nicht äußerte, verneinten alle Städte, dass irgendwelche der erwähnten Vorschriften geplant seien: Weder soll der Verkauf oder Konsum von Fleisch oder Milchprodukten verboten werden noch der private Besitz von Autos. Es soll auch keine Beschränkung auf drei neue Kleidungsstücke pro Jahr pro Person oder einem Kurzstreckenflug pro Person alle drei Jahre geben. Mehrere Pressestellen betonten, es gebe auch gar keine rechtlichen Grundlagen, die es Städten ermöglichen würden, solche Einschränkungen durchzusetzen.

Berlin und Heidelberg - die beiden deutschen Städte im C40-Netzwerk - betonten, auch wenn sich der 2019 veröffentlichte Bericht auf C40-Städte bezöge, ergäben sich für sie keine Verpflichtungen.

* Dieser Artikel wurde zuletzt am 06.09.2023 inhaltlich aktualisiert.