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Baustelle Asylrecht

Bernd Riegert24. August 2015

Europa ächzt unter dem Zustrom von Asylbewerbern. Bundeskanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Hollande wollen in Berlin beraten. Wieder einmal. Die größten Baustellen im Überblick.

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Symbolbild EU Gipfel Baustelle (Photo: Bernd Riegert, DW)
Dauerbaustelle Brüssel: Im Rat können sich die Mitgliedsstaaten nicht auf verbindliche Quoten einigenBild: DW

Einheitliche Asylverfahren

Seit dem 20. Juli 2015 ist die neue europäische Richtlinie zum Asyl in Kraft. Sie zielt darauf ab, die Verfahren in den 28 EU-Staaten so weit wie möglich zu vereinheitlichen. Asyl soll möglichst nach den gleichen Kriterien gewährt werden. Die Verfahren dürfen nur noch bis zu sechs Monate dauern. Der Schutz, der Asylsuchenden gewährt wird, soll in ganz Europa möglichst gleich sein. Es gibt für die Asylverfahren Ausnahmen, wenn der Andrang besonders groß ist. Die Gewährung von Asyl liegt immer im Ermessen des National-Staates. Wird Schutz gewährt, dann gilt das Asyrecht nur in diesem Staat, nicht in ganz Europa.

Nach Einschätzung der EU-Kommission, wird die "Asyl-Lotterie" in Europa so bekämpft, ganz abgeschafft ist sie nicht, da die Mitgliedstaaten weiter souverän darüber entscheiden, wen sie aufnehmen und wen nicht. Im kommenden Jahr will die EU-Kommission eine neue Initiative starten, um ein einheitliches Asylrecht auf den Weg zu bringen: Asyl in einem einem EU-Staat soll in allen EU-Staaten anerkannt werden. Das kann noch einige Jahre dauern. Am gemeinsamen Asylverfahren arbeitet die EU bereits seit 1999, als es im finnischen Tampere beschlossen wurde.

Mazedonien Flüchtlingskrise Grenze (Photo: ROBERT ATANASOVSKI/AFP/Getty Images)
Flüchtlingslager an der griechisch-mazedonischen Grenze: Sie dürfte es eigentlich nicht gebenBild: R. Atanasovski/AFP/Getty Images

Sichere Drittstaaten

Es gibt derzeit keine Liste von Staaten, die von allen EU-Mitgliedern als sicher angesehen werden. Jeder Mitgliedsstaat, der souverän über die Gewährung von Asyl entscheidet, führt eine eigene Liste über sichere Drittstaaten. In manchen Staaten ist zum Bespiel der Kosovo ein sicheres Herkunftsland, in anderen nicht. In einigen Staat gilt der Irak als sicher, in anderen werden Asylbewerber aus dem Irak regelmäßig aufgenommen.

Die EU-Kommission will bereits im September einen Vorschlag mit einer Liste für sichere Drittstaaten vorlegen, die dann von allen 28 EU-Staaten angewendet werden soll. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hält es für unsinnig, dass Staaten auf dem Westbalkan als Kandidaten für den EU-Beitritt anerkannt sind und gleichzeitig nicht in allen Mitgliedsländern als sichere Drittstaaten geführt werden.

Die gemeinsame europäische Asyl-Agentur (EASO) mit Sitz in Malta soll den EU-Staaten einheitliche Kritieren für Drittstaaten und Asylgründe vorschlagen. Asylbewerber aus sicheren Drittstaaten haben aber weiterhin Anspruch auf eine individuelle Prüfung ihres Asylantrages. Die Verfahren können allerdings schneller ablaufen, eine Abschiebung in den sicheren Drittstaat wäre einfacher.

Dublin-Regeln

Seit 25 Jahren gilt in der EU das Prinzip, dass der Staat für einen Asylbewerber zuständig ist, dessen Gebiet der Asylbewerber zuerst betreten hat. In der Praxis aber wird diese "Dublin-Regel" von vielen Staaten nicht mehr eingehalten. Sowohl die EU-Kommission als auch Bundeskanzlerin Angela Merkel konstatieren, dass "Dublin nicht mehr funktioniert."

Griechenland, Italien, Bulgarien und Ungarn wären nach der Regel für die Masse der Asylbewerber zuständig. De facto reisen die Asylbewerber aber über die so genannte Balkanroute oder per Zug von Italien über Österreich nach Deutschland, Frankreich, Schweden oder andere nördliche EU-Staaten weiter. Das führt dazu, das nur fünf EU-Staaten den größten Teil der Asylbewerber aufnehmen, obwohl sie theoretisch nicht zuständig wären.

Griechenland und Italien begründen ihr Verhalten damit, dass sie durch den jährlich ansteigenden Andrang einfach überfordert seien. Der Europäische Gerichtshof hat mehrfach entschieden, dass Asylbewerber nicht aus Deutschland nach Griechenland zurückgeschickt werden dürfen, weil dort kein ordnungsgemäßes, menschenwürdiges Verfahren zu erwarten ist. Die EU-Kommission will im kommenden Jahr Gespräche über eine Veränderung der "Dublin-Verordnung" aufnehmen.

Infografik Asylverfahren Vergleich

Quotenregelung und Umverteilung

Die EU-Kommission hat wegen der außergewöhnlich stark angestiegenen Asylbewerberzahlen bereits im Mai vorgeschlagen, 60 000 Flüchtlinge aus Griechenland und Italien als "Notmaßnahme" auf die übrigen EU-Staaten zu verteilen.

Die EU-Staaten wollten sich auf keine verpflichtende Umsiedlung nach einem Verteilungsschlüssel einlassen, sondern nur auf eine "freiwillige" Umverteilung. Doch auch die kommt nur stockend in Gang, weil die Mehrheit der EU-Staaten, vor allem aus Osteuropa, sowie Großbritannien und Spanien keine zusätzlichen Flüchtlinge aufnehmen wollen. Deutschland macht hier besonders Druck, weil Innenminister Thomas de Maizière der Meinung ist, dass mehr Solidarität der EU-Staaten untereinander gefordert sei und Deutschland derzeit zu viele Asylbewerber aufnehmen müsse, nämlich rund 40 Prozent aller Antragsteller. Ein generelle Quotenregelnung, die die oben genannte Dublin-Regel ersetzen könnte, liegt noch in weiter Ferne.

Abschiebung und Rückführung

Nicht nur die Gewährung von Asyl, auch die Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern wird in den Mitgliedsländern der EU sehr unterschiedlich gehandhabt. Nur ein Drittel der sogenannten "Ablehnungsbescheide" wird tatsächlich auch vollstreckt. Entweder werden abgelehnte Asylbewerber aus humanitären Gründen "geduldet", wie etwa in Deutschland, oder sie werden einfach in die Illegalität entlassen und tauchen unter, wie in Griechenland oder Italien.

Ungarn: Grenzübertritt verboten

Die EU-Kommission will die Abschiebe-Praxis vereinheitlichen und die Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern verbessern. Oft weigern sich die Heimatländer der in Europa gestrandeten Asylbewerber schlicht, ihre Staatsbürger wieder einreisen zu lassen. Die EU sieht in den nicht erfolgten Abschiebungen einen großen Anreiz für Asylssuchende, ihr Glück in Europa zu suchen. "Illegale Migranten wissen sehr genau, dass das schlecht funktionierende Rückkehrsystem, ihnen vielen Chancen bietet", stellte die EU-Kommission im Mai 2015 fest.

Versorgung von Asylbewerbern

Für die Unterbringung und Verpflegung gelten in der EU einheitliche Regeln, die aber offensichtlich nicht überall eingehalten werden. Wilde Lager wie auf Kos oder in Calais dürfte es eigentlich nicht geben. Die Gewährung von Sachleistungen oder Taschengeld ist nicht geregelt, sondern steht im Benehmen der Mitgliedsstaaten. Die EU-Staaten erhalten aus Brüssel auf Antrag Gelder, um die Unterbringung der Asylbewerber in Notlagen finanzieren.

Ungarn errichtet Zaun an der Grenze zu Serbien
Umstrittener Zaun: Ungarn schützt seine EU- AußengrenzeBild: Getty Images/A. Kurucz

Sicherung der Außengrenzen

Innerhalb der EU herrscht weitgehende Reisefreiheit ohne Personenkontrollen. Für die Sicherung der Außengrenzen sind die Mitgliedsstaaten zuständig. Sie werden dabei von der europäischen Grenzschutzagentur (Frontex) und einer Reihe von elektronischen Datenbanken zur Ein- und Ausreise, Visa-Vergabe und Asylbewerbern unterstützt. Im Zweifelsfall sind die EU-Staaten aber berechtigt und verpflichtet, ihre Außengrenzen zum Bespiel mit Zäunen oder Grenzschutzanlagen zu schützen, wie das in Spanien, Griechenland, Bulgarien und neuerdings in Ungarn der Fall ist.

In extremen Ausnahmefällen könnten die Staaten ihre Grenzen auch gegenüber anderen EU-Staaten zeitweise schließen. Dies müsste aber auf europäischer Ebene beschlossen weden. Zusätzliche Grenzkontrollen an den Binnengrenzen sind befristet möglich, müssen der EU-Kommission in Brüssel aber angezeigt werden.