1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Kriminalität

Europas Schwarzmarkt für Klimagase

Tim Schauenberg
14. Oktober 2019

Illegale Importe von Kühlmitteln fluten den europäischen Markt und verursachen große Klimaschäden. Verkauft werden diese sogenannten "F-Gase" auch über soziale Netzwerke.

https://p.dw.com/p/3Qj8Y
Polen Illegale Nutzung Fluorkohlenwasserstoffe
Bild: PROZON

"Sie machen mehr Geld, als wenn sie Drogen verkaufen würden", sagt Alessandro Borri, Vertriebsdirektor des italienischen Konzerns General Gas, der sich auf den Vertrieb von Kältemitteln spezialisiert hat. "Sie", das sind Importeure sogenannter Fluorkohlenwasserstoffe, die illegal vertrieben werden (FKW bzw. HFC im englischen Sprachgebrauch). FKW sind Gase, die für fast jede Autoklimaanlage, jeden Kühlschrank und jede Wärmepumpe benötigt werden.

"Ein aus China importierter Zylinder kostet inklusive Transport 70 US-Dollar", sagt Borri. "Sie werden in Containern importiert; ein Container kann bis zu 900 Flaschen aufnehmen. Dann werden sie über Facebook oder Ebay verkauft. Aber auch von Leuten mit einem Transportwagen; die fahren dann einfach von Werkstatt zu Werkstatt und verkaufen einen nach dem anderen", so Borri.

Ein Zylinder kostet auf Ebay oder einer lokalen Plattform zwischen 180 und 250 Euro - da kann der legale Markt nicht mehr mithalten. 

Während sich die EU zunehmend um die CO2 Emissionen der Mitgliedsländer sorgt, sind die illegalen Importe in die EU und ein blühender Schwarzmarkt für einen enormen Klimaschaden in bisher unbekanntem Ausmaß verantwortlich, wie aus dem Bericht "Doors wide open" der britischen NGO Environmental Investigation Agency (EIA) hervorgeht.

FKW sind künstlich hergestellte hochpotente Treibhausgase, die Jahrzehnte in der Atmosphäre bleiben. Die meistgebräuchlichen FKW sind zwischen 675 und 3922 Mal klimaschädlicher als CO2. Andere fluorierte Gase, die etwa als Treibmittel in Schäumen oder Dämmmaterial verwendet werden, wirken sogar bis zu 24.000 Mal stärker auf die Erderwärmung ein als Kohlenstoffdioxid.

 

Nahrungsmittel in einem offenen Kühlschrank
FKW werden in den meisten Kühlschränken und Klimaanlagen der jüngeren Generationen verwendetBild: DW/E. Ibragimowa

Aufgrund ihres hohen Treibhauseffekts schreibt die EU ihren Mitgliedsländern seit 2015 in der F-Gas-Verordnung vor, diese Gase Schritt für Schritt vom Markt zu nehmen. Bis 2030 sollen rund 80 Prozent weniger FKW in der EU verwendet werden. Bis dahin scheint es aber noch ein weiter Weg zu sein.

Nach Angaben der EIA sind im vergangenen Jahr FKW äquivalent zu 117 Millionen Tonnen CO2 auf dem europäischen Markt gelandet. Die europäische Quote erlaubte 2018 Jahr aber nur 101 Millionen Tonnen.

Emissionen in der Größenordnung von vier Kohlekraftwerken 

Demnach kamen 2018 FKW äquivalent zu 16 Millionen Tonnen CO2 illegal auf den europäischen Markt. Das entspricht etwa den Emissionen von vier Kohlekraftwerken oder denen von vier Millionen Autos. Abweichungen bei den Daten von Im- und Exporten weisen laut des EIA-Berichts auf China als Ursprungsland der Lieferungen hin. China ist der größte Produzent für FKW weltweit und auch der größte Exporteur in die EU.

"Es gibt eine große Diskrepanz zwischen dem, was tatsächlich nach Europa kommt und dem, was die Unternehmen an Importen berichten. Außerdem gibt es Unterschiede zwischen chinesischen Export-Zahlen in die EU und EU-Importen aus China", sagt EIA-Klima-Aktivistin Sophie Geoghegan. 

Großabnehmer für FKW in Europa ist unter anderem die Autoindustrie. Allein in Deutschland, Spanien, Italien, Frankreich und dem Vereinigten Königreich wurden im vergangenen Jahr rund acht Millionen Autos hergestellt. Bis auf die neusten Modelle, die bereits weniger klimaschädliche Gase nutzen müssen, werden Klimaanlagen in der Regel mit jenen hochpotenten FKW betrieben, die die EU Schritt für Schritt aus dem Verkehr ziehen will. 

Infografik Illegale Importwege von FKW Gas DE

Wie kommt das Gas nach Europa?

Häufig werden die Gase von Schmugglern in Wegwerfzylindern in Autos oder Lastern am Zoll vorbei über den Landweg aus Russland und der Ukraine nach Polen oder über die Türkei nach Griechenland, Kroatien und Italien geschmuggelt und von dort in der EU verteilt, heißt es im Bericht. Neben der Einfuhr kleinerer Mengen ist der Schmuggel in ISO-Tanks für den Großteil der illegalen Importe verantwortlich. Auch in Hamburg wurden dieses Jahr bereits zwei Lieferungen mit Zylindern aus der Volksrepublik China beschlagnahmt, teilte die Behörde für Umwelt und Energie in Hamburg auf Anfrage der DW mit.

Mitte 2018 wurde durch die Einführung der Quote europaweit das Angebot knapp. Der Markt verlangte FKW, gesetzlich durften aber weniger verkauft werden. Durch Angebot und Nachfrage stiegen die Preise für Kühlgase auf dem offiziellen Markt deshalb rasant auf bis zu 800% des gewöhnlichen Preises. Ein von der EU gewollter Effekt, um den Markt zu zwingen, die Gase durch "klimafreundliche Alternativen zu ersetzen", sagte ein Sprecher der EU-Kommission der DW.

Eine andere - womöglich ungewollte - Folge: Mit billigen, weil illegal eingeführten Produkten, ließ sich plötzlich viel Geld verdienen.

Infografik FKW Importe DE

"Als die Gasflaschen plötzlich 700 Euro kosteten, haben auch wir mal die billigen Zylinder bei Ebay gekauft," gibt man bei einem kleinen Fachgeschäft für Kühlanlagen in Westdeutschland zu. Mit nur wenigen Mitarbeitern sei man abhängig vom Preis der Kühlmittel, sagt der Chef des Fachgeschäfts, der nicht mit Namen genannt werden möchte. "Die Profite, die wir machen, hängen auch am Preis der Kühlgase, klar." Noch heute bekomme das Unternehmen regelmäßig E-Mails aus Deutschland und dem Ausland mit Angeboten für FKW.

Screenshot subito.it Angebot für Kältemittelöl Zylinder
Auf einer italienischen Plattform wird ein Zylinder für Autoklimaanlagen angeboten Bild: subito.it

Schlupflöcher im Gesetz und bei der Umsetzung

Den Hauptgrund für illegale Importe sieht Krzysztof Grzegorczyk von der polnischen Klimaschutz-Stiftung Prozon darin, dass es "ernsthafte Lücken im System" gebe. "Der Zoll muss bis Ende des Jahres warten, bis alle Unternehmen selbst berichtet haben, wie viel sie importiert haben, und die Daten dann mit den Zolldaten vergleichen. Aber das funktioniert natürlich nicht", ergänzt Geoghegan von der EIA. In der Praxis führten die Unternehmen wesentlich mehr ein, als sie offiziell deklarierten. 

"Wenn du zum Beispiel eine Quote von einem Container hast, kannst du de facto auch zehn Container (Anm.d.Red.: in die EU) einführen. Zehn mal einen Container."

Polnische Zollbeamte trainieren, wie sie illegal importierte F-Gase aufspüren können
Polnische Zollbeamte trainieren, wie sie illegal importierte F-Gase aufspüren könnenBild: PROZON

Um illegale Einfuhren besser zu erkennen, bräuchten "alle Zollbehörden spezielle Trainings, besonders in den Ländern mit EU-Außengrenze", so Geoghegan weiter.

In Polen - ein Hotspot illegaler Importe - hat man bei Prozon genau solche Trainings in Zusammenarbeit mit der Regierung und den Zollbehörden durchgeführt und bereits erste Erfolge erzielt. Erst im September beschlagnahmte der polnische Zoll eine illegale Schiffsladung mit rund 1200 Zylindern FWK-Kühlmittel, Gesamtmenge: 13 Tonnen FKW-Gase. Vor einigen Monaten ging den Beamten sogar eine Lieferung von 26 Tonnen ins Netz.

Polen Illegale Nutzung Fluorkohlenwasserstoffe
Ein kleiner Teil der vom polnischen Zoll im September beschlagnahmten LadungenBild: PROZON

Soweit sind andere EU-Mitgliedsstaaten noch nicht. Einige haben die F-Gas-Verordnung noch gar nicht oder lediglich teilweise umgesetzt und bisher keine oder nur extrem niedrige Strafen für Vergehen mit F-Gasen in ihren Gesetzesbüchern stehen. Erst vor wenigen Monaten hat die EU dann einen Mahnbrief an Italien und Rumänien versandt, weil die Länder immer noch keine Fortschritte bei der Umsetzung der Verordnung mitgeteilt haben.

In Deutschland dagegen sind die Strafen hoch: Für das Verbreiten von F-Gasen in Wegwerfzylindern kann eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe bis zu 50.000 Euro verhängt werden.

Neues Überwachungssystem gegen den illegalen Handel  

Die Produzenten der FKW-Gase selbst wollen den illegalen Markt so schnell wie möglich eindämmen. Ein multinationaler Hersteller, der nicht genannt werden will, sagte der DW, man arbeite bereits mit dem Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung OLAF zusammen und teile die eigenen Informationen über illegale Importe mit OLAF. Die Behörde selbst wollte keine Angaben darüber machen, ob sie überhaupt ermittelt.

Bei der EU-Kommission sei man "besorgt" über die Umsetzung der F-Gas-Verordnung, heißt es in einem Statement gegenüber DW. Die Kommission unternehme "alles, um den illegalen Handel zu bekämpfen."

Konkret will man ab 2020 ein europaweites elektronisches System einführen, "dass eine automatische Überprüfung ermöglicht, um festzustellen, ob ein Akteur registriert ist, und um den Klimabehörden jene Akteure anzuzeigen, die möglicherweise nicht über eine ausreichende Quote verfügen."

Das Bundesumweltamt geht davon aus, dass F-Gase bis 2050 ohne Regulierung rund 8% Prozent der weltweiten klimarelevanten Emissionen ausmachen werden. Sophie Geoghegan bescheinigt der EU dennoch eine Vorreiterrolle. Es gibt niemanden, "der mit Bezug auf Quoten und Verbote so weit ist." Lediglich an der Umsetzung hapert es noch - solang floriert der Schwarzmarkt für Kühlmittel weiter.

Klimaanlagen als Klimaschützer