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Politik

Deutschland will faireren Handel

25. Juni 2020

Gegen Kinderarbeit, sexuelle Versklavung und für faire Löhne: Deutschland will während der EU-Ratspräsidentschaft auch entwicklungspolitische Akzente setzen. Klappt das?

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Pakistan | Kinderarbeit
Bild: imago images/Zakir Hossain Chowdhury

Die Ziele des Entwicklungsministers klingen vollmundig. Gerd Müller (CSU) will "den Kampf gegen Kinderarbeit und sexuelle Ausbeutung zum Schwerpunkt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft" machen. Die beginnt Anfang Juli. Deutschland hat dann in der EU ziemlich viel zu sagen und will eigene - auch entwicklungspolitische - Akzente setzen.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gibt die Linie vor. In einer Regierungserklärung Mitte Juni hatte sie im Bundestag klar gemacht, welche Themen sie während der kommenden sechs Monate EU-Ratspräsidentschaft priorisieren will: Klimaschutz, Digitalisierung, globale Verantwortung.

Deutschland | Bundeskanzlerin Angela Merkel hält eine Rede vor dem Bundestag in Berlin
Bild: Reuters/A. Hilse

Das alles ist natürlich dem wichtigsten Thema untergeordnet: der Bekämpfung der Corona-Pandemie und dessen Folgen. Das wichtigste außenpolitische Thema werde - neben China - Afrika sein "als Kontinent der Zukunft", wie Merkel sagte. Den Minister für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Gerd Müller, hat das gefreut. Im Plenum nickte er zustimmend: Globale Verantwortung und Afrika - das sind "seine" Themen.

Ratspräsidentschaft: Afrika und globale Verantwortung gehören dazu

Auch der Bundesverband entwicklungspolitischer und humanitärer Nichtregierungsorganisationen (VENRO) ist im Prinzip zufrieden mit den entwicklungspolitischen Plänen für die EU-Präsidentschaft. VENRO hat fast 140 Mitgliedsverbände; von der AWO bis zur Welthungerhilfe.

Der DW sagte der Vereinsvorsitzende Bernd Bornhorst: "Die Schwerpunkte der Kanzlerin sind deutlich geworden: Klimawandel, Digitalisierung, mehr globale Verantwortung, Afrika. Das sind alles entwicklungspolitisch relevante Bezüge."

Pressekonferenz zur Wasserstoffstrategie Müller
Will faire Löhne und ein Ende der Kinderarbeit: Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU), hier am 10. Juni in BerlinBild: picture-alliance/dpa/J. Macdougall

Die COVID-19-Pandemie dominiere die Präsidentschaft, sagte Entwicklungsminister Gerd Müller kürzlich nach einem Treffen der EU-Entwicklungsminister. "In der Prioritätenliste ist es das Thema Nummer eins", zitiert ihn die Nachrichtenagentur KNA. Menschen verhungerten, andere Krankheiten würden unzureichend bekämpft und Unsummen an Kapital abgezogen. "Afrika, aber auch Lateinamerika werden um Jahre, vielleicht Jahrzehnte zurückgeworfen".

Nach Schätzungen könnten durch die Pandemie weitere 40 Millionen Kinder dieses Jahr in extreme Armut geraten. Nach Müllers Angaben wachsen derzeit rund 400 Millionen Kinder weltweit in extremer Armut auf. UNICEF und die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) zählen 152 Millionen Mädchen und Jungen, die Kinderarbeit leisten.

Den Kindern eine Chance!

Im Entwurf des EU-Papiers zur deutschen und den dann folgenden zwei Ratspräsidentschaften heißt es, man werde sich zur Agenda 2030 der Vereinten Nationen und nachhaltigen Entwicklungszielen gegen Hunger, Armut oder Kindersterblichkeit bekennen. Herausgehoben wird der internationale Handel, der fair und nachhaltig sein soll.

Kinderarbeit statt Schule

"Jeden Tag werden 250.000 Kinder geboren. Sie alle haben Anspruch auf ein Leben in Würde", erklärte Müller kürzlich in einer Pressemitteilung. Und deshalb sei es so wichtig, dass endlich ein Lieferkettengesetz komme. "Alle großen Unternehmen wären dann verpflichtet, dort wo unsere Schuhe, Kleidung, Kaffee produziert werden, faire Löhne zu bezahlen und Kinderarbeit zu beenden." 150.000 Kinder in Indien arbeiteten in Steinbrüchen. 25 Cent Stundenlohn für Näherinnen in Bangladesch, das alles sei unzumutbar, so der Minister.

Arbeitsministers Hubertus Heil (SPD) und Entwicklungsminister Gerd Müller haben dazu für Deutschland gemeinsam einen Gesetzentwurf erarbeitet. Aber der wurde erst einmal auf Eis gelegt. In der Corona-Krise könne man kein Gesetz verabschieden, das Mehrkosten für die Wirtschaft verursache, hieß es aus dem mächtigen Wirtschaftsministerium und von Lobbyverbänden. Dabei würde - einer Studie der EU-Kommission zufolge - ein Lieferkettengesetz die großen Unternehmen nur 0,005 Prozent ihrer Umsätze kosten.

Lieferkettengesetz für Deutschland und ganz Europa

Schon Ende April hatte auch EU-Justizkommissar Didier Reynders für 2021 einen Gesetzentwurf für ein europäisches Lieferkettengesetz angekündigt. Das solle die Unternehmen zur Achtung von Menschenrechten und Umweltstandards in ihren Wertschöpfungsketten verpflichten. Wichtig dabei: Betroffene können diese Standards einklagen; die Unternehmen bei Nichtbeachtung der Vorschriften bestraft werden.

Müller und Heil - der Christsoziale und der Sozialdemokrat - lassen nicht locker. Sie wollen im Herbst noch einmal ihren Gesetzesvorstoß für ein Lieferkettengesetz in den Bundestag einbringen und anschließend auf der Europa-Ebene; als ein wichtiges Projekt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Zunächst ein nationales und dann ein europäisches Lieferkettengesetz - das ist das Ziel. Deutschland will bei dem Thema eine Vorreiterrolle spielen.

"Ich glaube, die Chance, dass wir so ein Gesetz bekommen, war noch nie so groß wie heute", sagt NGO-Vertreter Bornhorst. "Der Druck - auch zivilgesellschaftlich - steigt." Das zeigten auch die knapp 200.000 Unterschriften (Stand 24. Juni) bei einer Petition der 2019 gegründeten Initiative Lieferkettengesetz, einem Bündnis aus Menschenrechts-, Umwelt- und Entwicklungsorganisationen, Kirchen und Gewerkschaften. "Das Lieferkettengesetz ist im Koalitionsvertrag vereinbart für diese Legislaturperiode", so Bornhorst. Und die endet im Herbst 2021. Außerdem: Frankreich habe es schon vorgemacht. Dort gibt es seit 2017 bereits ein Lieferkettengesetz. Da könne die deutsche Regierung doch nun "glaubwürdig und mit gutem Beispiel vorangehen".

Bernd Bornhorst
VENRO-Chef Bernd Bornhorst will Taten sehen und nicht nur schöne WorteBild: VENRO/Anastasia Esau

Müller will zudem im EU-Finanzplan für die kommenden sieben Jahre die Mittel für Afrika von 42 auf 80 Milliarden Euro erhöhen."Wir können nicht mit Almosen reagieren", so der Minister. Doch für seine Forderungen findet er unter den EU-Entwicklungsministern nicht viele Mitstreiter.

Bernd Bornhorst hält die entwicklungspolitischen Ziele der deutschen EU-Ratspräsidentschaft in Gänze für durchaus ambitioniert. Es komme nun darauf an, was umgesetzt werde. Man wolle "das an den Taten messen, nicht an den Worten".

Volker Witting
Volker Witting Politischer Korrespondent für DW-TV und Online