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Politik

EU-Parlament: Polen am Pranger

15. November 2017

Das EU-Parlament sieht den Rechtsstaat in Polen in Gefahr. Mit großer Mehrheit fordern die Parlamentarier ein hartes Vorgehen gegen die nationalkonservative Regierung in Warschau. Wird das Konsequenzen haben?

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Straßburg Europaparlament - Plenarsaal
Bild: picture-alliance/Wiktor Dabkowski

Die Abstimmung über den Entschließungsantrag, der die polnische Regierung verurteilt, war eindeutig: 432 Ja-Stimmen, 152 Nein-Stimmen. Zuvor ging es in der Debatte hoch her im Hohen Haus in Straßburg, wie immer wenn es um Polen und die Politik der nationalkonservativen Regierung in Warschau geht: "Zerstört die EU!", "Dieses Parlament wird untergehen, Polen wird noch Tausende Jahre existieren!" "Sie sind verrückt geworden!" "Die polnische Regierung hat ihren Verstand verloren!" "Feigling!" Das sind nur einige der harschen Argumente, die die hauptsächlich polnischen Abgeordneten sich gegenseitig im großen Plenarsaal des Europäischen Parlaments an den Kopf warfen. Der polnische Europa-Abgeordnete Kosma Zlowtowski sagte der DW, die Vorwürfe in der Parlaments-Resolution seien frei erfunden. Die Mehrheit liege völlig falsch. "Die EU-Komission lügt."

Frans Timmermans: Regeln müssen gelten

Zum dritten Mal innerhalb von 15 Monaten war eine Debatte über die Verletzung der rechtsstaatlichen Grundordnung in Polen angesetzt, die die EU-Kommission der nationalkonservativen PiS-Regierung in Warschau vorwirft. Der Kommissions-Vizepräsident Frans Timmermans beklagte, dass die Regierung seit Monaten jeden Dialog verweigere. "Keine Einladung wurde angenommen." Die Gesetze zur Justizreform seien nach wie vor nicht annehmbar. Das sähen nicht nur die EU, sondern auch der Europarat und die Vereinten Nationen so. Polen droht ein Verfahren nach Artikel 7 der Lissabonner Verträge, das zum Entzug der Stimmrechte und finanziellen Strafen führen könnte. Timmermans kündigte an, die EU-Kommission werde demnächst einen Bericht vorlegen, um weitere Schritte zu empfehlen. "Wer mitspielen will, muss sich an die Regeln halten", sagte Timmermans. Das sei im Fußball wie in der Politik so. Die parlamentarische Mehrheit gebe einer Regierung nicht das Recht, den Rechtsstaat zu untergraben. Polen sei in Gefahr, in "schrecklichen Nationalismus" abzugleiten.

Belgien Brüssel Frans Timmermans
Frans Timmermans: Polen rutscht abBild: Getty Images/AFP/T. Charlier

Polnischer Abgeordneter Legutko: Kreuzzug gegen Polen

Der polnische Europaabgeordnete Ryszard Antoni Legutko, der der Regierungspartei PiS angehört, warf EU-Kommissar Timmermans vor, er wolle keinen Dialog, sondern nur arrogant seine "Macht demonstrieren". "Das ist rohe Gewalt von der Kommission und von diesem Parlament!", rief Legutko aus. Es handele sich um eine "anti-polnische Kampagne", einen "Kreuzzug gegen Polen". Das Vorgehen der EU-Kommission sei illegal, wetterte Legutko. Er lehne die kolonialistische Attitüde ab, die besonders deutsche Politiker wie Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen an den Tag legten: "Polen wird das aushalten, aber das alles schadet der EU."

Streiter für die Demokratie in Polen

Vizepräsident Frans Timmermans hörte sich die Anwürfe des polnischen Abgeordneten lächelnd und mit zunehmender Heiterkeit an, was Legutko erst recht auf die Palme brachte: "Sie können mich so lange anlächeln, wie sie wollen. Das ist keine Antwort!" Dann verließ der Abgeordnete wutentbrannt den Saal, ohne die Debatte weiter zu verfolgen. Kollegen warfen ihm daraufhin, "feiges Verhalten" vor. Andere unterstützten ihn. Der polnische Abgeordnete Robert Iwaszkiewicz (PiS) nannte die Vorwürfe gegen Polen einen "europäischen Witz". Niemand habe das Recht, das souveräne Polen zu kritisieren, sagte Iwaszkiewicz, der eine kleine polnische Standarte auf seinem Abgeordnetenpult aufgestellt hatte.

Lewandowski: Polens Regierung mißbraucht Macht

Ein anderer polnischer Abgeordneter, Janusz Lewandoski, ging mit der Regierung in Warschau dagegen hart ins Gericht: "Die polnische Regierung missbraucht ihre Macht. Sie fördert Fremdenhass. Sie überlässt Neofaschisten die Straße. Medien werden gleichgeschaltet." Lewandowski, der der oppositionellen "Bürgerplattform" angehört, bezog sich auf den Marsch von Neonazis in Warschau anlässlich des Unabhängigkeitstages am 11. November. Wenn das so weitergehe, sagte Lewandowski, schließe sich Polen selbst aus der Gemeinschaft aus: "Das ist nicht in polnischem Interesse. Der polnische Fluch ist zurück."

Der Chef der liberalen Fraktion im Europäischen Parlament, Guy Verhofstadt, fasste die Empörung seiner Partei über die Vorgänge in Polen so zusammen: "Die polnische Regierung hat den Verstand verloren." Es gehe nur darum, die seltsamen Vorstellungen des PiS-Vorsitzenden Jaroslaw Kaczyinski in die Tat umzusetzen und die liberale Demokratie abzuschaffen. Es gehe nicht darum, Polen Lehren zu erteilen.

Rechtsradikale in Warschau beim Marsch zum Unabhängigkeitstag in Polen
Neonazis am 11. November in WarschauBild: Imago/newspix

"Polen hat zwei Diktaturen aus eigener Kraft abgeschüttelt. Es war das Herz der Demokratie in Osteuropa", sagte Verhofstadt: "Wir rechnen nicht mit Polen ab, sondern mit der Regierung, die seit zwei Jahren im Amt ist." Die Regierung lasse es zu, dass Neonazis durch Warschau marschierten, nur 300 Kilometer von Auschwitz entfernt: "Ich hätte nicht gedacht, das das möglich ist." Als Konsequenz forderte Verhofstadt, die Anwendung des Artikels 7 der EU-Verträge, also eine Suspendierung der Mitgliedschaft Polens in der EU.

Britischer Abgeordneter Coburn: Polen sollte austreten

Der britische Abgeordnete David Coburn forderte Polen auf, dem britischen Beispiel zu folgen und ebenfalls aus der Union auszutreten. Die extremen EU-Gegner im Parlament aus Frankreich und Schweden applaudierten. Der polnische Abgeordnete Janusz Korwin-Mikke setzte der Debatte mit der Forderung, die EU sollte zerstört werden, die Krone auf. Er erntete Zwischenrufe wie: "Niemand hat Polen gezwungen, der EU beizutreten!" "Dann geht doch!" "Ist die EU für Sie nur eine Milchkuh, aus der man Bargeld melken kann?"

Polen ist einer der größten Empfänger von Beihilfen und Fördermitteln aus dem EU-Haushalt. Die EU-Finanzminister hatten beschlossen, dass Polen diese Fördermittel nur weiter bekommen kann, wenn es ein Rechtsstaat bleibt. Diese Drohung hat bislang nicht gefruchtet.

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union