EU-kritische Parteien: Nation statt Union
15. Januar 2019Deutschland - AfD
Die AfD gibt der EU eine Gnadenfrist. Die EU muss in den Augen der Partei einen großen Teil ihrer Kompetenzen an die Nationalstaaten zurückgeben. Wenn das nicht passiert, verlangt die AfD in ihrem Programm zur Europawahl drastische Konsequenzen. Dann "halten wir einen Austritt Deutschlands oder eine geordnete Auflösung der Europäischen Union und die Gründung einer neuen europäischen Wirtschafts- und Interessengemeinschaft als letzte Option für notwendig". Die AfD hält das Europaparlament genauso wie den Euro für überflüssig. Deutschland solle zur D-Mark zurückkehren. Streit hat es vor allem darüber gegeben, wie schnell sich die EU reformieren soll. Im Leitantrag war noch von einer (europäischen) Legislaturperiode von fünf Jahren die Rede gewesen. Jetzt heißt es schwammig: "in angemessener Zeit".
Großbritannien - UKIP
Die Partei für die Unabhängigkeit des Vereinigten Königreichs sieht ihre wichtigste Mission so gut wie erfüllt: den Austritt Großbritanniens aus der EU. Das ist auch der Grund, warum die UKIP seit dem Brexit-Referendum schwächelt: Warum soll man noch UKIP wählen, wenn die beiden großen Parteien im Land, die Konservativen und Labour, auch den Austritt wollen? Allerdings befürchtet die UKIP, der Brexit werde entweder zu "weich" ausfallen oder am Ende sogar ganz ausfallen. In dem Fall würde die Partei wohl wieder Fahrt aufnehmen. Die UKIP ist in jedenfalls Vorbild und Maßstab in ganz Europa für alle, die raus wollen aus der EU, und genießt so etwas wie Heldenstatus.
Frankreich - Nationale Sammlungsbewegung, früher Front National
Der europafreundliche Emmanuel Macron hatte seine zutiefst EU-kritische Rivalin Marine Le Pen in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl klar geschlagen. Doch seit der "Gelbwesten"-Proteste gegen Macrons Politik verspürt Le Pen wieder Oberwasser. Aus der Wahl gegen Macron hat sie gelernt. Ihre damalige Forderung, aus dem Euro auszusteigen, hat sie damals offenbar viele Stimmen gekostet. Ihre Position dazu hat sie seitdem gemäßigt. Sie will auch keine völlige Abschaffung der EU. Stattdessen soll es ein "Europa der Nationen" werden. Wichtig ist der Partei in jedem Fall die Kontrolle seiner Staatsgrenzen, um illegale Einwanderung zu verhindern. Das Schengen-Abkommen in seiner jetzigen Form lehnt sie daher ab.
Österreich - FPÖ
Die Freiheitliche Partei Österreichs war bis in die 70er Jahre eine treibende Kraft für den Beitritt Österreichs zu den Vorläuferorganisationen der EU. Doch spätestens seit dem Vorsitz von Jörg Haider in den Achtzigern ist sie EU-skeptisch bis -feindlich. Schon aus Rücksicht auf den Senior-Koalitionspartner ÖVP unter Kanzler Sebastian Kurz tritt die FPÖ aber gemäßigter auf. Kurz hatte schon im Wahlkampf als Bedingung für eine gemeinsame Regierung verlangt, dass die FPÖ alles Reden über einen EU-Austritt Österreichs unterlässt. Seitdem fordert die FPÖ nur noch EU-Reformen und tritt für mehr Rechte für die Nationen ein. Das tut allerdings auch Kurz, nur abgeschwächter. Vor allem in der Einwanderungsfrage liegen beide Parteien so nah beieinander, dass die Unterschiede kaum wahrgenommen werden.
Niederlande - PVV
Die Einwanderung und der Islam sind die großen Themen der Partei für die Freiheit. Europapolitisch tritt sie mit weniger Verve auf. Hier gehören ihre Positionen zum "Mainstream" rechtspopulistischer Parteien in Europa: Der Einfluss der EU soll allgemein verringert und die Nationalstaaten aufgewertet werden. Ähnlich wie die AfD würde die PVV das Europaparlament abschaffen, die Kommission allerdings ebenfalls. Die europäische Zusammenarbeit soll einzig über die Mitgliedsstaaten laufen. Ein Austritt aus dem Euro wird nicht explizit gefordert. Die PVV will eine Volksabstimmung zur Frage, ob die Niederlande Mitglied der EU bleiben oder austreten sollen.
Polen - PiS
Ein großer Unterschied zwischen der PiS und westeuropäischen Rechtsparteien ist, dass die PiS (Partei Recht und Gerechtigkeit) in Polen die einzige Regierungspartei ist, nicht nur Juniorpartner wie in Österreich oder Oppositionspartei wie in vielen anderen Ländern. Zur EU hat die PiS ein zweispältiges Verhältnis. Die EU ist ihr zu weltlich-liberal, zu globalisierungs- und flüchtlingsfreundlich. Andererseits weiß man bei der PiS, dass die Wohlstandsgewinne Polens sehr stark von der EU-Mitgliedschaft und den Brüsseler Zahlungen abhängen. Außerdem braucht Polen die EU-Partner, um Russland einzudämmen. Mehr sicherheitspolitische Zusammenarbeit in der EU ist in Warschau erwünscht. Folglich ist bei der PiS von einem polnischen EU-Austritt keine Rede. Man verbittet sich allerdings Einmischungen in innere Angelegenheiten, sei es bei der Flüchtlingsverteilung oder dem Abbau des Rechtsstaates.
Ungarn - Fidesz
Vieles, was für Polen gilt, gilt auch für Ungarn: Fidesz regiert allein, so wie die PiS in Polen - muss also auf keinen Partner Rücksicht nehmen. Sie lehnt eine europäische Flüchtlingsverteilung ebenso strikt ab. Ministerpräsident Viktor Orban versucht genau wie die PiS, sich den Rechtsstaat gefügig zu machen. Den Einsprüchen der Europäischen Kommission kommt er nur so weit entgegen, wie es unbedingt nötig ist, um die EU-Finanzspritzen aufrechtzuerhalten. Denn auch er will aus wirtschaftlichen Gründen, dass sein Land unbedingt in der EU bleibt. Einen großen Unterschied gibt es allerdings: Während die PiS in der EU - und der NATO - eine Sicherheitsgarantie gegen Russland sieht und auf möglichst scharfe Sanktionen drängt, ist Orban ein Bewunderer des russischen Präsidenten Wladimir Putin und pflegt enge Kontakte zu ihm.
Italien - Lega
Die Lega ist ein besonderer Fall. Sie hieß früher Lega Nord und war ursprünglich eine Regionalpartei des wohlhabenderen italienischen Nordens. Lange wollte sie seine Abspaltung vom italienischen Gesamtstaat. In dieser Tradition war die Lega früher auch eine europafreundliche Partei, die in der EU einen Rahmen für starke europäische Regionen sah. Heute heißt sie einfach Lega, hat ihren Einfluss auf ganz Italien ausgeweitet und ist als Juniorpartner Teil einer populistischen Regierung. Ihr Chef, Innenminister Matteo Salvini, lässt inzwischen kaum eine Gelegenheit aus, gegen die angeblichen Einmischungen der Kommission zu wettern, zum Beispiel in der Haushaltspolitik. Salvini verlangte früher sogar die Abschaffung des Euro. Darüber ist er längst kleinlaut geworden. Ironischerweise hat sich der scharfe EU-Kritiker Salvini sogar als Präsident der Kommission ins Gespräch gebracht, dann nämlich, wenn ein Bündnis der Rechtsparteien nach der Wahl zum Europaparlament zweitgrößte oder gar größte Fraktion würde. "Freunde in mehreren europäischen Ländern bitten mich darum", so Salvini süffisant im November in einem Zeitungsinterview, "schauen wir mal. Ich denke darüber nach".