1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

EU-Importverbot schockt ukrainische Bauern

7. Mai 2023

Das durch die EU-Nachbarstaaten verhängte Importverbot für ukrainisches Getreide trifft die Bauern des kriegsgeplagten Landes. Der EU-Beitrittskandidat fürchtet um seine Agrarexporte.

https://p.dw.com/p/4Qy3A
 Ein Fahrzeug lädt Mais auf dem Bauernhof Roksana-K in Winnyzja ab
Es ist eine Frage des Preises, an dem sich der Streit entzündet hatBild: dpa/Ukrinform/picture alliance

Als er im Dezember letzten Jahres über Bekanntschaften einen Getreidehändler aus Polen als Partner gewann, sah der ukrainische Bauer Mykola Olytskyj Licht am Ende des Tunnels. Er leitet einen Agrarbetrieb in Nowolabun in der westukrainischen Region Hmelnytskyj. Hier wird Weizen, Mais und Gerste angebaut. Der neue Absatzmarkt sollte seinem Unternehmen wieder finanzielle Sicherheit geben.

"Die Lieferungen nach Polen waren die einzige Chance, zumindest mit minimalem Gewinn zu arbeiten. Der polnische Partner holte das Getreide an der Grenze ab. Wir bekamen 6700 Hrywnja (167 Euro) für die Tonne", erzählte Olytskyj der DW.

An Brüssel vorbei

Das mit Russland letztes Jahr unter Vermittlung der Türkei unterzeichnete Abkommen über einen "Getreidekorridor" im Schwarzen Meer wurde bisher nicht konsequent umgesetzt, Exporte über die traditionelle Meeresroute kommen immer wieder ins Stocken. Ein Preisverfall und starke Schwankungen auf dem ukrainischem Markt sind die Folge.

Umfangreiche Getreidelieferungen aus der Ukraine in die Europäische Union wurden erst nach dem Überfall Russlands auf den EU-Beitrittskandidaten möglich. Vor gut einem Jahr schaffte Brüssel Zölle und Einfuhrquoten für ukrainische Agrarprodukte ab - als Zeichen der Solidarität und zur Unterstützung der ukrainischen Wirtschaft.

Eine Reihe Traktoren auf einer Brücke
Protest gegen fallende Getreidepreise: Polnische Landwirte blockieren im April mit ihren Traktoren eine Straße in StettinBild: Marcin Bielecki/PAP/picture alliance

Doch im Frühjahr 2023 verhängten Polen, Ungarn, die Slowakei und Bulgarien nach Protesten von Bauern gegen fallende Preise einseitig Einfuhrverbote für ukrainisches Getreide, obwohl Handelspolitik eigentlich in die Zuständigkeit Brüssels fällt. Ende April legalisierte die EU-Kommission diese Maßnahmen nachträglich. Nun gelten sie zusätzlich auch für Rumänien. Die EU-Kommission betont gleichzeitig, dass trotz Importverbot der Transit von ukrainischem Getreide in Drittstaaten erlaubt bleibt. Die Beschränkungen gelten zunächst bis zum 5. Juni, danach können sie auf unbestimmte Zeit verlängert werden.

"Nun schreiben wir rote Zahlen"

"Die Polen hatten umgerechnet 300 Hrywnja (7,50 Euro) pro Tonne mehr gezahlt als ukrainische Händler, die das Getreide zum weiteren Export nach Odessa brachten. Außerdem zahlten sie in Fremdwährung, was unter heutigen Umständen klar von Vorteil ist. Die Exporte nach Polen waren für uns eine zuverlässige Einkommensquelle", so Olytskyj.

Der Importstopp war für die ukrainischen Bauern ein Schock. Der Agrarunternehmer aus Nowolabun in der Westukraine macht aus seiner Enttäuschung keinen Hehl: "Wir sind sehr dankbar für die große Unterstützung, die Polen uns in diesen schwierigen Zeiten des Krieges zukommen lässt. Doch bei dieser Maßnahme haben wir das Gefühl, dass man uns in den Rücken fällt."

Gewinne kann Mykola Olytskyj vorerst wieder vergessen. "Die Verträge mit den Partnern in Polen, auf die wir lange hingearbeitet haben, sind nun passé", so der Ukrainer. Jetzt ist er wieder den Zwischenhändlern ausgeliefert, die sein Getreide für deutlich weniger Geld zum Export nach Odessa weiterverkaufen. Sobald Polen dicht war, senkten die Zwischenhändler in der Ukraine umgehend die Ankaufspreise. Nun bekommt Olytskyj umgerechnet weniger als 150 Euro pro Tonne.

"Ich habe noch viel Getreide auf Lager. Um Platz für die neue Ernte in drei Monaten zu schaffen, muss ich unter den Produktionskosten verkaufen", klagt der Bauer. Er kann sich immerhin glücklich schätzen: ein zinsloses Darlehen von der Regierung in Kiew hält ihn dieses Jahr noch über Wasser. Seit Monaten bekommen ukrainische Bauern Überbrückungskredite nur zu deutlich schlechteren Konditionen.

Dutzende Millionen Tonnen auf Lager

Infolge von EU-Importverboten werden 12 bis 15 Millionen Tonnen Getreide aus der Vorjahresernte in Silos in der Ukraine liegen bleiben, so die Prognose von Pawlo Martyschew von der Kyiv School of Economics ."Das ist ganz schmerzhaft für die ukrainischen Landwirte. Denn ihr Finanzpolster aus dem Jahr 2021 mit seinen guten Preisen wurde im ersten Kriegsjahr aufgebraucht. Nun stehen sie ohne Mittel da", so der Experte im DW-Interview.

Martyschew spricht auch von dramatischen Folgen für die ukrainische Wirtschaft. Das Land verlor infolge des Krieges einen Großteil der Industrie im Osten. "Der Anteil der Agrarexporte stieg von 40 auf mehr als 60 Prozent der Gesamtausfuhren. Also zwei Drittel der Deviseneinnahmen hängen nun von dieser Branche ab. Sogar wenn ein Transit durch die EU-Nachbarländer möglich bleibt, wird die Ukraine zehn bis zwölf Prozent der Agrarexporte einbüßen und damit wichtige Devisen", sagt der Agrarökonom.

Ein Fragment einer Rakete auf einem Getreidefeld in der Ukraine
Viele Felder in der Ukraine sind mit Munitionsresten verseucht: Die Getreideernte könnte gefährlich werdenBild: Sergey Bobok/AFP/Getty Images

Gleichzeitig warnt Martyschew davor, dass Beschränkung für den Transit von ukrainischen Produkten neue Probleme mit sich bringen können. Denn die logistischen Kapazitäten in den Häfen, beispielsweise in Polen, sind begrenzt und betragen lediglich 10 Prozent der Kapazitäten ukrainischer Häfen am Schwarzen Meer. "Die Konkurrenz zwischen polnischen und ukrainischen Bauern um die logistischen Kapazitäten wird deutlich steigen", so der Experte aus Kiew.

"Wir brauchen nachvollziehbare Spielregeln"

Für Denys Martschuk, stellvertretender Vorsitzender des Allgemeinen ukrainischen Bauernverbands VAR (Vseukrainska Agrarna Rada), ist die Unsicherheit in den Geschäftsbeziehungen zu Partnern in Europa aus der Sicht von ukrainischen Bauern sogar noch schlimmer als die aktuellen finanziellen Verluste.

"Unsere Bauern schaffen es unter Kriegsbedingungen Getreide zu produzieren und das zu konkurrenzfähigen Preisen. Um sicher in die Zukunft blicken zu können, müssen sie wissen, was die Spielregeln auf dem europäischen Markt sein werden", betont Martschuk. Er erwartet von der EU-Kommission, dass sie in Zukunft verhindern kann, dass einzelne Länder gemeinsame Spielregeln sabotieren.

Der ukrainische Verbandsfunktionär sieht für die Importverbote eher politische, als wirtschaftliche Motive. "Davon, dass das ukrainische Getreide den polnischen oder den ungarischen Markt überflutet, kann keine Rede sein. Hinter einem Löwenanteil der Einfuhren steckten in Wirklichkeit nur Transitlieferungen in die polnischen Häfen. Auf dem polnischen Markt zu verkaufen macht wenig Sinn, schließlich haben wir es in Polen mit einer Überproduktion zu tun", erklärt Martschuk.

Ein Frachter auf Durchfahrt durch den Bosporus
Dieser Frachter bringt ukrainisches Getreide nach Asien - via IstanbulBild: Chris McGrath/Getty Images

Den Angaben von Eurostat zufolge vervielfachten sich im Jahr 2022 die Einfuhren von ukrainischem Getreide in die EU-Nachbarländer. Doch nicht alle von ihnen reagierten mit drastischen Einfuhrstopps. Rumänien verhängte beispielsweise keine einseitigen Maßnahmen, obwohl der Anteil von importiertem ukrainischem Getreide sieben Prozent am lokalen Markt erreichte - ähnlich wie in Polen. In Rumänien entwickelte sich der Hafen von Constanta zu einem wichtigen Umschlagplatz für den ukrainischen Getreidehandel.

"Russland nutzt Anfälligkeit aus"

Die Verstimmungen mit den EU-Nachbarn schwächen die Ukraine und machen das Land noch anfälliger für Erpressung von seiten Russlands, kritisiert Pawlo Martyschew von der Kyiv School of Economics. Schließlich sei die Ukraine umso mehr auf den mit Russland vereinbarten "Getreidekorridor" im Schwarzen Meer angewiesen.

Gleichzeitig stellt Moskau zur Verlängerung des Abkommens jedes Mal neue politische Forderungen. "Sie spüren die Anfälligkeit der Ukraine in der jetzigen Situation und reden gerade ausschließlich von einer Verlängerung des Abkommens um 60 Tage. Das ist aber keinesfalls legitim, den das Dokument sieht grundsätzlich eine Verlängerungsoption um jeweils 120 Tage vor", so der Experte. 60 Tage nach der letzten Verlängerung verstreichen am 18. Mai. Ukrainische Händler monieren, dass die Unsicherheit zu steigenden Risikoprämien bei der Fracht und zu weniger Kaufverträgen führt.

Martyschew plädiert wie Verbandsvertreter Martschuk dafür, dass die Ukraine und die EU-Partner nun schnellstmöglich nach langfristigen Lösungen bei den Agrarexporten suchen. Schließlich sei die Ukraine EU-Beitrittskandidat und langfristig müsse ein Modus Operandi gefunden werden, in dem die Produkte aus der Ukraine ihren festen Platz auf dem europäischen Binnenmarkt haben.