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PolitikEuropa

Weniger Spenden als gehofft - die EU im Syrien-Dilemma

Barbara Wesel
30. März 2021

Die Vereinten Nationen hofften auf zehn Milliarden Dollar für humanitäre Hilfe in Syrien. Aber nach zehn Jahren Krieg brachte die Geberkonferenz in Brüssel deutlich weniger auf. Die politische Lage bleibt verfahren.

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Syrien Flüchtlinge
Bild: Abdulaziz Ketaz/AFP/Getty Images

Die EU hatte alles getan, um den Geberländern die verzweifelte Lage der Syrer nach zehn Jahren Krieg nahe zu bringen. In der zweitägigen Geberkonferenz mit 50 Ländern und 30 internationalen Organisationen ließ sie keine Zweifel an der dramatischen Situation im Land: Zwölf Millionen Flüchtlinge, über die Hälfte in den Nachbarländern, ein zerstörtes Gesundheitssystem, kaum noch Schulen oder Zugang zu Bildung. Neun von zehn Syrern leben in Armut und rund 13 Millionen von ihnen brauchen humanitäre Nothilfe. Die Vereinten Nationen bezifferten den Bedarf auf zehn Milliarden Dollar - umgerechnet 8,54 Milliarden Euro.

Aber am Ende zeigte sich massive "Gebermüdigkeit". Mit 5,3 Milliarden Euro kam deutlich weniger als gehofft zusammen, wobei 1,7 Milliarden Euro allein vom großzügigsten Spender Deutschland kamen. Über 500 Millionen Euro flossen erneut aus dem EU-Haushalt, aber andere zeigten sich zugeknöpft. Großbritannien etwa hatte seinen ohnehin knappen Beitrag noch einmal um ein Drittel auf umgerechnet 234 Millionen Euro heruntergekürzt.

Weniger Kämpfe, aber kein Frieden

"Es war militärisch relativ ruhig, aber das bedeutet nicht Fortschritt", sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell zum Auftakt über die Lage im Land. Die Verhandlungen in Genf über einen politischen Reformprozess stünden quasi still und man brauche dabei dringend Fortschritt, so der EU-Vertreter. Die Europäische Union und ihre Mitgliedsländer hatten in den vergangenen Jahren zwei Drittel der gesamten Syrienhilfe aufgebracht, seit Beginn des Krieges 2011 waren es fast 30 Milliarden US-Dollar.

Jetzt aber hat die Corona-Pandemie die Lage weiter verschlechtert, die syrische Wirtschaft ist am Boden, die Währung eingebrochen und die Lebensmittelpreise haben sich vervielfacht. All dies führe zu "mehr Hunger, Unterernährung und Krankheit", erklärte Mark Lowcroft, UN-Beauftragter für humanitäre Angelegenheiten. "Dies waren für Syrien zehn Jahre voller Verzweiflung und Desaster".

Nachbarländer werden unruhig

Syrische Flüchtlinge nach Zeltlager im Libanon in Brand gesteckt
Im Libanon kommt es zu Zusammenstößen zwischen Einheimischen und syrischen FlüchtlingenBild: Ahmad Al Said/AA/picture alliance

Und die Nachbarländer machten deutlich, dass ihre Gastfreundschaft inzwischen Grenzen hat. Das galt besonders für den libanesischen Premier Hassan Diab, der daran erinnerte, dass auch 60 Prozent aller Libanesen inzwischen in Armut lebten. Es gebe Spannungen zwischen ihnen und den syrischen Flüchtlingen. Ihr Aufenthalt im Libanon müsse vorübergehend sein und Integration sei nicht das Ziel - es klang wie eine Drohung. 

Seit der katastrophalen Explosion im Hafen von Beirut im vorigen Jahr steht das Land am Abgrund - wirtschaftlich und politisch. Die Regierung ist nicht mehr funktionsfähig, weigert sich aber den Platz zu räumen. Hier bahnt sich das nächste Drama an, denn im Libanon leben 1,5 Millionen syrische Flüchtlinge. Das sind, auf die Zahl der einheimischen Bevölkerung bezogen, mehr als irgendwo sonst. Das politische Erpressungspotential liegt auf der Hand.

Jordaniens Außenminister Ayman Al Safadi blieb zwar gemäßigter im Ton, forderte aber ebenfalls mehr Unterstützung für die rund eine Million syrischen Flüchtlinge in seinem Land. Er wies auch darauf hin, dass nicht nur Soforthilfe gebraucht werde, sondern vor allem Schulen und Ausbildung für die jungen Syrer, die in den nächsten Jahren ihre Heimat wieder aufbauen müssten. 

Die politischen Mitspieler

"Eine dauerhafte politische Lösung auf der Basis des UN-Sicherheitsratsbeschlusses ist der einzige Ausweg" erklärte der türkische Vize-Außenminister Sedat Önal, aber dazu müssten sich alle Beteiligten auf eine Linie einigen. Die Türkei würden den Friedensprozess in Genf und Astana unterstützen, letzterer unter russischer Führung, aber man brauche mehr "Dynamik".

Gleichzeitig bekräftigte er das türkische Interesse im Norden Syriens und stellte "IS-Terroristen" auf eine Stufe mit den kurdischen YPG-Kämpfern. Die Kurden hatten als Partner der USA gekämpft und maßgeblich zum militärischen Sieg über die Terrormiliz "Islamischer Staat" beigetragen. Aber Ankara bleibt ihr unerbittlicher Gegner. 

Syrien Damaskus | Humanitäre Hilfe | Russland
Der russische Verteidigungsminister Sergei Shoigu mit seinem Schützling Baschar al-AssadBild: picture-alliance/dpa/E. Samarin

Knallhart zeigte sich dann Russland als wichtigster Unterstützer des Assad-Regimes: Man dürfe die Hilfe für Syrien nicht politisieren und an Bedingungen knüpfen, mahnte Vize-Außenminister Sergey Vershinin. Da eine Mehrheit der internationalen Staatengemeinschaft jede Unterstützung für das Assad-Regime ablehnt, beklagte er den "fehlenden politischen Willen zu einer Lösung". Er lehne die Diskriminierung der syrischen Regierung und die Sanktionen gegen sie ab, so Vershinin.

Dazu sagte die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen,Linda Thomas-Greenfield, unverblümt Nein:"Die USA werden keine Wiederaufbauhilfe leisten ohne Fortschritt im politischen Prozess". Das heißt, solange Baschar al-Assad sich in Genf einer Übergangsregierung in den Weg stellt, gibt es nur humanitäre Nothilfe - und die Sanktionen gegen das Regime bleiben. "Der 11. Jahrestag des Krieges darf nicht so aussehen wie der 10.", fügte Thomas-Greenfield noch hinzu. Aber dafür müsste Washington die politische Initiative ergreifen.

Zuletzt war der Versuch von US-Außenminister Antony Blinken gescheitert, Russland zur Öffnung weiterer Übergänge für Hilfslieferungen im nördlichen Grenzgebiet zwischen der Türkei und Syrien zu überreden. Derzeit können UN-Mitarbeiter nur noch einen Übergang nutzen, um die Region notdürftig zu versorgen. Dieser Streit wird im Sommer erneut verhandelt.

Wiederaufbau mit oder nur ohne Assad?

Syrien | Trauer und Zerstörung nach Luftangriff | TABLEAU
Das Krankenhaus in Atarib vor einigen Tagen - wer soll die Schuttwüsten in Syrien wieder aufbauen? Bild: Moawia Atrash/ZUMA Wire/imago images

Die Linken-Europaabgeordnete Özlem Demirel forderte im Gespräch mit der DW, die geltenden Sanktionen gegen das Assad-Regime sollten aufgehoben werden.  Die Syrer hätten nichts zu essen, keine Krankenhäuser und keine Perspektiven, es werde Politik auf dem Rücken der Menschen gemacht. Sie verlangte, die EU solle jetzt beim Wiederaufbau des Landes helfen. Auch einige Hilfsorganisationen schließen sich dieser Forderung inzwischen an und wollen eine Abkehr von der Doktrin "Rekonstruktion nur ohne Assad".  

Aber das ist im Europaparlament keine Mehrheitsmeinung - im Gegenteil. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, David McAllister, betonte, man müsse sicherstellen, dass keine Hilfsgelder für den Wiederaufbau abgezweigt würden.  Assad habe keinen Platz am Tisch, "an diesem Prinzip führt kein Weg vorbei".

Auch Deutschlands Außenminister Heiko Maas wiederholte den Grundsatz:"Ohne substantiellen politischen Prozess wird es keinen Wiederaufbau geben". Und dazu gehört nach Ansicht von Berlin und Paris auch, dass Assad sich wegen massiver Menschenrechtsverletzungen vor einem internationalen Tribunal verantworten muss. Solange aber Moskau ihn davor schützt, kann sein Regime sich an der Macht halten und die Verhandlungen in Genf bleiben eingefroren.

Die Europäer erscheinen so nur als Zahlmeister, um die schlimmsten humanitären Folgen in Syrien und den Nachbarländern zu mildern. Politisch öffnet sich ihnen allerdings jetzt die Möglichkeit, den Schulterschluss mit der neuen US-Regierung zu suchen, um der Achse Moskau-Teheran-Damaskus etwas entgegenzusetzen.