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PolitikIsrael

EU-Gipfel: Michel erhebt Vorwurf gegen Israel

17. Oktober 2023

EU-Ratspräsident Charles Michel hält Israels totale Blockade des Gazastreifens für unrechtmäßig. Das sehen nicht alle Gipfelteilnehmer so eindeutig. Bernd Riegert berichtet.

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Belgien, Brüssel | EU Pressekonferenz mit Charles Michel und Ursula von der Leyen
Virtueller Gipfel: EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen (li.), EU-Ratspräsident Charles MichelBild: Johanna Geron/REUTERS

Es war das erste virtuelle Treffen der Staats- oder Regierungschefinnen und -chefs der 27 EU-Staaten seit dem Ende der Corona-Pandemie. Wieder saß jeder Teilnehmer allein im eigenen Büro oder war unterwegs wie Bundeskanzler Olaf Scholz in Israel oder der ungarische Premier Viktor Orban in China. In Brüssel im leeren Saal des In Brüssel, im leeren Saal des Europagebäudes, sprach EU-Ratspräsident Charles Michel virtuell mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die er eilig zusammengetrommelt hatte. Thema des Sondergipfels war der Terrorismus in Brüssel und vor allem Israels Kampf gegen die palästinensische Hamas, die von der EU, den USA und weiteren Staaten als Terrororganisation eingestuft wird.

Michel: Israels Blockade entspricht nicht internationalem Recht

In einer Schweigeminute gedachten die Staats- und Regierungschefs der beiden Schweden, die am Montag von einem Islamisten, der aus Marokko stammen soll, in Brüssel erschossen wurden. Außerdem gedachten sie gleichzeitig der Todesopfer des Terrorangriffs der islamistischen Hamas auf Israel vor zehn Tagen und der Hunderten Opfer unter der Zivilbevölkerung im Gazastreifen. EU-Ratspräsident Michel und die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, betonten noch einmal die inzwischen eingeübte Formel, dass Israel das Recht auf Verteidigung gegen die Hamas und andere Angreifer habe, unter Beachtung von internationalem Recht. "Die totale Blockade des Gazastreifens durch Israel entspricht nicht internationalem Recht", sagte Charles Michel. Ursula von der Leyen wollte dies so nicht formulieren. Sie empfahl stattdessen, ein gemeinsames Statement der EU-Staaten zu lesen. Dort ist Michels Vorwurf so nicht zu finden.

Gazastreifen | Tote und Verletzte nach israelischem Luftangriff in Rafah
Tote werden nach einem Luftangriff der Israelis in Rafah im Gazastreifen geborgenBild: SAID KHATIB/AFP

Im Namen der EU forderte Michel Zugang zu Wasser, Lebensmitteln und medizinischer Versorgung für die 2,1 Millionen Einwohner des Gazastreifens, die sich jetzt mehrheitlich im Süden des Gebiets  aufhalten, nachdem Israel sie zur Flucht aus dem Nordteil aufgefordert hatte. 

Mindestversorgung für zivile Bevölkerung

"Es ist kein Widerspruch, zu Israel zu stehen und sich auch um die humanitären Bedürfnisse der Palästinenser zu sorgen", sagte Ursula von der Leyen. Deshalb werde die EU ihre Finanzmittel für humanitäre Hilfe erhöhen und versuchen, eine Luftbrücke zur Lieferung von Hilfsgütern einzurichten. Die Mittel für Entwicklungshilfe für Infrastruktur und andere Projekte sollten jedoch sämtlich überprüft werden. Nicht nur die EU-Zentrale in Brüssel, sondern auch die Mitgliedsstaaten sollten ihre Hilfen prüfen.

Israel Tel Aviv | Familie der französischen Geisel Mia Shem tritt vor die Presse
Die Mutter der französischen Geisel Mia Shem bittet in Tel Aviv die Hamas um FreilassungBild: Ronen Zvulun/REUTERS

Geiseln freilassen, Grenzübergang für Ausländer öffnen

Die EU forderte die Hamas noch einmal geschlossen auf, sofort ohne Bedingungen alle rund 200 Geiseln freizulassen. Ägypten wird aufgefordert, seinen Grenzübergang Rafah mit dem Gazastreifen für die Lieferung von Hilfsgütern zu öffnen. Ausländer sollten über Rafah ausreisen dürfen, forderte Charles Michel. Auch Dutzende EU-Bürger sitzen wohl noch im Gazastreifen fest. Für Palästinenser werde Ägypten seine Grenze wohl nicht öffnen, sagte der EU-Ratspräsident, denn es wolle nicht Millionen Flüchtlinge auf seinem Boden. Verklausuliert ließ Michel Verständnis für die Haltung anklingen, denn viele Flüchtlinge in Ägypten würden auch den Migrationsdruck auf Europa erhöhen.

Isreal, Kfar Aza | Israelische Soldaten mit Leichen von bei dem Hamas-Angriff getöteten Zivilisten
EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen besuchte den Kibbutz Kfar Aza. Zuvor bargen Soldaten die Leichen der TerroropferBild: Ilia Yefimovich/dpa/picture alliance

Im Namen der EU und nach den Terrorattacken in Frankreich und Belgien in den vergangenen Tagen warnten Charles Michel, Ursula von der Leyen und auch der französische Präsident Emmanuel Macron davor, dass der islamistische Terror nach Europa zurückkehre. "Deshalb ist es so wichtig, die Spannungen in der Region abzubauen", meinte Ursula von der Leyen. Mit der bevorstehenden Bodenoffensive Israels im Gazastreifen und den mutmaßlichen Opfern unter der Zivilbevölkerung könnten Spannungen und Radikalisierung in Europa erst einmal zunehmen, befürchten EU-Diplomaten.

Ungarns Premier pfeift auf Geschlossenheit

In ihrer Gipfelerklärung heben die EU-Mitglieder auf ihre Einigkeit und Geschlossenheit ab. Charles Michel, der Ratspräsident verwies darauf, dass man eine ähnliche Geschlossenheit ja auch bei der Unterstützung der Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen den Aggressor Russland zeige. Da passte es gar nicht ins Bild, dass ein EU-Ministerpräsident, der Ungar Viktor Orban, gerade erst in Peking dem russischen Machthaber Wladimir Putin die Hand schüttelte. Putin und Orban, die nach wie vor enge Wirtschaftskontakte unterhalten, trafen sich am Rande des Seidenstraßen-Investitionsgipfels Chinas.

Der russische Präsident Putin und der ungarische Ministerpräsident Orban treffen sich in Pekin
Hand in Hand mit dem russischen Aggressor: Ungarns Premier Viktor Orban in PekingBild: Sputnik/Grigory Sysoyev/Pool via REUTERS

In Brüssel versuchte die EU-Kommissionspräsidentin, dieses schiefe Bild wieder gerade zu rücken. Sie warf Russland vor, den Krieg Israels gegen die Hamas in seiner Propaganda zu instrumentalisieren, um von seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine weg zu führen und Europa zu diskreditieren. Man werde gleichzeitig zu Israel und zur Ukraine stehen, sagte Ursula von der Leyen: "Einige glauben, sie könnten uns ablenken von der Ukraine. Wir werden ihnen zeigen, dass sie falsch liegen. Wir stehen zu unseren Freunden, solange es nötig ist."

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union