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Politik

"Es sind nicht drei, es sind wir alle"

Diego Zúñiga
27. April 2018

Die Morde der mexikanischen Drogenkartelle kehren in die internationalen Schlagzeilen zurück. Anlass ist die brutale Ermordung dreier Filmstudenten. Aber trotz der Proteste im Land wird sich wohl wenig ändern.

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Mexiko vermisste Studenten
Bild: picture-alliance/AP Photo/R. Ruiz

Salomon Aceves war 25 Jahre alt und spielte Schlagzeug. Marco Garcia, 20, stand auf Partys immer im Zentrum der Aufmerksamkeit. Daniel Díaz, ebenfalls 20 Jahre alt, liebte Fußball und musste wegen einer Verletzung auf Krücken gehen, als die Tragödie geschah. Die drei Studenten der Universität für audiovisuelle Medien in Guadalajara drehten einen Film im Haus einer Tante von einem der drei. Sie wussten nicht, dass die Tante Verbindungen zu einer kriminellen Gruppe hatte. Am 19. März wollten sie gerade nach Hause gehen, als Mitglieder des Drogenkartells "Jalisco Nueva Generación" (CJNG) auftauchten.

Laut dem polizeilichen Untersuchungsbericht waren die Filmstudenten zur falschen Zeit am falschen Ort. Man hielt sie für Mitglieder des verfeindeten Kartells "Nueva Plaza". Die drei wurden verschleppt, gefoltert, ermordet; ihre Leichen wurden in Säure aufgelöst. Das Verbrechen hat eine Welle des Entsetzens in Mexiko ausgelöst. Tausende fordern auf Demonstrationen Gerechtigkeit und ein Ende der Gewalt.

Obwohl die Staatsanwaltschaft im mexikanischen Bundesstaat Jalisco zwei Verdächtigen festnehmen ließ und davon ausgeht, nach einem Monat Ermittlungen den Fall nahezu aufgeklärt zu haben, gibt es Zweifel an der offiziellen Version. "Es fällt mir schwer zu glauben, dass drei junge Männer die mit Filmausrüstung dabei, sind einen Film zu drehen, mit Mitgliedern eines Drogenkartells verwechselt werden können. Ich glaube, wir kennen noch nicht die ganze Wahrheit", sagt Dawid Bartelt, Vertreter der Heinrich-Böll-Stiftung in Mexiko. Mit seinen Zweifeln ist er nicht allein.

Die Ermordung con 43 Jugendlichen in Ayotzinapa im Jahre 2014, ist einer der bekanntesten Fälle der andauernden Gewalt in Mexiko.
Die Ermordung von 43 Jugendlichen im Jahre 2014 ist einer der bekanntesten Fälle der Gewalt in MexikoBild: picture-alliance/dpa/U. R. Basurto

Ein Meer von Gewalt

Der Gouverneur von Jalisco Aristóteles Sandoval sagt, es wäre "normal", dass die Ergebnisse der Untersuchung Zweifel auslösen, betonte jedoch die Korrektheit der Ergebnisse. "Wir haben mehr als 400 Zeugen befragt, ernsthaft ermittelt, und die DNA-Resultate beweisen, dass sie da waren", sagte Sandoval über die Verdächtigen.

Mittlerweile haben sich bekannte mexikanische Stars aus dem Filmgeschäft zu Wort gemeldet. Der aus Guadalajara stammende mexikanische Filmregisseur Guillermo del Toro schrieb auf Twitter: "Worte reichen nicht aus, um das Ausmaß dieses Wahnsinns zu verstehen. Drei Studenten werden getötet und in Säure aufgelöst. Das Warum ist undenkbar, das Wie ist entsetzlich".

Der mexikanische Schauspieler Gael García Bernal twitterte "Voll der Trauer. Dieser Alptraum muss ein Ende haben". Der Filmregisseur und Schauspieler Diego Luna schrieb, er würde "mit verbundenen Augen jedem seine Wahlstimme geben, der glaubhaft klar macht, dass endlich etwas getan werde, damit sich so etwas nie mehr wiederholt". 

Die Bemerkung von Luna steht im Kontext der gerade beginnenden Schlussphase für die kommenden Präsidentschaftswahlen am 1. Juli. Dawid Bartelt von der Heinrich-Böll-Stiftung ist jedoch skeptisch, ob die aktuelle Empörung auf die politische Agenda Auswirkungen haben wird. "Morgen werden wieder vier oder fünf junge Leute umgebracht, und dann wird der Fall der drei Studenten in einem Meer aus Gewalt und Mord verloren gehen. Ich habe gehört, dass in Jalisco schon Dutzende von jungen Leuten in Säure aufgelöst wurden", sagt Bartelt.

Mexiko Mord in Chilpancingo
Alltägliche Gewalt: Mordopfer in der Provinzhauptstadt Chilpancingo (Nov. 2017)Bild: Reuters/H. Romero

Es fehlt der internationale Druck

Auf den landesweiten Protestmärsche hörte man immer wieder einen Ruf: "Es sind nicht drei, es sind wir alle". Die Demonstrationen, vor allem in Guadalajara und in Mexiko-City haben für internationale Aufmerksamkeit gesorgt. "Aber niemand hat einen Lösungsvorschlag, der der Komplexität des Problems gerecht wird", meint Bartelt. Die Zivilgesellschaft verlangt, dass der Staat etwas tut. Aber der Staat hat laut Bartelt ein schwerwiegendes  Problem: "Mexiko ist ein demokratisches Land mit funktionierenden Institutionen und Mitglied der OECD. Trotzdem gibt es beträchtliche Teile des Landes, über die der Staat die Kontrolle verloren hat".

Wie kann da eine Lösung aussehen? Der Vertreter der Heinrich-Böll-Stiftung ist überzeugt, dass die internationale Gemeinschaft aktiver werden muss. "Deutschland hat über 2000 Unternehmen, die in Mexiko investieren. Ein Teil ihrer Verantwortung besteht darin, auf diplomatischem Wege alles Menschenmögliche zu tun, um mehr Druck auf die mexikanische Regierung auszuüben. Bartelt, der zuvor mehrere Jahre in Rio de Janeiro gelebt hat, sagt, dass er ein Ausmaß der Gewalt wie jetzt in Mexiko noch nie in seinem Leben gesehen hat: "Hier wird jeden Tag ein Bürgermeister umgebracht".